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Das Schlagwort allein bringt gar nichts
Gemeinnützig - das sollen soziale Wohnungsunternehmen nach dem Willen der Bundesregierung bald wieder sein dürfen. Wie so oft hilft ein populäres Schlagwort allein nicht weiter. Ein Überblick und ein Pro und ein Contra
Tim Wegner
31.08.2023

Wer sich wie ich in der Szene alternativer Wohnmodelle bewegt, stößt oft auf diese Worte: Gemeinwohl und Gemeinnützigkeit. Beide sind positiv besetzt: Gemeinwohl habe ich schon mal erklärt, hier geht es um das große (gesellschaftlich gute) Ganze; bei der Gemeinnützigkeit um Geld, ganz konkret um Steuerersparnisse.

Wer sich dafür interessiert, sollte einen Blick zurückwerfen auf den Skandal um die Neue Heimat, der vom Spiegel aufgedeckt und dokumentiert wurde. Unter anderem auch deshalb hatte die Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl Anfang der 1990er Jahre die Wohngemeinnützigkeit (die nach dem Krieg den sozialen Wohnungsbau entscheidend befördert hat) abgeschafft.

Seither ist allen Wohnungsbauunternehmen, auch wenn sie wie z.B. viele städtische und kommunale Unternehmen sozial unterwegs sind, die Möglichkeit genommen, im großen Maßstab Steuern zu sparen. Dazu gehören z.B. die Körperschaftssteuer, die Grundsteuer oder auch die Möglichkeit, steuerbegünstigte Spenden einzuwerben. Runtergebrochen auf eine kleine Genossenschaft, wie es beispielsweise mein Ehrenamtsprojekt Gröninger Hof eG in Hamburg ist, heißt das: Als eingetragene Wohnungsbaugenossenschaft können wir, anders als z.B. ein gemeinnütziger Verein, keine Spendenbescheinigung ausstellen, wenn uns Leute Geld schenken wollen. Das macht uns unsere Arbeit sehr schwer.

Die Bundesregierung hat daher in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen, die Gemeinnützigkeit für die Wohnungswirtschaft wieder einzuführen, nicht generell, aber für alle Vermieter, die dauerhaft bezahlbaren Wohnraum schaffen. „NWG - Neue Wohnungsgemeinnützigkeit“ heißt es deshalb. Schon länger wird das intensiv und eher kontrovers diskutiert (hier der fast zweistündige Mitschnitt des zuständigen Bundestagsausschusses von Oktober 2020). Vor wenigen Wochen hat das Bauministerium unter Führung von Klara Geywitz ein Eckpunktepapier vorgelegt – auch darüber herrscht große Uneinigkeit

Ich habe mich in den letzten Wochen in meinem Netzwerk umgehört. Stellvertretend möchte ich hier zwei sehr unterschiedliche Statements veröffentlichen.

"Jetzt schlägt die Stunde der öffentlichen Hand" - Caren Lay, Die Linke

Zunächst ein „Pro“ von Caren Lay, Linken-Politikerin und seit Jahren engagiert im Kampf gegen Immobilien und Bodenspekulation, auch schon bei uns bei chrismon:

Sie schreibt:
„Eine Neue Wohngemeinnützigkeit kann Wohnungsnot und Mietenkrise nachhaltig bekämpfen. Wie es geht, zeigt Wien, wo je 30 Prozent der Wohnungen der Gemeinde gehören oder gefördert sind.

In Deutschland fehlen zehn Millionen Sozialwohnungen. Der Wohnungsbau ist in der Krise. Jetzt schlägt die Stunde der öffentlichen Hand. Mit einem öffentlichen Wohnungsbauprogramm könnte sozial und gemeinnützig gebaut werden. In zehn Jahren könnten so zunächst 30 Prozent des Wohnungsmarktes gemeinnützig sein. Dieser Sektor wäre dem Gemeinwohl und nicht dem Profit verpflichtet. Weil die Ampel-Regierung das Projekt immer weiter verschiebt, habe ich im Juni eigene Eckpunkte veröffentlicht: Gemeinnütziger Wohnungsbau soll gefördert sowie bei Steuern und der Vergabe öffentlicher Flächen begünstigt werden. Mieten sollen dauerhaft sozial begrenzt, Gewinnmargen limitiert und in klimagerechte Sanierungen reinvestiert werden. Träger der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft sollen öffentliche und kommunale Gesellschaften sowie Wohnungsbaugenossenschaften oder auch Kirchen sein.

