20 Jahre chrismon
20 Jahre chrismon
Lena Uphoff
Ein Hoch auf die Zweifelnden und Suchenden
Wie das "Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt" vor 20 Jahren zum Monatsmagazin chrismon wurde. Ein Interview mit dem Gründer und Mitherausgeber Arnd Brummer.
24.09.2020

chrismon ist vor zwanzig Jahren aus dem "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" hervorgegangen, einer sehr angesehenen evangelischen Wochenzeitung mit langer Tradition. Warum musste es damals eingestellt werden?

Arnd Brummer: Wir haben in den 90er Jahren einige Versuche unternommen, das Blatt zu verändern, haben auf das kleinere Tabloid­format umgestellt und gestalterisch viel probiert, aber offenbar nicht ausreichend. Der Wochenzeitungsmarkt war in den 90ern ­unter Druck, dem katholischen Nachbarn "Rheinischer Merkur" ging es ähnlich schlecht. Abos und Anzeigenverkäufe gingen zurück, und am Ende fand die Kirchenleitung: Das ist auf Dauer nicht finanzierbar.

Und wie kam es dann zur Gründung von chrismon?

Es gab in der Kirche Leute, die sagten: "Wir brauchen ein protestantisches Medium, das eine breitere Öffentlichkeit erreicht und nicht nur die eh schon Überzeugten." Darum die Verteilung über große Tages- und Wochenzeitungen, ähnlich dem ZEIT-Magazin, dem SZ-Magazin und dem seinerzeit noch bestehenden FAZ-Magazin.

Lena Uphoff

Arnd Brummer

Arnd Brummer, geboren 1957, ist Journalist und Autor. Bis März 2022 war er geschäftsführender Herausgeber von chrismon. Von der ersten Ausgabe des Magazins im Oktober 2000 bis Ende 2017 wirkte er als Chefredakteur. Nach einem Tageszeitungsvolontariat beim "Schwarzwälder Boten" arbeitete er als Kultur- und Politikredakteur bei mehreren Tageszeitungen, leitete eine Radiostation und berichtete aus der damaligen Bundeshauptstadt Bonn als Korrespondent über Außen-, Verteidigungs- und Gesellschaftspolitik. Seit seinem Wechsel in die Chefredaktion des "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts", dem Vorgänger von chrismon im Jahr 1991, widmet er sich zudem grundsätzlichen Fragen zum Verhältnis Kirche-Staat sowie Kirche-Gesellschaft. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt kulturwissenschaftlichen und religionssoziologischen Themen. Brummer schrieb ein Buch über die Reform des Gesundheitswesens und ist Herausgeber mehrerer Bücher zur Reform von Kirche und Diakonie.

Diemut Roether

Diemut Roether leitet das Team Medien und Kultur in der Frankfurter Zentralredaktion des epd.

Was war das Konzept?

Ich sage es mal mit dem großen Religionssoziologen Peter Berger: die Spuren der Transzendenz im Alltag zeigen. Nicht fragen: Was ist das für ein Projekt? Sondern: Was sind das für Leute, die das machen?

Haben Sie dafür ein Beispiel aus der ersten Ausgabe?

Wir haben uns mit dem Thema Ehescheidung beschäftigt, gefragt, wie man diese Abwärtsspirale in einer Beziehung ­stoppen kann. Wie können Menschen im Sinne des Wir und auch meines Ichs eine Form von humaner Partnerschaft, von Nähe und Liebe sichern?

Der Artikel hieß dann "Der Führerschein fürs Eheglück".

Genau, das war die erste Titelstory.

"Wir müssen in die Lebenswirklichkeit der Menschen. Das ist chrismon"

Von Anfang an gab es in chrismon "Begegnungen", die besonders dann gut funktionieren, wenn die beiden Gesprächspartner nicht nur abgefragt werden, sondern sich füreinander interessieren . . .

