Ziviler Ungehorsam -  Schwester Megan Rice
Ziviler Ungehorsam - Schwester Megan Rice
Dermot Tatlow/laif
"Ich bereue nichts"
Sie saß zwei Jahre im Gefängnis für den spektakulärsten Einbruch in ein Atomlager in der Geschichte der USA. Megan Rice, 89, Nonne und Friedensaktivistin, protestiert immer weiter.
Johanna RothPrivat
20.12.2019

Auf der Veranda einer Holzvilla im ­Wa­shingtoner Stadtteil Brookland sitzt eine dünne alte Dame mit kurzer Strubbel­frisur. Wer die Stufen zur Haustür hochsteigt, wird herzlich umarmt, da mag man noch so höflich die Hand ausstrecken. "Es ist so schön, dass Sie hergefunden haben!", strahlt Megan Rice und geht voran ins hellblau gestrichene Haus, langsam und ein wenig wacklig. Sie trägt Shorts und T-Shirt, an einem schmalen Band um den Hals baumelt ein silberner Anhänger mit dem Abzeichen ihres Ordens.

Eine Nonne stellt man sich anders vor. Erst recht ­eine Frau, die noch vor wenigen Jahren im Gefängnis saß. Und doch stimmt beides. Megan Rice, 89 Jahre alt, ist mitverantwortlich für den spektakulärsten Einbruch in eine nukleare Hochsicherheitsanlage in der Geschichte der Vereinigten Staaten.

Das Atomlager in Oak Ridge sollte strengstens bewacht sein: Rice bricht einfach ein

In den frühen Morgenstunden des 28. Juli 2012, als es noch stockdunkel ist, dringen sie und zwei weitere Aktivisten, bewaffnet mit Stirnlampen und Bolzenschneider, auf das Gelände des Y-12 National Security Complex in Oak Ridge im Osten des Bundesstaates Tennessee ein. Die Einrichtung entstand 1943 im Rahmen des Manhattan-Projekts zum Bau der ersten Atombombe; heute noch wird hier hoch angereichertes Uran gelagert. Es ist eines der am strengsten bewachten Gebäude der USA – zumindest sollte das so sein.

Rice und ihre Komplizen robben trotzdem durch ein Loch im Zaun, spritzen menschliches Blut, das sie und befreundete Aktivisten vorher gesammelt haben, aus Babyfläschchen an eines der Gebäude und ­rezitieren Bibelverse. Dann ergeben sie sich widerstandslos. "Der Zweck dieser Aktion damals war Aufmerksamkeit", sagt Megan Rice und lässt sich in die hellblau ­gemusterten Kissen auf dem Wohnzimmersofa sinken. "Wir wollen ein Bewusstsein schaffen bei den Menschen." Ein Bewusstsein dafür, dass die USA Jahrzehnte nach dem Kalten Krieg noch immer 6185 Atomsprengköpfe besitzen, 2000 davon einsatzbereit.

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Johanna Roth

Johanna Roth wunderte sich ­früher über den hohen Altersdurchschnitt der Friedensbewegten. Erst jetzt wurde ihr klar, ­wie wenig ihre Generation sich mit Atomwaffen beschäftigt.
Dermot TatlowPrivat

Dermot Tatlow

Dermot Tatlow, der Foto­graf, erlebte belustigt, wie sich die alte Dame mit Hilfe ihres Spazierstocks und einer Taxi-App für die Proteste vorm Weißen Haus rüs­tete - und mit heißer Schokolade.

"Was wir in Oak Ridge getan haben", sagt Rice, "deckt sich mit dem, was Jesus uns aufgetragen hat." Die ­Bewegung, in deren Tradition ihre Aktion steht, hat ein biblisches Motto: Swords into Plowshares, Schwerter zu Pflugscharen, es ist ein Zitat aus dem Alten Testament, Jesaja 2, Vers 4. Gemeint ist die Forderung, militärische Technologie in zivilen, friedlichen Nutzen umzuwandeln. "Disarm / Transform / Peace not War" haben die drei mit weißer Farbe an eine Mauer in Oak Ridge gesprüht. Blut zu verspritzen, ist ein elementarer Bestandteil der Plow­share-Aktionen. Es soll Nächstenliebe symbolisieren, die Bereitschaft, lieber das eigene Leben herzugeben, als anderen das Leben zu nehmen.

