Der Popstar, der dem Tod trotzen wollte
Der Popstar, der dem Tod trotzen wollte
United Archives/Imago
Der Popstar, der dem Tod trotzen wollte
Johnny Cash starb vor 20 Jahren. Er ließ sich weder musikalisch, noch religiös etwas vorschreiben. Jetzt hat chrismon-­Mitarbeiter Uwe Birnstein ein Buch über das bewegte Leben des Künstlers geschrieben.
Maren Kolf
01.09.2023

Johnny Cash musste als Kind viel ertragen. Erst starb sein Bruder Jack, den er so liebte. Und wenn er Trost in der Musik suchte, pfiff der Vater ihn zurück: "Vergiss die Gitarre! So wird nie etwas aus dir!" Und der Vater setzte noch eins drauf: "Jammerschade, dass du es nicht warst statt Jack!" Gegen den Verlust des Bruders half kein Aufbegehren. "Meine Arme sind zu kurz, um mit Gott zu boxen", sagte Cash später.

Aber gegen den väterlichen Versuch, seine Träume zu zerschlagen, half Trotz. Um von zu Hause wegzukommen, meldete Cash sich zur US Air Force. Drei Jahre lang fing er am bayerischen Standort Penzing russische Funksignale ab. 1954 kehrte er in die USA zurück und fand zwei Kumpel zum Musikmachen, "Johnny Cash and the Tennessee Two", das klang gut. Beim ersten Auftritt in einer Kirche zog Johnny sich schwarz an. Das Image des "Man in Black" war angelegt.

Elvis Presley hatte gerade seinen ersten Hit produziert. Das spornte Johnny an. Er nervte den Studiobesitzer, bis er Aufnahmen machen durfte. "Cry, Cry, Cry", "Folsom Prison Blues", "I Walk the Line" – mit jeder Single stieg der Erfolg: Auftritte in den ganzen USA, eine eigene Fernsehshow folgten. Gegenüber Nein­sagern blieb er widerständig. Als die Plattenfirma sich weigerte, Gospels zu veröffentlichen, wechselte er zu einer anderen. Als die kein Konzert im Gefängnis aufnehmen wollte, tat er es trotzdem. "Johnny Cash at ­Folsom" wurde zum Mega-Erfolg. Geld floss in Strömen. So sehr, dass er seine ­Eltern in die Nähe holen konnte – auch ­seinen Vater.

Der wurde ruhiger, trank nicht mehr, Gott sei dank. Dafür versuchte Johnny nun mit Aufputschmitteln, sein Leben zu wuppen. Das endete in Exzessen und Festnahmen. Seine Ehe scheiterte, dass er die vier ­Töchter ­zurückgelassen hatte, belastete sein Gewissen sehr. Als er ganz unten war, wollte er sich umbringen. Er kroch in eine Höhle, um zu sterben. Dort ­wurde ihm jedoch klar: Nicht er, sondern Gott bestimmt den Zeitpunkt. In einer baptistischen Kirche in Nashville fand er zum Glauben an Jesus zurück.

Seine Frömmigkeit sprach sich zu Billy Graham herum, dem damals populärsten Evangelisten der USA. Klug, dass er sich mit Johnny anfreundete. So hatte er einen Superpromi in seinen Megaglaubens-"Kreuzzügen". Cash bekannte sich auch in eigenen Shows zum Glauben. So beseelt war er von Jesus, dass er in Israel gar ein Dokudrama über ihn drehte. Ehefrau June Carter mimte Maria Magdalena. Der Film war selbst für Amerika zu kitschig, er floppte. Cash ließ sich nicht beirren. Er schrieb ein Buch über den Apostel Paulus, las das Neue Testament als Hörbuch ein.

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Fundamentalistisch angehauchter Glaube war Cash aber zu eng. Seit Mitte der 60er Jahre trug er stets ein Buch Khalil Gibrans bei sich – des modernen Mystikers, der die Liebe als religionsverbindendes Element beschwor. Es habe seine Eltern spirituell miteinander verbunden, sagte jüngst sein Sohn John Carter Cash. Ein fundamentalistischer Jesusprediger und ein interreligiöser Mystiker, passt das zusammen? Bei Johnny Cash schon. Erstaunlich.
Gezeichnet von Krankheit und ­Lebenstragik wurde er musikalisch zusehends offener. Hip-Hop-Produzent Rick Rubin nahm ihn unter die Fittiche. Mit den "American Recordings" feierte er Alterserfolge. Auf den Covern wirkte er wie ein biblischer Prophet. Cash, die Ikone. Jeden Tag saß er im Studio und sang, sang, sang. So versuchte er, dem Tod zu trotzen.

Mit 71 Jahren, am 12. September 2003, starb er in der Gewissheit des Songs "Wayfaring Stranger": I’m ­going there over Jordan. Er freute sich, dort auch seine Eltern wiederzusehen. Da gab es wohl einiges zu besprechen.

Uwe Birnstein: Walk on, Johnny Cash! – Warum der "Man in Black" am liebsten Gospels sang und Trost im Glauben fand. Verlag Neue Stadt 2023, 160 Seiten, 20 Euro.

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Sehr geehrte Damen und Herren,
wie wohl Herr Birnstein die Antigenderhymne "A Boy named Sue" einordnet?
Mit freundlichem Gruß
Christian Coulin

Was meinen Sie mit Antigenderhymne? Dass es Gendern damals nicht gab? Dass der Song trotz der Gewaltschilderungen eine berührende Erkenntnis von jemandem enthält, der es nicht leicht hatte im Leben - und später, nicht zu spät, fügte sich alles?

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