Der von der Bundesregierung kurz darauf veröffentlichte, äußerst wage Diskussionsstand zum Thema lässt indes befürchten, dass in dieser Legislatur kein systematischer Aufbau eines großen nicht-profitorientierten Sektors mehr erfolgen wird. Es darf keine Nische bleiben! Es wird also weiter öffentlichen Druck brauchen, damit eine – echte – Neue Wohngemeinnützigkeit überhaupt kommt.“

"Der gemeinwohlorientierten Wohnungswirtschaft hilft das aber nicht" - Andreas Breitner, VNW

Eine andere Einstellung zu dem Gesetzesvorhaben hat Andreas Breitner. Er ist Chef des VNW, des Verbandes norddeutscher Wohnungsunternehmen und vertritt in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein insgesamt 418 Wohnungsgenossenschaften und Wohnungsgesellschaften, das sind 686 000 Wohnungen, in denen rund 1,5 Millionen Menschen leben. Die durchschnittliche Nettokaltmiete pro Quadratmeter liegt bei den VNW-Unternehmen bei 6,41 Euro, es geht also vor allem um "Vermieter mit Werten", wie sich der Verband selbst bezeichnet. Ich kenne Andreas Breitner, weil der VNW auch unsere Genossenschaft in Hamburg geprüft hat. Er schreibt:

"Die sozialen Wohnungsunternehmen sind die nachhaltigste Unternehmensform, die es hierzulande gibt. Wir haben keine verstecken Konten, keine internationalen Gesellschafter, die Geld aus den Unternehmen herausziehen, und wir streben nicht nach einer Maximierung des Unternehmensgewinns. Fast alle Mieteinnahmen werden für die Mieterinnen und Mieter investiert. Wem die ‚Neue Gemeinnützigkeit‘ tatsächlich hilft und wo sie Sinn macht, sind die Unternehmen der Wohlfahrtspflege. Für sie ist das Vermieten von Wohnungen steuerlich problematisch, weil das gewinnorientierte Vermietungsgeschäft geeignet ist, ihre gemeinnützigen Geschäftsbereiche steuerlich zu ‚infizieren‘ und u.a. eine Umsatzsteuerpflicht auslösen könnte.

Hier setzt das Gesetzesvorhaben der Bundesregierung an - und das zu Recht. Dadurch könnten Wohnungsmarktteilnehmer aktiviert werden, die nach einer steuerlichen Entfesselung stärker für das bezahlbare Wohnen aktiv werden könnten. An dieser Stelle erzielt die ‚Neue Gemeinnützigkeit‘ eine positive Wirkung. Der gemeinwohlorientierten Wohnungswirtschaft hilft das aber nicht. Sie beklagen nach wie vor (zu) lange Zeiträume, bis eine Baugenehmigung erteilt wird, ein Übermaß an Bürokratie und eine Bauordnung, die eigentlich als Bauverhinderungsordnung bezeichnet werden müsste. Die Kommunen als Eigentümer öffentlicher Wohnungsunternehmen werden sich das Konzept der ‚Neuen Wohngemeinnützigkeit‘ sehr genau anschauen. Schließlich sollen derartige Unternehmen kaum Gewinn machen dürfen. Das wird Kämmerer von Kommunen nicht erfreuen, in denen städtische Wohnungsunternehmen Jahr für Jahr mehrere Millionen Euro an ihre Eigentümerinnen, die Kommunen, ausschütten.“

Und was ist meine Meinung?

Wie Andreas Breitner bin ich der Überzeugung, dass es schon heute viele gute Instrumente gibt, um den Sozialen Wohnungsbau auf Trab zu bringen. Wieso nutzen die Städte ihre Vorkaufsrechte nicht wirklich konsequent? Warum dauern Baugenehmigungen so lange, bis guten Projekten die Luft ausgeht? Ebenso klar ist, dass das Bauministerium mit seinen Vorschlägen viel zu wage bleibt. Wie beispielsweise will die Bundesregierung bei den Kommunen das Steuerloch stopfen will, das entstehen wird, wenn kommunale Wohnungsunternehmen keine Körperschaftssteuer mehr zahlen? Hier braucht es gute Ideen und keine klassische Blockade-Politik der FDP.