Immer freitags um zwölf Uhr demonstrieren Friedensaktivistenvor dem Weißen Haus, meist ist auch Megan Rice dabei (2. von rechts). Auf ihrer Tasche steht: Ban Nuclear Weapons - Verbietet Atomwaffen

Für Megan Rice ist ihre Aktion eine Selbstverständ­lichkeit als Pazifistin und Christin. Für die Regierung der Vereinigten Staaten eine Krise der nationalen Sicherheit. Was, wenn statt einer Nonne und zwei Pazifisten be­waffnete Terroristen ein Loch in den Zaun geschnitten hätten? Und so bekommen die drei tatsächlich die Aufmerksamkeit, die sie wollten. Zeitungen auf der ganzen Welt berichten über das ungewöhnliche Trio.

Nach dem Einbruch ins Atomlager: Drei Jahre Haft für die Atomgegnerin

Die unmittelbaren Konsequenzen aber treffen wenig überraschend nicht das Atomwaffenarsenal der USA. Megan Rice wird zu drei Jahren Haft verurteilt. Im Mai 2015, nach insgesamt zwei Jahren, kommt sie vorzeitig frei, nachdem ein Berufungsgericht das Urteil aufgehoben hat. Seitdem lebt sie hier in Washington im Ordenshaus der "Sisters of the Holy Child Jesus", denen sie schon fast ihr ganzes Leben lang angehört.

Bereuen tut sie nichts – höchstens das Berufungsverfahren. "Das Gefängnis zu verlassen, war hart", sagt Megan Rice. "Ich habe mich schlecht gefühlt, dass ich all diese Frauen allein gelassen habe." Ihr Lächeln wird noch ­breiter, als sie von den Freundschaften erzählt, die sie in der Haft geschlossen hat. Zu Michelle West etwa, einer Frau, verurteilt zu zweimal lebenslänglich plus 50 Jahre, "drug related murder". Zu Unrecht, wie Megan Rice findet. 2018 hat die Nonne ein Gnadengesuch für West an den US-Präsidenten geschickt. Erfolglos.

Anderen zu helfen, das hat sie schon immer ange­trieben. Im Alter von knapp 18 Jahren schließt sie sich den "Sisters of the Holy Child Jesus" an, weil deren Hilfs­projekte in afrikanischen Ländern sie begeistern. 40 ­Jahre lang arbeitet sie als Missionarin in Schulen in Nigeria und Ghana, weit weg von den Atomwaffen. Sie erlebt ­Malaria und Bürgerkrieg, bevor sie Ende der 1990er zur Pflege ­ihrer Mutter in die USA zurückkehrt. "Erst da hat mein Aktivismus so richtig angefangen", sagt sie heute. "Mir war klar, dass ich nicht in diesem Land würde leben ­können, ohne zu protestieren." Dutzende Male schon ist sie wegen zivilen Ungehorsams verhaftet worden.

"Meiner Mutter hätte das mit dem Gefängnis gefallen", Atomgegnerin Megan Rice

Es ist nicht nur ihr Glaube, der sie bewegt. Megan Rice wuchs als Tochter katholischer Akademiker am Riverside Drive in New York City auf. Ihre Eltern waren religiös und hatten eine rebellische Ader. Mutter Madeleine lehrte ­Geschichte und hatte über ein unbequemes Thema promoviert: das Verhältnis der Jesuiten zur Sklaverei. Der Vater, Frederick, forschte als Gynäkologe unter anderem zu Verhütung. Noch immer bewahrt Megan Rice einen dicken Ordner voll mit alten Rezeptblöcken und wissenschaftlichen Aufsätzen ihres Vaters aus den 1920er Jahren auf.

"Meiner Mutter hätte das mit dem Gefängnis gefallen", sagt Megan Rice. "Meine Schwester dagegen hat immer das Gesicht verzogen." Die Bewunderung für ihre Eltern hört man ihr deutlich an. Aber es gibt da noch eine ­dritte Person. Ihr Onkel Walter Hooke wurde als marine im Zweiten Weltkrieg in Japan stationiert. Während Megan als Teenager im Ferienlager in Maine war, erlebte er den Abwurf der Atombombe auf Nagasaki unmittelbar mit.

Die Atombombe von Nakasaki verändert das Leben der Familie Rice

"Meine Mutter", erinnert sich Megan Rice, "rief uns an und nannte die Bombe eine ,wundervolle‘ Erfindung, die den Krieg beenden würde, das weiß ich noch sehr genau. Aber dann kam mein Onkel aus Japan zurück, und er erzählte uns, was für eine schreckliche Zerstörung die Bombe angerichtet hatte. Sein ganzes Leben lang hat er sich danach gegen Atomwaffen eingesetzt." Walter Hooke, erzählt sie, rettete aus den Trümmern der Urakami-Kathedrale in Nagasaki ein hölzernes Kreuz, das er mit in die USA brachte. Vor wenigen Monaten erst wurde es zurück nach Japan überführt.

