In Dettingen sind die Wege kurz: Michael Christ
Thomas Krytzner
Gefährliches Halbwissen: "Habeck reißt mir die Heizung raus"
Wenn die Bundesregierung schlecht kommuniziert, spüren Klimaschutzmanager wie Michael Christ die Folgen. Sein Rezept gegen Verunsicherung: Vertrauen und gute Informationen
Tim Wegner
21.08.2023

Diese Kolumne sollten Sie lesen, wenn Sie…

  • …mehr über die Arbeit eines Klimaschutzmanagers erfahren möchten
  • …Sie einen Eindruck bekommen möchten, wie sehr die Energiewende auf das Vertrauen der Menschen angewiesen ist
  • …die „Twitter/X“-Alternative Mastodon noch nicht kennen: Dort kann man interessante, kluge Menschen kennenlernen

Erinnern Sie sich noch ans Frühjahr? An den „Heizungshammer“, den ein Boulevardmedium für sich entdeckt hatte? An die Kritik der FDP-Fraktion im Bundestag, mit der die Liberalen das Gebäudeenergiegesetz so lange aufhielten, bis es nicht mehr vor der Sommerpause durchs Parlament kam? In dieser Zeit ist viel Vertrauen zu Bruch gegangen. Michael Christ ist einer von denen, die die Scherben aufkehren. „Es gibt viel Halbwissen, und das bleibt dann bei mir hängen“, sagt der Klimaschutz- & Energiemanager der Stadt Dettingen unter Teck.

Klimaschutzmanager? Immer mehr Landkreise und Kommunen beschäftigen Menschen, die helfen, die Klimaziele vor Ort mit Leben zu füllen und umzusetzen. Manche Regionen waren früh dran, der Rhein-Hunsrück-Kreise zum Beispiel, mit seinem Klimaschutzmanager Frank-Michael Uhle. Und auch in Dettingen unter Teck ist man schon weit gekommen, seit 2010 sind die Treibhausgasemissionen in dem Ort um 27 Prozent gesunken. Dass eine eher kleinere Stadt wie Dettingen – 6300 Menschen leben hier - einen Klimaschutzmanager beschäftigt, ist eher die Ausnahme. Aber Michael Christ kann sich über Arbeit nicht beschweren. Gerade weil die Menschen ihn mittlerweile kennen, reißen die Anfragen nicht ab.

„Ich stand bei Leuten zu Hause, die mir sagten: ‚Ich habe Angst, dass Robert Habeck kommt und mir die Heizung rausreißt‘“, erzählt Christ. Die überhitzten Debatten um das Gebäudeenergiegesetz haben der Energie- und Wärmewende geschadet. Michael Christ kann die Gemüter aber schnell beruhigen. Er ist ein bekanntes Gesicht vor Ort, die Leute vertrauen ihm oft mehr als den Nachrichten über das, was in den Paragraphen stehen soll und was die „Ampel“ in Berlin beschlossen hat. Zumal das Gebäudeenergiegesetz viel zu kompliziert geraten sei, findet Michael Christ. Ist er erstmal im Gespräch, kann er schnell die Vorzüge Erneuerbaren ins Gespräch bringen und erklären, wie neue Technologien konkret funktionieren.

Kennengelernt habe ich Michael Christ, weil er viel auf Mastodon postet, der Alternative zu Twitter, heute „X“; seit Elon Musk die Plattform übernommen hat, haben viele Menschen das soziale Netzwerk verlassen. Im Frühjahr schrieb Christ mit Blick auf das Gebäudeenergiegesetz auf Mastodon: „Ängste, die aufkochen, weil die Regierung schlecht kommuniziert. Statt ‚Die Ölheizungen müssen raus‘ wäre besser ‚wir geben euch Anreize für klimaschonende Heizungen; ihr könnt weiterhin mit Öl und Gas heizen, ihr müsst es nur wirtschaftlich begründen.‘ Ich kommuniziere nicht mit dem Klima, sondern mit den Menschen.“

"Mit Menschen kommunzieren - und nicht mit dem Klima" - Michael Christ

Interessant! Mit dem Klima kommuniziere ich nämlich auch oft, erkläre meinen Mitmenschen wieder und wieder, wie gefährlich es ist, noch mehr Treibhausgase in die Atmosphäre zu pusten. Und hinterher wundere ich mich, dass solche Gespräche so gut wie nichts in den Köpfen der Menschen zu bewirken scheinen. Das Ganze auf eine andere Ebene zu ziehen – nämlich: was bringen mir persönlich die Energie- und Wärmewende und wie kann ich mitmachen – ist viel schlauer.