Zu alldem sagt das Eckpunktepapier des Bundesbauministeriums vom 14. Juni (das ich mir habe schicken lassen, aber das ich nicht veröffentlichen darf) viel zu wenig. Es reicht nicht, mit populären Schlagworten an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn die nötige Substanz fehlt. Klarer ist da die ausführliche Stellungnahme des Wohnbundes, in dem viele Organisationen, wie z.B. das Netzwerk Immovielien e.V. oder das Wohnnetzwerk Frankfurt, aktiv sind. Hier, wie auch bei Caren Lay, gibt es konkrete und umsetzbare Forderungen (direkter Link zum PDF)

Handeln tut Not. Der soziale Wohnungsbau ist eingebrochen. Die Neue Wohnungsgemeinnützigkeit hat viele Mängel, doch sie ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Seh- und Hörtipp chrismon-live:
Wie können wir preiswert und gemeinschaftlich wohnen?
Hier geht es zur Aufzeichnung meines Web-Talks mit Jennyfer Wolf vom Wohnprojekt Allmende in Freiburg und Jörn Luft vom Netzwerk Immovielien e.V. vom 17. August 2023

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Zitat: "...dauerhaft bezahlbarer Wohnraum". Der Bau einer Wohnung wird immer teurer. Der Maurer will sein Geld und dann in dem Objekt (oder einem anderen) wohnen, aber dauerhaft weniger zahlen als er selbst für seine Leistung bekommen hat. Zuzüglich Reparaturen, Zinsen, Nebenkosten, etc. Er hat sein Geld in einem Mietobjekt angelegt. Von dem fordert er die Zahlungen, die er mit seiner eigenen Miete nicht bereit ist zu zahlen. Die Lösung ist so einfach. Der Staat muss das zahlen was ich nicht kann oder will. Eine andere Lösung ist Enteignung. Eine Vorstadtstrasse. 5 verwitwete alleinstehende Männer und Frauen. Jede/r hat ein Haus mit 120-160 qm Wohnfläche und Garten. Zu gross aber Aufgaben. Alle enteignen, denn freiwillig gehen die nicht. Ab in die "Kaserne" mit Blick auf die nächste Hauswand, statt wie vorher in den eigenen Garten. Da gibt es im Wohnblock bei 30 qm keine Aufgaben, keine Aussichten und kaum noch körperliche Ziele. Nur noch eine erdrückende Langeweile und die Erinnerung, als man noch nicht enteignet war. Damit ist dieser Wechsel nur noch vergleichbar mit Krankheit und totaler körperlicher Beeinträchtigung, um mehr Wohnraum für andere zu erhalten. Zudem wird der, der sein Haus selbst gebaut hat (u. das sind nicht wenige) oder es sich und der Familie 40 Jahre vom Mund abgespart (nur Billigurlaube) hat, seines Lebensmittelpunktes beraubt. Lebensleistungen verloren. Die zusätzliche Bestrafung des Alters.

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Etwas verdreht noch einfacher: "...dauerhaft billig..."
So wichtig wie WOHNEN sind ESSEN, FRIEDE, BESCHÄFTIGUNG, UNTERHALTUNG, MOBILITÄT, WÄRME u. körperliche Bedürfnisse aller Art. Selbstverständlich alles wesentlich günstiger als das, was man selbst hierfür leisten und erhalten möchte. Dauerhaft die "billige" Käfighaltung. Am besten auch gleich für die, die spartanisch wohnen wollen. Beim Wort genommen, sieht jedes Ideal anders aus.

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"Die sozialen Wohnungsunternehmen sind die nachhaltigste Unternehmensform, die es hierzulande gibt."

Nichts kann nachhaltig sein, vor allem eine Unternehmensform nicht, egal wie gut gemeint sie ist, denn der nun "freiheitliche" Wettbewerb um die Deutungshoheit, ist die Triebfeder der "Ökonomie" von/zu unternehmerischen/menschenUNwürdigen Abwägungen, wo nur zweifelsfrei-eindeutige Vernunft und Verantwortungsbewusstsein allen Menschen die wirkliche Wahrhaftigkeit in Nachhaltigkeit bringen kann.

Kompromissbereitschaft, für das konfusionierende System unseres "Zusammenlebens" seit Mensch erstem und bisher einzigen geistigen Evolutionssprung ("Vertreibung aus dem Paradies"), ist der erste Schritt in die Verkommenheit.

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Kolumne

Dorothea Heintze

Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß aus eigener Erfahrung: Das eigene Wohnglück finden ist gar nicht so einfach. Dabei gibt es tolle, neue Modelle. Aber viele kennen die nicht. Und die Politik hinkt der Entwicklung sowieso hinterher. Über all das schreibt sie hier.