Standpunkt - Kostbarer als Diamanten
Standpunkt - Kostbarer als Diamanten
Tatjana Prenzel
Kostbarer als Diamanten
Eine lange Liebe ist viel wert. Damit sie hält, braucht es keine teuren Geschenke, sondern Zuwendung, Respekt und einen wohlwollenden Blick.
Werner BartensPrivat
22.10.2020

Vorgelesen: Standpunkt "Kostbarer als Diamanten"

Endlich wollte sich das Paar einen Abend zu zweit gönnen. Seit Jahren waren sie kaum dazu gekommen, die Kinder zu klein, die ­Erschöpfung zu groß. Doch jetzt war der Babysitter organisiert, die Zaubervorstellung gebucht. Noch zehn Minuten, bisher war er nicht zu sehen. Mit dem Gong zur Vorstellung ging sie in das Zelt, allein. Voller Wut konnte sie das Varieté kaum genießen. Zu Hause dann Entschuldigungen und die Beteuerung, dass so etwas nie mehr vorkommen würde. Er bat um Verzeihung, sie war verletzt. Am nächsten Tag brachte er einen Armreif und Blumen für sie mit.

Werner BartensPrivat

Werner Bartens

Werner Bartens, 54, ist Arzt, ­Historiker, Sachbuchautor und leitender Redakteur im Wissen­schafts­ressort der "Süd­deutschen Zeitung". Im September 2020 erschien sein ­neuestes Buch "Lob der langen Liebe. Wie sie gelingt und warum sie unersetzbar ist" im Rowohlt Berlin Verlag.

Halt, Stopp, Schnitt – so nicht. Wenn Paare in die Jahre kommen und etwas schiefläuft, ist der Frust groß. Doch als Rettungspaket für die ­lange Liebe braucht es keine teuren ­Geschenke. Hilfreicher wäre etwas Kostbareres: ein Freundlichkeitsangriff mit Zeit und unbedingtem Wohlwollen. Am ersten Tag wird der Partner überrascht sein von der un­erwarteten Verwöhnattacke, am zweiten die Zuneigung genießen – und am dritten nicht anders können, als liebevoll zu reagieren.

Damit dies gelingt, haben wir ­unsere körpereigene PR-Abteilung praktischerweise zwischen den ­Ohren. Wie ich die Partnerin sehe, hängt von meiner Einstellung ab. Es geht um die Nuancen in der Wahrnehmung des anderen. "Sie ließ sich beizeiten von ihm scheiden, weil er Witze um die entscheidende Nuance zu langsam erzählte", lautet ein Bonmot Kurt Tucholskys über den Niedergang einer Ehe. Aus einer charmanten Eigenschaft wird eine Marotte, dann eine Macke, schließlich ein Ärgernis.

Warum fand man den anderen mal toll?

Und da man schon dabei ist, sich in eine Abwärtsspirale aus Nörgelei hineinzusteigern, werden hässliche Bilanzen erstellt: Dann überwiegen die Probleme. Hinzu kommt die des­truktive Frage: Geht das nicht schon viel zu lange so? Der "innere Scheinwerfer" ist nur noch auf das gerichtet, was nicht klappt. Beide ziehen sich zurück und ein Streit lässt sich aus den Satzbausteinen "Nie machst du" und "Immer willst du" zusammensetzen.

Hat man sich die Negativbrille einmal aufgesetzt, fällt einem vor allem auf, was der Partner nicht kann, nicht hat. Wer den Partner oder die Partnerin so unfair bewertet, hat vergessen, warum er sich einst für sie oder ihn entschieden hat. Vielleicht fand sie damals gerade das so attraktiv und witzig, was ihr heute auf die Nerven geht? Zudem ist es geradezu absurd, dass Menschen erst nach fünfzehn Jahren Ehe auffallen sollte, dass ihr Partner schweigsam, handwerklich ungeschickt oder was auch immer ist. Vermutlich konnte er auch früher ­keinen Nagel in die Wand schlagen.

In einer Partnerschaft sollten sich beide auf das besinnen, was sie aneinander haben. Hilfreich ist eine Übung, die vielen Paaren schwerfällt: Man sagt sich, was man aneinander gut findet: "Ich finde es gut, wie ­offen du auf andere zugehst." Oder: "Ich mag es, dass du dich nicht leicht unter­kriegen lässt." Das ist zwar keine feurige Liebeserklärung, aber Balsam auf die Seele dessen, der ihn hört.

Sich selbst ändern

Kommen hingegen alle Probleme geballt auf den Tisch, droht der ­Partner von den Vorwürfen er­schlagen zu werden – und geht in ­Deckung. Beide stehen sich gegenüber wie im Duell. In diesem Zustand ist ein hilfreiches Gespräch kaum möglich. Um Schwierigkeiten zu ­meistern, müssen beide respektvoll miteinander um­gehen und vermitteln: Ich sehe dich, ich höre dich. Dann ist es möglich anzunehmen, was den ­anderen bewegt, und sich nicht sofort angegriffen zu fühlen. Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass man nur ­einen einzigen Menschen ändern kann – und zwar sich selbst. Das ist banal und doch schwer umzusetzen.