Fiktives Beispiel: Eine Familie hat das Haus der Eltern/Schwiegereltern übernommen und vor fünf Jahren eine Gasheizung eingebaut, in einen Altbau. Und die rufen bei Michael Christ an und fragen verzweifelt: „Muss die wieder raus? Müssen wir für viel Geld eine Wärmepumpe installieren, die in unserem Haus sowieso nicht funktioniert?!“ – Was würde Christ raten?

„Ich würde diese Leute erstmal beruhigen“, sagt Michael Christ, „sie können die Heizung sogar weiter betreiben, bis sie eines Tages ihren Geist aufgibt.“ Und dann würde Christ – er ist Ingenieur, studierte Versorgungstechnik – der Familie einen Termin anbieten für eine Beratung. Die ist kostenlos, eine, eineinhalb Stunden ist er vor Ort. In unserem Beispiel würde er wohl zu vielen einzelnen Schritten raten, die am Ende einen stimmigen Weg ergeben. Wie gut ist das Haus saniert? Wann könnte man das Dach, die Fenster angehen? Welche Förderungen gibt es? Christ schätzt, dass auch in 80 Prozent der Altbauten eine Wärmepumpe in Frage kommt, auch wenn in Medien oder Internetforen oft das Gegenteil behauptet wird. Denn die Wärmepumpen würden immer effizienter, so Christ. Aber sie bräuchten im laufenden Betrieb Strom. „Also würde ich mir ansehen, ob das Dach der Familie für eine Photovoltaikanlage geeignet ist. Das macht auf jeden Fall Sinn, um eigenen Strom zu produzieren – auch ohne Wärmpumpe.“ Nach so einer Beratung sind alle schon viel beruhigter, weil sie wissen, was auf sie zukommt – aber auch, welche Chancen sich bieten, um auf lange Sicht Energie und Kosten zu sparen.

Vertrauen also ist wichtig für die Energie- und Wärmewende. Und Vertrauen entsteht am besten auf kommunaler Ebene, dort, wie die Menschen leben. Die Nähe nutzt Michael Christ auch in anderer Hinsicht: Er setzt darauf, dass sich Nachbarn inspirieren. „Wenn jemand eine Photovoltaikanlage bekommt, sieht das der Nachbar“, sagt Christ. „Und wenn er dann noch mitbekommt, dass alles funktioniert, dass der Nachbar vielleicht sogar ein E-Auto mit Sonnenstrom laden kann, dann will er das auch. Ich bin überzeugt, die Wende muss von unten kommen.“ Also ist es egal, was in Berlin oder Brüssel beschlossen wird? Nein! „Wir brauchen beides, die Politik muss die richtigen Stellschrauben drehen und einen verbindlichen, verständlichen Rahmen schaffen – aber die Motivation der Menschen, dabei mitzumachen, muss von unten kommen, das ist viel nachhaltiger“, sagt Christ.

Für Dettingen unter Teck hat Michael Christ einen Wettbewerb ins Leben gerufen, orientiert an einer Geschichte: Ein Waldmonster greift die Stadt an, es wird immer wilder, weil es mit Klimagasen gefüttert wird. Es geht nicht darum, das Monster zu bekämpfen, sondern es zu beruhigen – indem es weniger Futter bekommt. Mehrere Teams in Dettingen machen mit und kämpfen gemeinsam, ihren CO2-Fußabdruck zu verkleinern. Auf einer Homepage wird dokumentiert, welche Aufgaben die Teams erledigen. Und auch, wenn es immer wieder Kritik an dem Ansatz gibt, dass sich jede(r) Einzelne fürs Klima einsetzen soll, erlebt Christ: „Wenn du siehst, was du mit einem Balkonkraftwerk und neuen LED-Lampen erreichst, dann macht dich das hungrig auf mehr Klimaschutz.“

Denn auch das gehört zu Michael Christs Job: „Bei dieser ganzen Klimaangst möchte ich ein bissle Klimahoffnung geben.“ – Dass wir es am Ende doch schaffen, die Klimaziele zu erreichen.

 

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Vielen Dank für diesen differenzierten Artikel, der einiges geraderückt - bis auf für die vielen Leser, die nur die Überschrift lesen und in ihrer Meinung bestärkt werden. Bringt zwar Klicks, feuert aber die von Fehlinformation vergiftete Debatte weiter an.

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