Der Bericht ihres Onkels prägt Megan Rices Leben bis heute. Deshalb nimmt sie in Kauf, dass ihre Mitschwestern – die alle jünger und berufstätig sind und für radikalen Protest eher wenig übrighaben – halb genervt, halb besorgt die Augenbrauen hochziehen, wenn in der Küche die Sprache auf Rices Aktivismus kommt. "Ich würde mich jederzeit wieder verhaften lassen", sagt sie selbst. "Aber ich versuche, es zu vermeiden, weil ich niemandem Umstände machen möchte. Ich könnte ja krank werden im Gefängnis."

Die Idee für den Einbruchin Oak Ridge hatte Megan Rice selbst. Sie wurde dafür zu drei Jahren Haft verurteilt, saß zwei Jahre ab

Tatsächlich kann man sich kaum vor­stellen, dass diese zierliche Frau, für die es eine Anstrengung ist, eine Packung Kirschsaft aus dem Kühlschrank zu ­wuchten, immer noch zu Streiks und Protesten geht. Nur eine "ganz leichte Herzgeschichte" habe sie, sagt Megan Rice, deshalb steige sie ungern Treppen. Beim Protestieren sei sie aber nie allein, da könne also nicht viel passieren.

Zur Anti-Atom-Demo mit dem Rentnerfahrdienst

Am nächsten Morgen ist Megan Rice schon bei Sonnen­aufgang auf den Beinen. Sie habe einen Spaziergang durchs Viertel gemacht, berichtet sie fröhlich, und mit dem Bus eine katholische Wohltätigkeitsorganisation besucht, die ihr Büro in der Nähe hat. Gegen Mittag steht der wichtigste Termin der Woche an. Rice schlüpft in ein Paar Sneaker, greift ihren Spazierstock und einen ­schwarzen ­Jutebeutel mit der Aufschrift "Ban Nuclear Weapons". Dann zückt sie ihr Handy und wählt die Nummer von "GoGo Grandparent", einem Fahrdienst für Rentner. Keine fünf Minuten später hält ein kleines weißes Auto an der Einfahrt. "Zum Weißen Haus, bitte!"

Dort, direkt am Zaun des Präsidentengartens, steht ein Zelt, das Friedensaktivisten 1981 errichtet haben. Jeden Freitagmittag um zwölf Uhr versammelt sich hier eine kleine Gruppe mit Schildern und umgehängten Transparenten. Auch Michael Walli ist dabei, einer der beiden Männer, mit denen Megan Rice 2012 in Oak Ridge eingebrochen ist. "Eine sehr ernsthafte Christin", nennt er sie. Fast alle hier haben schon mal im Gefängnis ge­sessen, aber niemand hat etwas vergleichbar Spektakuläres durchgezogen.

Ruhelos: Die 89-Jährige vergisst bei der Demo ihren Gehstock

"Megan ist eine Prophetin, für die Kirche und für die Welt", sagt Arthur "Art" Laffin, ein katholischer Sozial­arbeiter, der einen Essayband über die Plowshare-Bewegung herausgegeben hat und Megan Rice seit Jahren kennt. "Den Mut und das Gottvertrauen muss man erst mal haben, ein solches Opfer zu bringen." Michael Walli ergänzt, dass nicht etwa er damals den Plan für den Einbruch in Oak Ridge gehabt habe, sondern Megan Rice.

Die ist, obwohl sichtbar die Älteste der Gruppe, auch die Ruheloseste. Immer wieder tritt sie aus der Reihe, um sich Passanten in den Weg zu stellen oder eine junge Frau dazuzuholen, die einige Meter entfernt mit einem Schild für ein vereinigtes Korea demonstriert. Ihren Stock hat sie längst fallen lassen, unter den misstrauischen Blicken der Secret-Service-Agenten, die dahinter Patrouille laufen.

Das Letzte, was sie mit ihrer Zeit anfangen kann, ist, sich auszuruhen. In zwei Tagen wird sie in den Fernbus steigen und vier Stunden bis nach New York fahren, ­um dort in einer High School über ihren Aktivismus zu sprechen. Junge Menschen heutzutage, sagt sie, seien nicht so sehr mit Protest aufgewachsen wie sie früher. "Sie wissen kaum etwas über Atomwaffen. Aber wenn ich ihnen davon erzähle, dann packt es sie oft total." Und vielleicht, hofft sie, wächst so eine neue Generation der "Plowsharer" heran.

