Taktik für Krisenzeiten
Zuversicht entsteht durch Handeln
Liegen schwierige Jahre vor uns? Ja. Werden wir manchmal denken: "Schlimmer kann es nicht mehr kommen?" Ja. Wird es doch schlimmer kommen? Vermutlich ja. Aber das muss uns keine Angst machen, sagt der Publizist Ulrich Schnabel
Illustration: Schriftzug Chance/Change.
Chancen entstehen durch Wandel
Chancen entstehen durch Wandel
John Kevin/GettyImages
Odile Hain
29.12.2023
7Min

Nur wenige tausend Kilometer von uns entfernt werden Menschen durch Bomben getötet, im Mittelmeer ertrinken Geflüchtete, die Erderwärmung droht und Deutschland rutscht noch tiefer in die Rezession. Da kann man doch nur verzweifeln, oder?

Ulrich Schnabel: Es stimmt: Wir leben in einer Zeit mit vielen Krisen und Kriegen, und es ist gut möglich, dass es in naher Zukunft auch nicht weniger werden – einfach deshalb, weil wir in einer Zeit des Übergangs leben. Die bisherige geopolitische Ordnung unserer Welt geht zu Ende: Wir erleben den Aufstieg Chinas und den Machtverlust der USA – ein System, das über viele Jahrzehnte stabil war. Das bringt vieles in Bewegung – unter anderem, dass es Putin wagt, den Westen herauszufordern. Auch der Klimawandel führt zu dramatischen Veränderungen. So sagen Forscher unter anderem voraus, dass ab 2050 im Mittelmeerraum vermutlich keine Landwirtschaft mehr möglich sein wird. Was das an Folgen nach sich ziehen wird – auch an Migrationsbewegungen aus Ländern wie Italien, Spanien und Frankreich –, ist kaum vorstellbar.

Martina van Kann

Ulrich Schnabel

Der Physiker Ulrich Schnabel, Jahrgang 1962, ist Wissenschaftsredakteur bei der Wochenzeitung DIE ZEIT, wo er über Themen im Grenzbereich zwischen Natur-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaft schreibt. Für seine Artikel wurde mehrfach ausgezeichnet. Einen Preis erhielt er auch für eines seiner Bücher. Zuletzt sind von ihm die Titel erschienen "Zuversicht: Die Kraft der inneren Freiheit und warum sie heute wichtiger ist denn je" (Pantheon Verlag) sowie das Buch "Zusammen: Wie wir mit Gemeinsinn globale Krisen bewältigen" (Aufbau Verlag).

Ziemlich unkontrolliert entwickelt sich auch alles, was mit Künstlicher Intelligenz zu tun hat. Wie sie einmal unser Leben beeinflussen wird, ist völlig offen…

Tatsächlich ist nur eines sicher: Es gibt kein Zurück nach Bullerbü. Umso wichtiger ist es deshalb, sich innerlich auf Turbulenzen vorzubereiten. Dann ist man besser gewappnet. Der Seefahrer Ferdinand Magellan, der 1519 zur ersten Weltumsegelung aufbrach, hat einmal gesagt, es gehe nicht darum, zu hoffen, dass die See ruhig bleibe, sondern darum, sich auf Stürme und hohe Wellen einzustellen. Eine solche innere Haltung brauchen wir auch heute.

Aber ist es nicht genauso möglich, dass sich alles wieder beruhigt? Dass irgendwann der Krieg in der Ukraine zu Ende geht, eine Lösung für den Nahen Osten gefunden wird und wir die Klimakrise in den Griff bekommen?

Ich bin davon überzeugt, dass wir einen Weg aus all den Konflikten und Katastrophen finden. Doch das wird dauern. Aber um einmal das Positive zu betonen: Wir leben in Deutschland in einem sehr stabilen Land; wir haben eine funktionierende Demokratie; wir haben – anders als zum Beispiel andere Länder – unabhängige Medien mit einem breiten Angebot an gesicherten Informationen; und wir haben im Großen und Ganzen ein sehr gut funktionierendes Gemeinwesen. Beste Voraussetzungen also, um diese unruhigen Zeiten zu bewältigen. Wichtig ist aber auch, sich von all den schlechten Nachrichten, die auf uns einprasseln, nicht erdrücken zu lassen.

"Nicht permanent mit Katastrophenmeldungen beschäftigen"

Und wie gelingt das?

