Dorothea Heintze Indien Dorf im Himalaya
Dorothea Heintze
Erde und Wasser
Lehm ist ein jahrtausendealter Baustoff – in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern wird damit gebaut. Und das ist ganz schön zeitgemäß; zeitgemäßer jedenfalls, als die Massen an umweltschädlichem Beton, die hierzuland verbaut werden.
Tim Wegner
19.05.2022

Vor einigen Jahren war ich mehrere Wochen lang in Indien unterwegs. Im Auftrag von Brot für die Welt besuchte ich verschiedene Hilfsprojekte und schrieb darüber. Eine sehr spannende Tour führte mich in den Himalaya, in zwei Dörfer des traumhaft schönen Kangra-Tals. Die Sonne schien, in der Ferne blitzten die Hügel des schneebedeckten Himalaya. Es war wie im Bilderbuch.

Natürlich ist und war das nicht die Realität. Der Fotograf Florian Lang und ich recherchierten zum Thema „Ernährungssicherheit“ und es brauchte nur einige Gespräche, um die Diskrepanz zwischen der schönen Kulisse im Sonnenschein und der Alltagsrealität der hier lebenden Menschen zu erfassen.

Doch hier geht es nicht um den dort oft vorherrschenden Hunger, eine fehlende medizinische Versorgung oder Schulbildung, sondern um einen Eindruck von damals, den ich fast körperlich nachfühlen kann, wenn ich mir dieses Foto wieder einmal ansehe:

Gastfreundschaft mit Chai in der Hütte

Wir hatten schon das halbe Dorf befragt, dazu den lokalen Ayurveda-Arzt, die Kinder und die Lehrerin und irgendwann lud uns eine der netten Frauen in ihr Haus: Ihre Tochter hätte Tee für uns bereitet.

Ein Wohlgefühl

Es ist ja immer ein wenig schräg, so als vollkommen fremder Mensch in die Privatsphäre von anderen einzudringen. Umso schöner, dass wir uns wirklich willkommen fühlten. Doch es war nicht nur der köstliche, würzig-scharfe Chai-Tee, das hübsche Tablett mit Teetassen und die netten Gespräche, die mich damals so beeindruckt hatten – als wirklich faszinierend empfand ich das Raumgefühl innen: Draußen war es heiß, drinnen kühl; die Räume waren rund und geschwungen, Licht fiel durch die Fenster. Ja, hier herrschte Armut, aber auch ein „Wohlgefühl“, das ich damals gar nicht so richtig deuten konnte.

Nun las ich einen Artikel über die deutsche Architektin Anna Heringer im Magazin der Süddeutschen Zeitung. Anna Heringer gilt als Vorreiterin des nachhaltigen Bauens in Deutschland. Ihr Lieblingsbaustoff: Lehm.

Im Text ist immer wieder die Rede von dem „warmen“ Baustoff Lehm, der aus Erde und Wassermatsch geformt wird und der auch in modernen Lehmbauten ein Raumempfinden des sich „Wohlfühlens“ erzeuge. Genau so wie damals in der Huette im Himalaya.

Eine Schule oder ein Hochhaus aus Lehm

Anna Heringer erzählt in dem Text, wie sie dazu kam, mit Lehm zu bauen (ein freiwilliges soziales Jahr in Bangladesh nach dem Abi und ein Kurs bei dem österreichischen Keramikkünstler und Lehmexperten Martin Rauch über Stampflehm) und wie modern und zeitgemäß dieser Baustoff auch für uns in den Industrieländern sein könnte. Sie selbst baut längst ganze Häuser oder auch eine Schule aus Lehm, sie träumt von einem Lehm-Hochhaus und arbeitet konkret an Unterkünften aus Lehm für ein Flüchtlingscamp in Bangladesh. Lehm, so betont sie immer wieder, gehöre zu den nachhaltigsten Baustoffen überhaupt: Erde und Wasser. Lehm kommt aus der Erde, geht wieder dahin zurück. Der perfekte Kreislauf, mit ihren eigenen Worten aus dem Artikel zitiert: „Man kann es endlos ohne Qualitätsverlust recyceln und wieder in die Natur rückführen, ohne Narben zu hinterlassen.“

Doch wir bauen weiter mit immer mehr Beton

Bauen ohne Narben – ein schönes Bild. Denn wenn mir zurzeit eines auffällt, dann sind es die vielen „Narben“, die das Bauen, ob nun auf dem Land oder in der Stadt, hinterlässt. Beton heißt der Baustoff unserer Gegenwart und mit Sicherheit brauchen wir auch Beton. Aber wirklich so viel? Wirklich so ausschließlich? Warum gibt es nicht mehr Buntheit? Mehr Abwechselung in deutschen Städten oder auf dem Land?

In dem Artikel (und auch in vielen anderen über sie und von ihr) erzählt Anna Heringer immer wieder, dass ihre Neugier auf diesen alten, neuen Baustoff auch etwas mit ihrem Frausein zu tun habe. Frauen seien einfach experimentierfreudiger, meint sie. Doch ob nun in Deutschland oder in der Welt, die Architektur ist immer noch vorwiegend männlich. Aber: Anna Heringer sagt auch, dass in ihren Kursen immer mehr Frauen sitzen. Es gibt also Hoffnung.

Ich habe gerade in letzter Zeit viele tolle, auch jüngere Architektinnen, kennengelernt. In diesem Video spreche ich mit zweien von ihnen. Wenn ich sie das nächste Mal treffe, frage ich sie mal, was sie so von Lehm als Baustoff halten.

Zum Thema Frauen in der Architektur, hier noch ein Film- und ein Podcasttipp.

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Kolumne

Dorothea Heintze

Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß aus eigener Erfahrung: Das eigene Wohnglück finden ist gar nicht so einfach. Dabei gibt es tolle, neue Modelle. Aber viele kennen die nicht. Und die Politik hinkt der Entwicklung sowieso hinterher. Über all das schreibt sie hier.