Das ist typisch evangelisch. Martin Luther und auch schon der große Reformator Jan Hus wollten Menschen miteinander ins Gespräch bringen über die Frage: Was ist ­möglich, und was ist außerhalb unserer Möglichkeiten? Und warum geschieht das? Warum stirbt unsere Liebste oder unser liebster Angehöriger? Ich bin dem großen Theologen Paul Tillich verbunden: Gott ist die Wahrheit. Wir können sie nicht besitzen. Wir können nur versuchen, ihr möglichst nahezukommen. Tillich schreibt in seinem kleinen Büchlein "Auf der Grenze": "Die der Wahrheit am nächsten kommen, sind die Zweifelnden und Suchenden."

Können Sie das näher beschreiben?

Wenn zwei Wanderer an eine Kreuzung kommen und der eine nach links gehen will und der andere nach rechts – klar muss man sich dann entscheiden. Aber derjenige, der sich durchgesetzt hat, kann nach zwei Stunden sagen: "Ich glaube, du hattest recht, wir hätten anders gehen sollen." In ­einer christlichen Gemeinde im evangelischen Sinne geht es nicht darum, dass eine Wahrheit mit dem Zeigefinger auf die Leute einprasselt, sondern dass sie gemeinsam suchen.

Gab es auch Widerstände gegen dieses ­Magazin?

Manche trauten der Redaktion einer Wochenzeitung nicht zu, plötzlich ein Magazin zu machen. Andere wollten, dass den Menschen die Wahrheit verkündet wird. Sie wollten sozusagen eine publizistische Kanzel. Aber beide Gruppen waren gottlob auf der Synode der evangelischen Kirche 1999 in Leipzig, wo wir mit unserer Nullnummer angetreten sind, nicht in der Mehrheit. Die knappe Mehrzahl der Synodalen konnten wir für unser Prinzip gewinnen: "Go tell it on the mountain!" Martin Luther sagte: "Wenn Jesus zu den Fischern gegangen ist, hat er Gleichnisse aus der Fischerei verwendet. Wenn er zu den Bauern ging, hat er Gleichnisse aus der Landwirtschaft verwendet." Der Soziologe würde dazu sagen: Wir müssen in die Lebenswirklichkeit der Menschen. Das ist chrismon.

"Wir sind verpflichtet, Liebe, Nähe und Hilfe für Menschen zu unterstützen, statt papierene Regeln hochzuhalten"

"Chrisma" hieß die Zeitschrift am Anfang . . .

Ja. Aber der Verlag der Programmzeitschrift "Prisma" hat eine einstweilige Verfügung erwirkt, dass wir keinen räuberischen Versuch machen dürften, mit einem ähnlichen Markennamen das Publikum zu uns zu holen. Chrisma ist der griechische Plural Neutrum von "Zeichen des Gesalbten". Dann haben wir uns in der Not für den Singular entschieden, Chrismon, also "das Zeichen des Gesalbten". Frei übersetzt: Wir wollen uns mit journalistischen Zeichen, mit Buchstaben und Bildern, auf den Weg machen, den Jesus zeigt. Aber die Assoziation "christliches Monats­magazin" ist uns auch recht.

Was ist chrismon plus? Und wie unter­scheidet es sich von chrismon?

chrismon plus kann man abonnieren, es richtet sich an ein Publikum, das dem evangelischen Kulturbereich noch enger verbunden ist. Plus hat mehr aktuelle Kommentare, fundierte Artikel zu Kirchenmusik, Gottesdiensten und schöne große, reich be­bilderte Reportagen, denn es hat 28 Seiten mehr als die Beilage.

Was ist typisch chrismon?

Dass niemand von oben sagt: Das ist richtig und das ist falsch. Zum Beispiel ­interviewten wir in der Rubrik "Fragen an das Leben" einmal den Krimiautor Martin Suter aus der Schweiz. Und der sagte, von Gott habe er kein Bild. "Wenn es einen Gott gibt, hätte ich dauernd ein Hühnchen mit ihm zu ­rupfen. Denn wir können nicht verstehen, dass er uns unseren Sohn im Alter von drei Jahren genommen hat." Das hatten wir auf dem Titel, und da sagten Leute: "Dafür werden Kirchensteuermittel aufgewendet? Für ein Magazin, das einen Heiden auf den Titel setzt?" Eine Frau jedoch schrieb uns: "Mein Mann und ich haben das während des Sonntagsfrühstücks gelesen. Und anschließend haben wir zweieinhalb Stunden darüber diskutiert." Das hat uns gefreut!