Ein Übermaß an schlimmen Nachrichten führt leicht zu einem Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit. Dabei sollte ein Mehr an Informationen doch eigentlich unsere Handlungsfähigkeit stärken. Deshalb ist es wichtig, sich nicht permanent mit Katastrophenmeldungen zu beschäftigen, lieber wenige, dafür aber erklärende und einordnende Stücken. Sonst bleiben wir leicht im Negativmodus hängen. Denn unser Gehirn springt auf Erschreckendes und Bedrohliches besonders stark an. Deshalb ist es gut, bewusst auch das Positive in den Blick zu nehmen und nach Geschichten von Menschen zu suchen, die schwere Krisen gemeistert haben. Eine ist zum Beispiel die Biographie von Nelson Mandela, eine andere die von Stephen Hawking. Zu erfahren, wie diese Menschen mit ihren Lebenskatastrophen umgegangen sind – Mandela war 27 Jahre inhaftiert, Hawking litt an einer unheilbaren Erkrankung des Nervensystems –, ist zutiefst beeindruckend. Und hilft gleichzeitig, die eigene Zuversicht zu stärken.

Woher nahmen diese Menschen überhaupt die Kraft, um weiterzumachen?

Das eine Patentrezept für alle gibt es nicht. Aber ein paar Merkmale tauchen immer wieder auf. Eines davon ist: Sie waren nicht allein; sie hatten Mitstreiterinnen, Mitdenker, Menschen, mit denen sie sich austauschen konnten. Für Mandela waren sie tatsächlich das Wichtigste; Verbündete sind ganz entscheidend.

"Im Negativmodus findet das Gehirn keine Lösungen"

Und wie kann man es schaffen, zuversichtlich zu bleiben, wenn zur schwierigen Weltlage auch noch privat Probleme hinzukommen? Wenn eine Mieterhöhung ansteht, die Rentenauskunft erschreckend niedrig ausfällt und bei der Tante die Parkinsonerkrankung rasant voranschreitet…

Stopp! Wenn wir alle aktuellen und zukünftigen Schwierigkeiten gleichzeitig in den Blick nehmen, wirkt das wie ein unüberwindlicher Berg. Wir fühlen uns wie gelähmt; in diesem Negativmodus findet das Gehirn keine Lösungen. Viel einfacher ist es dagegen, wenn Sie den Problem-Berg in einzelne Teile zerlegen und nehmen Sie sich erstmal nur eines vor – zum Beispiel die Mieterhöhung – und überlegen Sie: Was kann ich tun? Vielleicht sprechen Sie mit einem Nachbarn darüber oder gehen zur Mieterberatung, denn Verbündete helfen! Wenn Sie so die Erfahrung machen, dass Sie etwas bewirken können, entsteht eine ganz andere innere Dynamik. Und mit der gehen Sie das nächste Problem an. Sie müssen nicht alles auf einmal lösen.

Das heißt, Zuversicht entsteht durch Handeln?

Ja. Das beste Mittel gegen das Gefühl der Ohnmacht ist zu erleben: Ich kann etwas bewirken – und sei es nur in einem kleinen Bereich. Zugleich sollte man im Hinterkopf behalten: Keiner von uns weiß, wie die Welt in zehn Jahren aussieht. Vielleicht ist die Rente dann unser geringstes Problem? Deshalb ist es gut, die Probleme zu lösen, die jetzt anstehen – und sich nicht zu sehr den Kopf darüber zu zerbrechen, was in Zukunft alles passieren könnte, möglicherweise aber nie eintreten wird.

Wenn draußen ständig alles in Bewegung ist – wie gelingt es uns dann, innerlich ruhig zu bleiben?

Ein kluger Mann hat einmal gesagt: "Wenn ich Ihnen die Antwort gebe, nützt Sie Ihnen nichts. Sie müssen sie selbst finden." Da ist etwas Wahres dran. Wichtiger als eine fertige Antwort ist es, sich selbst zu fragen: Welche Quellen geben mir innerlich Heimat? Meist sind das immaterielle Dinge wie Freundschaften, das Erleben von Kunst oder Natur. Der Soziologe Hartmut Rosa nennt das Resonanz: Etwas antwortet in mir, gibt einen Widerhall und lässt uns lebendig fühlen.

Was ist das für Sie?

Zum Beispiel die Musik. Wenn ich mich ans Klavier setze, betrete ich innerlich einen anderen Raum. Ähnlich geht es mir in den Bergen: Ich bin eingebettet in die Natur und nehme mich als Teil eines größeren Ganzen wahr. Und natürlich das Zusammensein mit geliebten Menschen… Für solche Dinge muss man sich Zeit nehmen. Denn das ist es, was uns trägt.

Welche Rolle spielt die Religion für die Zuversicht?

