Wolfgang Niedecken
Wolfgang Niedecken
Dirk von Nayhauß
Mit dem Herrgott einen trinken gehen
Das würde Wolfgang Niedecken gern mal. Er ist 51 Prozent gläubig – und dass es ihm nach dem Schlaganfall wieder gut geht, hat wahrscheinlich mit dem "Chef" zu tun
Dirk von Nayhauß
29.05.2019

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Ohne Familie könnte ich nie existieren. Sie gibt mir Halt, sie ist meine Heimat. Manchmal, wenn es mir schlecht geht, verstelle ich mich. Aber meine Frau kann Gedanken lesen. Meine Töchter auch. Ich habe viel von meinen Kindern gelernt. Hatten sie früher ein Problem, habe ich oft versucht, ihnen zu erklären, welche Lösungen es geben könnte. Die Jüngste meinte irgendwann: "Nimm mich einfach in den Arm und sag mal ’ne Zeit lang nichts – da kann ich viel mehr Kraft schöpfen."

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Ich habe eine Art agnostisches Beten für mich entwickelt, dann rede ich mit Gott, wie unter Kumpels, wie der Priester in den alten Don-Camillo-Filmen. Meist ist das recht ­flapsig: "Wat meinste Chef, ess dat okay?" Es gibt auch Zeiten, wo ich denke: Du hast dich zu lange nicht mehr mit ihm unterhalten. Dann kriege ich ein schlechtes Gewissen. Ich würde mit dem Herrgott gern mal einen trinken gehen. Ich halte ihn für sehr sympathisch. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er sagt: Bleib in der Spur, zweifele nicht zu viel. Ich hatte unglaublich viel Glück in meinem Leben! Dass ich in dem Beruf gelandet bin, für den man mich kennt. Dass ich mit meinem Hobby vier Kinder großziehen konnte. Und dass bei meinem Schlaganfall alles gut gegangen ist. Ich selbst habe gedacht, mir ist nur ein bisschen flau. Aber ­meine Frau wusste sofort, was zu tun ist, ich war innerhalb einer halben Stunde in der Stroke Unit. Dort sind sie über die Hauptschlagader mit einer Sonde bis ins Gehirn und haben das Blutgerinnsel rausgeholt. Also, da hat schon einer die Hand über mich gehalten. Das ist, als würde er zu mir sagen: "Komm, bleib. Bleib bei deinen 51 Prozent Glauben."

"Sich Hängenlassen gilt nicht"

Muss man den Tod fürchten?

Der Schlaganfall hat vieles verändert. Lange habe ich überhaupt nicht daran gedacht, dass das Leben irgendwann mal zu Ende geht. Das war, wie wenn man am Meer sitzt: Man guckt raus, man sieht den Horizont, und es ist klar, dahinter geht es weiter. Heute bin ich 68 und denke: Der Horizont ist weit weg, ob ich da noch jemals hinkomme? Ich möchte die letzten Jahre keine Schmerzen ertragen. Aber den Tod selbst, den fürchte ich nicht. Ich glaube, ich kann loslassen.

Wolfgang NiedeckenDirk von Nayhauß

Wolfgang Niedecken

Wolfgang Niedecken, geboren 1951, ist seit über 40 Jahren Kopf der Kölner Rockband BAP. Von 1962 bis 1970 besuchte er ein katholisches Internat, verließ ohne Abitur die Schule und studierte dann Malerei an der FH Köln. Mit Liedern wie "Verdammp lang her" und "Du kanns zaubre" gelang BAP 1982 der Durchbruch, bis heute hat die Band 23 Alben produziert. Sein Leben hat Niedecken in den beiden Büchern "Für´ne Moment" und "Zugabe" beschrieben. Er ist verheiratet, hat vier erwachsene Kinder und lebt in Köln. Am 27. Juni 2019 startet die Tournee von Niedeckens BAP.
Dirk von Nayhauß

Dirk von Nayhauß

Dirk von Nayhauß absolvierte die Journalistenschule Axel Springer und studierte Psychologie in Berlin. Er arbeitet als Journalist, Buchautor und Fotograf (vertreten durch die renommierte Fotoagentur Focus). Für chrismon macht er die Interviews und Fotos der Rubrik "Fragen an das Leben".

Wer oder was hilft in der Krise?

Man muss sich immer wieder am Schlafittchen packen und hochziehen. Hängenlassen gilt nun mal nicht. Nach dem Schlaganfall standen die Ärzte mit Bedenkenträgermienen um mich herum und versuchten, nett zu sein. Ich habe mit meiner linken Hand den Daumen hochgestreckt, den rechten Daumen konnte ich nicht bewegen. Ich ­wusste: Es wird wieder gut. Das hat wahrscheinlich mit dem Chef zu tun. Anfangs dauerte es sechseinhalb Minuten, bis ich mit den Buchstaben R-H-U das Wort "Uhr" legen konnte. Hat man mir unter einem Tuch Schmirgelpapier und Marmor in die Hand gegeben, konnte ich das nicht von­einander unterscheiden. Die Menschen wundern sich heute, dass man nichts mehr merkt. Alles ist wieder okay!

Haben Sie Rachegefühle?

Nein. Obwohl ich als Kind von einem Priester missbraucht wurde. Mein Vater war sehr gläubig, ich bin katholisch ­er­zogen worden mit Kommunion und Messdiener, später kam ich auf ein katholisches Internat. Als ich 13, 14 ­Jahre alt war, hat uns Pater L. – ein sadistischer Päderast – so lange 
Latein­vokabeln abgefragt, bis wir uns verheddert ­haben. Dann wurden wir mit einem Stock, den wir selbst im Stadtpark schneiden mussten, geschlagen. Um Mitternacht ­durften wir endlich ins Bett gehen, aber immer ­wieder hat er einen noch mal aus dem Schlafsaal geholt – und dann mussten wir bei ihm auf den Schoß. Mein Vater hat es zu­fällig mitbekommen, er hatte mich zu Hause unter der Dusche gesehen, die Striemen auf meinem Rücken, auf meinem Hintern. Da habe ich es ihm erzählt, aber mit einem schlechten Gewissen: Wir wurden ja bestraft, weil wir etwas nicht konnten. Am nächsten Tag fuhr er zum Inter­nat und der Kerl wurde versetzt. Das Schlimmste ist die eigene Gerichtsbarkeit, die sich die Kirche aufsetzt. Man hat den Pater nur unter Beobachtung gehalten und zu­gesehen, dass er nichts mit Jugendlichen zu tun hatte. Ich bin froh, dass ich nicht traumatisiert wurde! Einer der Jungs, die bei mir auf dem Internat waren, hat sich vor ein paar Jahren umgebracht. Ich habe lange überlegt, ob ich Pater L. noch mal treffen will. Aber ich bin nicht wirklich zu einem Ergebnis gekommen. Er ist alt und blind, er wird schon gebüßt haben.

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