Mit Arnd Brummer sprach Diemut Roether, leitende Redakteurin beim evangelischen Pressedienst epd Medien

Auf welche Geschichte aus den letzten 20 Jahren sind Sie besonders stolz?

Ich führte 2003 ein Interview mit Peter Ustinov, der Friedrich den Weisen in dem Lutherfilm spielte, also den Beschützer Luthers. Es faszinierte mich, wie dieser Weltstar des Kinos mit seinen multikulturellen Wurzeln umging, darunter auch deutsche. Er lebte mit seinen von den Nazis ausgebürgerten Eltern in London. Dennoch hielt der Teenager in der NS-Zeit Kontakt mit seinen Verwandten in Deutschland, telefonierte mit ihnen. Es war spannend, die Geschichte der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts mal aus so einer Perspektive erzählt zu bekommen. Aber stolz kann chrismon auch auf viele Geschichten aus der Flüchtlingswelt sein. Wir sind drangeblieben. Denn wir sind im christlichen Sinn verpflichtet, im Zweifelsfall Liebe, Nähe und Hilfe für Menschen zu unterstützen, statt papierene Regeln hochzuhalten.

"Wir sind ein gedrucktes Magazin, aber auf vielen ­digitalen Kanälen unterwegs"

Wie geht chrismon mit anderen Religionen um?

Offen! Ich hatte als junger Journalist das Glück, den Dalai Lama zu interviewen. Der sagte mir: "Es gibt ja nur einen Gott. Bei den einen heißt er Geist, bei den anderen Herr und bei den dritten Allah." – Ich wollte wissen, worauf er diese Unterschiede zurückführt. Seine Antwort: "Das ist kein Thema des Absenders, sondern der Empfänger seiner Nachrichten. Die haben seine Botschaften unterschiedlich aufgeschrieben und bewertet." Das begleitet mich seither. chrismon hat mit diversen Vertreterinnen und Vertretern der Weltreligionen gesprochen, die sich für Toleranz und Aufklärung einsetzen: Seyran Ates etwa oder die liberale Rabbinerin Elisa Klapheck.

Sie haben bei der Umstellung aufs Magazin die Ressorts aufgelöst – geht da nicht fachspezifisches Wissen verloren?

Ich zitiere mein Lieblingslied des Chansonniers André Heller: "Die wahren Abenteuer sind in meinem Kopf, und sind sie nicht in meinem Kopf, so sind sie nirgendwo." Abenteuer sind in allen Ressorts möglich, ob Politik, Wirtschaft oder Kultur. Es geht darum, Schnittstellen zwischen christlichem Lebensansatz und Kultur sichtbar zu machen.

Warum haben Sie eigentlich die Rubrik "Manna & Co" aus der Anfangszeit eingestellt? Das waren Kochrezepte aus der Bibel . . .

Die Zeiten ändern sich. Der Kollege hat uns irgendwann verlassen. Gekocht wird aber immer noch: Im Foodblog "Mahlzeit" meiner geschätzten Kollegin und ­Mitgründerin Susanne Breit-Keßler. Gibt’s auf chrismon.de. Die mediale Arbeit wird ja eher zu einer Art von Fünfkampf. Wir sind immer noch ein gedrucktes Magazin, aber auch auf vielen ­digitalen Kanälen unterwegs. Man muss jetzt Wege suchen, in denen man das Gedruckte und das Digitale miteinander in Bezug setzt.

Infobox

Fast 1,7 Millionen Menschen lesen chrismon regelmäßig – diese Zahl steigt seit Jahren. Das Magazin liegt vielen Tages- und Wochenzeitungen bei, der "Zeit" etwa, der "Süddeutschen Zeitung", der "FAZ". chrismon plus ist die Abo-Ausgabe. Und natürlich gibt es chrismon auch als App (12 Euro im Jahr).

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