Es ist beeindruckend, was man bewirken kann, wenn man als gutes Beispiel ­vorangeht. Der Partner oder die Partnerin wird sein Verhalten auch bald ­ändern. Etliche Studien zeigen, dass die Zufriedenheit in der Partnerschaft auch dann steigt, wenn nur eine ­Seite die Initiative ergreift. Das eigene Verhalten freiwillig zu ändern, hat erfreuliche Nebenwirkungen. Es zeigt einerseits, wie leicht das geht und vermittelt andererseits das wichtige Gefühl, nicht hilfloses Opfer im Beziehungsknatsch zu sein.  

Dazu gehört auch, Alltagsrou­tinen zu hinterfragen. Es ist ein verständlicher Wunsch: sich zu Hause so verhalten zu können, wie man es möchte. Sich gehen lassen. Wenn beide den Jogginghosen-Look schön finden, okay. Oftmals stört sich aber einer der Partner daran und fasst es nicht als legeren Stil, sondern als ­Respektlosigkeit auf. Ähnlich ist es im Gespräch. Wenn einer den anderen nicht mehr ausreden lässt, ist das ein Zeichen dafür, dass die Aufmerksamkeit gegenüber dem Partner oder der Partnerin nachlässt.

Respekt im Alltag

Wenn sich Partner in der Be­ziehung gehen lassen, wird das gern damit erklärt, dass es eine Liebesbeziehung ausmacht, sich nicht verstellen zu müssen. So verständlich der Wunsch ist, in allen Situationen geliebt zu werden, so unrealistisch ist er. Das hat nichts mit bedingungsloser Liebe zu tun. Vielmehr ist es hilfreich, sich gegenseitigen Respekt auch im Alltag zu erweisen und damit zu signalisieren: Du bist es mir wert, deshalb gebe ich mir Mühe. Weil der Erhalt der Liebe eben nicht selbstverständlich ist.

Oftmals zeigen sich Respekt und Rücksicht in Äußerlichkeiten und ­einer Gesprächsform, die nie über­griffig wird. Im alltäglichen Miteinander kann das anzeigen: Ich denke an dich, ich tue dir den kleinen Ge­fallen und achte außerdem auf mich, auf meine Kleider, meine Manieren – und damit auch auf dich. Die wenigsten Menschen kommen auf die Idee, ihren Partner nach Jahren der Gemeinsamkeit noch so behutsam zu behandeln wie ein wertvolles Geschenk.

Beide haben es in der Hand, ihr Miteinander zu pflegen. Dabei hilft Humor und die eigenen Launen nicht so ernst zu nehmen – und vor allem nicht ungefiltert am Partner auszu­lassen. Der kann meistens am ­wenigsten dafür. Wer zum Be­ziehungsrüpel wird, ist nicht authentisch, sondern rücksichtlos.

Alte Liebe ist besser als neue Probleme

Viele Menschen erwarten zudem auch nach 15 Jahren Partnerschaft wilde Leidenschaft, unendliche ­Romantik. Dabei schließen sich die Zustände akuter Verliebtheit und ­langer Liebe aus, diese Aufregung wie beim ersten Mal würde niemand auf Dauer aushalten. Und es geht auch hormonell nicht. Nach vier Jahren Beziehung ist physiologisch der Partnerschaftstiefpunkt erreicht. Weil junge Paare den Übergang von der Verliebtheit zur Langstrecke oft nicht hin­bekommen, trennen sich viele nach vier, fünf Jahren. Sie verpassen innige Vertrautheit, Seelenverwandtschaft und Nähe.

Leicht ist das Zusammen­bleiben allerdings auch in den besten Jahren nicht. Viele überfrachten auch dann noch die Liebe mit zu hohen Erwartungen. Gerade die grau gewordene Stones-­Generation kreist selbstverliebt um sich und neigt zu Schaden-Nutzen-­Bilanzen auf ihrem Beziehungskonto: Bringt mir das noch was? Habe ich nicht viel verpasst? Wer so berechnend an etwas Irrationales wie die Liebe herangeht, hat schon verloren.

Weil keine Generation zuvor so ichbezogen war wie die zwischen 1950 und 1975 Geborenen, nimmt der Anteil der grauen Scheidungen, der "Grey Divorces", seit Jahren zu. Wenn die Kinder mit 15 oder 17 Jahren "aus dem Gröbsten raus" sind, kann man sich auch nach vielen Ehe- oder Beziehungsjahren keineswegs mehr sicher sein, dass die Bindung weiterhin hält.
Aber auch in neuen Beziehungen trifft man dann als Erstes einen ­alten Bekannten – sich selbst. Meistens geht die neue Liaison noch schneller in die Brüche. Kein Grund also, die lang­jährige Partnerschaft vorschnell zu entsorgen. Besser wird’s nicht – oder nur in den seltensten Fällen. ­Alte Liebe ist besser als neue Probleme.

Dass die Liebe auf Dauer bleiben kann, haben Jero und Adriana im ­spanischen Fernsehen vorgeführt. Ihnen gelang es vergangenen Winter, eine Datingshow für Singles zu gewinnen. Beide sind über 60, doch kein anderes Paar konnte so überzeugend zeigen, wie verliebt sie ineinander ­waren. Sie herzten und verwöhnten sich gegenseitig und hatten nur Augen für einander. Später stellte sich heraus, dass sie schon jahrelang verheiratet waren. Ja, miteinander.

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Liebe ist das untrügliche Gefühl, dass der Partner die Eigenschaften schenkt, die man an sich selbst vermißt.

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