Campino - Lass uns ein paar Jahre weitermachen
Campino - Lass uns ein paar Jahre weitermachen
Dirk von Nayhauß
"Lass uns ein paar Jahre weitermachen"
Das wünscht sich Campino. Mit der Band, mit dem Leben überhaupt. Nicht mehr so exzessiv wie früher – es sei denn, es geht um Fußball.
Dirk von Nayhauß
22.10.2020

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Spielt der Liverpool FC, bin ich superintensiv drin. Ich versuche, jedes Spiel live zu sehen, möglichst im Stadion, notfalls am Fernseher. Sobald es losgeht, merke ich, dass sich mein Magen zuzieht. Irgendwann muss ich mich zurechtrücken und mir sagen: "Das spielt für dein Leben ­keine Rolle!" Aber mit Haut und Haaren dabei sein be­deutet, dass man niedergeschlagen ist, wenn die Mannschaft verliert. Nur dann kann das Triumphgefühl ­hundertprozentig sein.

Campino - Andreas FregeŸDirk von Nayhauß

Campino

Campino, geboren 1962 als Andreas Frege, ist Sänger und Texter der "Toten Hosen". Gerade erschien sein erstes Buch "Hope Street. Wie ich einmal englischer Meister wurde", ­in dem er über seine Familie schreibt, seine Begeisterung für den Liverpool FC, seine Liebe zu England (Piper, 22 Euro). ­Campino ist verheiratet, hat einen Sohn und lebt in Düsseldorf und Berlin.
Dirk von Nayhauß

Dirk von Nayhauß

Dirk von Nayhauß absolvierte die Journalistenschule Axel Springer und studierte Psychologie in Berlin. Er arbeitet als Journalist, Buchautor und Fotograf (vertreten durch die renommierte Fotoagentur Focus). Für chrismon macht er die Interviews und Fotos der Rubrik "Fragen an das Leben".

Was können Erwachsene von Kindern lernen?

Es war wohl eine Fügung, dass ich vor 16 Jahren Vater ­wurde. Bis dahin habe ich den Kontrollverlust geliebt. ­Zwischen 20 und 35 wollte ich dem Teufel ins Gesicht ­lachen: Wenn ich bei Konzerten in 20 Meter Höhe mit einem Bein von der Lichttraverse hing. Oder als ich in Havanna nachts im 40. Stockwerk von einem Balkon auf den anderen gesprungen bin. In einer Silvesternacht bin ich zu sechs Einladungen gehetzt und saß in Wirklichkeit die meiste Zeit im Bus oder Taxi. Bloß nichts verpassen! Das hat alles nachgelassen. Es gab ein Schlüsselmoment. "Faith No More" spielte in Berlin, ich hatte mich wahnsinnig darauf gefreut. Mein Sohn war damals fünf, sein deutlich älterer Cousin sollte auf ihn aufpassen. Als ich an der Tür stand, sah ich Tränen in seinen Augen. Er sagte: "Manchmal müssen Jungen auch weinen." Da war für mich klar, dass ich nicht hingehe. Das Konzert war nicht mehr wichtig. Kinder bringen uns dazu, unsere Prioritäten neu zu setzen.

"Ich möchte kleine Zeichen hinterlassen"

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Da sind diese Momente von Herrlichkeit: Der Blick in den wolkenlosen Himmel, man sieht die Sterne und spürt, wie klein die Dinge sind, die einen stressen, und wie weit das Leben sein kann. Ich ziehe mich manchmal in ein Kloster zurück, Abt Stefan ist ein Freund von mir. Ich habe dort ­eine unglaubliche Toleranz erfahren. Den Mönchen war klar, dass ich aus der Kirche ausgetreten bin, sie haben trotzdem gesagt: "Du kannst beim Abendmahl dabei sein, mach es so, wie du dich fühlst." Ich weiß, dass ich als letzten Zufluchtsort dort immer eine Kammer bekäme. Sobald ich durch die Tore gehe, fällt Druck von mir ab – und ich kann mich konzentrieren, Probleme lösen.

Muss man den Tod fürchten?

Manchmal saß ich im Flugzeug und dachte: Ist egal, wenn ich jetzt abstürze. In anderen Momenten dachte ich: Bloß nicht jetzt, die Veröffentlichung der nächsten Platte will ich noch erleben! Ich habe ein Testament und aktualisiere es ­alle paar Jahre. Dabei wird einem bewusst, welche Be­ziehung oberflächlich ist. Wenn es mich erwischt, möchte ich geordnet sein. Und ich möchte kleine Zeichen hinter­lassen: Dinge, mit denen meine Familie, meine Freunde sich an gemeinsame Momente erinnern können; mit denen ich ­zeigen kann, wie dankbar ich ihnen bin.

"Ich liebe dich trotzdem - das ist für mich der große Satz"

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Liebe – das kann dein Partner sein, deine Familie, aber auch ein gutes Gespräch mit dem Taxifahrer, der aus seinem Leben erzählt. Am Ende muss Liebe drunterstehen. Ich hatte immer vor zu heiraten, aber nur einmal. Im letzten Jahr war es so weit, und da war keine Sekunde Nervosität, kein Zaudern, das fühlte sich absolut richtig an. Früher wollte ich mir immer ein Hintertürchen offenhalten, das ist lange vorbei. Als gegenseitiges Bekenntnis finde ich die Heirat sehr schön. Da ist das tiefe Vertrauen, dass man einander nicht verbiegen will. "Ich liebe dich trotzdem" – das ist für mich der große Satz.

Wie wäre ein Leben ohne Disziplin?

Ich stelle es mir nicht schön vor. In über 40 Jahren habe ich vielleicht fünf Proben blaugemacht. Und ich tue gut daran, den Tag zu strukturieren, dann bin ich abends deutlich erfüllter. Disziplin bedeutet für mich aber auch, dass man sein Hotelzimmer ordentlich hinterlässt. Wer bin ich, dass andere hinter mir herräumen müssen? Das war früher anders, da haben wir auch mal ein Hotelzimmer verwüstet. Und am Ende kommst du kleinlaut zur Rezeption und zahlst den Schaden.

Welchen Traum möchten Sie sich noch erfüllen?

Wenn ich einen Wunsch hätte, dann in dieser Konstellation mit der Band weiterzuspielen. Und noch eine Weile gesund zu bleiben, das Leben intensiv zu spüren. Wenn mich der liebe Gott fragte: "Was hättest du noch gern?", würde ich sagen: "Lass uns ein paar Jahre weitermachen."

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