Wer sich in seinem religiösen Glauben aufgehoben fühlt, für den kann die Religion eine wunderbare Quelle sein. Aber es kommt auf die innere Haltung an. Das zeigt eine Studie an Brustkrebspatientinnen, die untersuchte, inwieweit Religiosität im Umgang mit der Erkrankung hilft. Eine Stütze im Glauben fanden vor allem sehr gläubige Frauen mit einem positiven Gottesbild. Sie konnten selbst ihrer Krankheit einen Sinn abgewinnen und positiv damit umgehen. Frauen mit einem strengen Gottesbild hingegen empfanden den Krebs als Strafe für ihre Sünden und litten zusätzlich unter Angst- und Depressionszuständen. Und Patientinnen, die indiffent waren, also halb an Gott glaubten, halb an ihm zweifelten, waren in der Klinik vor allem von Verunsicherung und Zweifeln geplagt. Kurz: Es kommt auf die innere Überzeugung an. Das gilt übrigens auch für Atheisten und Gläubige anderer Richtungen: Wichtiger als die jeweilige Religion ist die Frage, ob man mit sich selbst wirklich im Reinen ist.

"Der Tod gehört zum Leben, und das gilt auch für Krankheiten"

Wie ist es mit Ihnen? Sind Sie religiös?

Kommt drauf an, was man darunter versteht. Ich ziehe mich regelmäßig in die Stille zurück, weil mir dort etwas begegnet, das eine andere Qualität hat. Ich erlebe mich als Teil eines größeren Zusammenhangs, ähnlich wie in der Natur. Das muss man allerdings üben – und zwar regelmäßig. Nur gelegentlich zu meditieren oder ab und zu in den Park zu gehen, reicht nicht. Aber dann entwickelt sich eine grundpositive Energie, eine Stärke, die wertvoll ist. Es ist eine Zuversicht, wie sie übrigens das Leben selbst auch in sich trägt: Man kann einen Wald abholzen, abbrennen oder sonst wie zerstören – das Leben kommt immer wieder, denn irgendwann beginnt etwas Neues zu wachsen.

Und wie zuversichtlich kann man sein, wenn man an Parkinson im Endstadium erkrankt ist?

Es ist natürlich Unsinn zu sagen, es wird alles gut. Es kann ja nicht gut werden im Sinne von geheilt. Der Tod gehört zum Leben, und das gilt auch für Krankheiten. Aber auch wenn jemand weiß, dass er in wenigen Monaten sterben wird, kann er Freundschaft und Liebe erleben und die Zuversicht haben, dass er in dieser Zeit fürsorglich begleitet und versorgt wird. Und wenn es ihm darüber hinaus noch gelingt, mit sich und seinen Nächsten ins Reine zu kommen, kann ein Schwerkranker diese Tage des Abschieds durchaus als lebenswert empfinden – und ihm am Ende auch das Loslassen erleichtern.

2024 steht vor der Tür. Doch wenn das Jahr ähnlich verläuft wie 2023, wird es vermutlich schwierig werden, zuversichtlich zu bleiben – trotz allen Bemühens, immer wieder die Perspektive zu wechseln und sich nur auf ein Problem zu konzentrieren.

Unser Leben wird ziemlich sicher nicht nur aus Katastrophen bestehen. Und wer seinen Blick regelmäßig auf die schönen Dinge richtet, wird in sich genau die Energie erzeugen, die er braucht, um handlungsfähig zu bleiben. Auch ein Dankbarkeitstagebuch kann dabei helfen. Doch so oder so: Die Zukunft ist offen, rechnen wir also realistischerweise mit dem Unerwarteten – auch mit dem Guten.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist zuerst erschienen in der aktuellen Ausgabe von "horizont E", dem Magazin der Evangelisch-Lutherische Kirche in Oldenburg für ihre haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden.

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"Nicht permanent mit Katastrophenmeldungen beschäftigen"

- Das ist die ignorante Arroganz der konsum-/profitautistischen Wohlstands-/Gewohnheitsmenschen, die Minderheit dieser wettbewerbsbedingten Weltbevölkerung im Verhältnis 1:5

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"Im Negativmodus findet das Gehirn keine Lösungen"

- Irrtum, der durch das Leben in der ignorierten Mehrheit der Weltbevölkerung sehr oft widerlegt wurde/wird. Allerdings wurden/werden diese Lösungen oft einfach von der ignoranten Arroganz assimiliert, anstatt sie als Muster für ein Umdenken und Handeln hin zur wirklich-wahrhaftigen Vernunft zu nutzen.

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"Zusammen: Wie wir mit Gemeinsinn globale Krisen bewältigen"

Ich könnte da ein wirklich-wahrhaftig sinnvolleres Buch schreiben, auf der Grundlage der zweifelsfrei-eindeutigen Interpretation der Philosophie der Bibel:

- Unkorrumpierbares Zusammenleben: Wie wir mit Gemeinschaftseigentum OHNE wettbewerbsbedingt-konfusionierte Symptomatik die Krisen der Globalisierung* bewältigen und das ganzheitlich-ebenbildliche Wesen Mensch gestalten"

*anderes/zeitgeistlich-reformistisches Wort für herkömmlich-gewohnten Kolonialismus

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