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Wenn etwas aus der Geschichte zu lernen ist, dann dies : Wer seine Schwerter zu Pflugscharen umschmiedet, ackert dann für den Rest seines Lebens für diejenigen, die das nicht getan haben.
Insofern sind die Rechtfertigungen für den Aktionismus der alten Dame fragwürdig, wenn nicht sogar schlicht läppisch.Es ist ihr unbenommen, ihr eigenes Leben hinzugeben. Sie sollte nur nicht an ihre Mitbürger das Ansinnen stellen, ein Gleiches zu tun bzw. sich und ihr Land gegenüber Drohungen mit Gewalt wehrlos zu machen.
Nebenbei, in den äußeren Sicherheitsbereich eines geschützten Objektes einzudringen stellt grundsätzlich keine außergewöhnliche Schwierigkeit dar. Wer zur Zeit des kalten Krieges Wehrdienst in einem der Sonderwaffenbataillone der Bundeswehr geleistet hat, und dabei eine Special Ammunition Site (SAS-Lager) bewacht hat, weiß, daß auf den äußeren Bereich konzentrisch angelegte ,weitere innere Bereiche folgten, in die einzudringen "Deathly Violence" durch die Custodial Units zur Folge gehabt hätte ...Die Dame hat gut daran getan, ihre Manifestation auf das Symbolische und auf den Außenbereich zu beschränken...

" Wer seine Schwerter zu Pflugscharen umschmiedet..." muss erst mal die Schwerter besitzen. Sonst darf er mit den Schwertern nämlich nicht machen, was er will. Die in Frage stehenden modernen Schwerter namens Atomwaffen sind aber nicht das Eigentum von Privatleuten. Sie gehören nicht Nonnen, die sich zu symbolischen Aktionen entschließen. Sie gehören allerdings auch nicht Zeitgenossen, die ungeniert stolz darauf sind, beim Barras gewesen zu sein.

Wenn diese Waffen zum Einsatz gebracht werden von den Herrschern, dann sind auch diejenigen mausetot, die sich ihr erzwungenes oder freiwilliges Mitmarschieren beim Bund zusammenreimen als Dienst an sich selbst. Dieser folgenreiche Fehler fällt dem um so leichter, der von der Herrschaft, der er unterworfen ist, hingebunsvoll als sein Land schwärmt. Am besten kennt er gar keinen Unterschied mehr zwischen sich selbst und seinem geliebten Deutschland, Russland, China, Südkorea, Nordkorea usw.

Fritz Kurz

"Stolz darauf, beim Barras gewesen zu sein ?" Nun ja, es konnte damals halt nicht jeder nach der Schule erstmal eine Weltreise unternehmen, um an seiner Selbstfindung zu arbeiten.Auch die Volontariatsstellen beim Pahl-Rugenstein Verlag waren begrenzt...Nichtsdestotrotz haben die Wehrpflichtigen durch ihren Dienst seinerzeit maßgeblich und mitursächlich dazu beigetragen, daß der bis dahin größte friedliche Abbau von Atom- und konventionellen Waffen in der Geschichte erfolgreich durchgeführt werden konnte.Nicht zu vergessen die Abertausende von Minen am "Antifaschistischen Schutzwall" - die würden da immer noch liegen...
Zugegeben,heute sind andere Zeiten. Aber auch deren Herausforderungen wird man nicht mit naiven Metaphern und kindischen Aktionen gerecht.

Ja wie nun? Einerseits gehören machtvolle Armeen mit den jeweils modernsten Waffen zu den wesentlichen Kosten, die die Freiheit verursacht. Das will das von Ihnen zitierte Motto des obersten Hauptquartiers der Alliierten Streitkräfte in Europa besagen. Je mehr overkill, desto mehr Freiheit. Für die zivilen und militärischen Kommandeure der Freiheit stimmt das durchaus.

Andererseits wollen Sie jetzt Reklame für die Bundeswehr machen ausgerechnet mit der Behauptung, der Barras wäre nötig, um Waffen abzubauen. Wer hat die Waffen denn zunächst aufgetürmt? Die nervende aktionistische Nonne etwa?

Weder die Nato, noch der Warschauer Pakt hatten je im Traum daran gedacht, sich von Waffen zu verabschieden. Beide Seiten wollten ihre jeweiligen Kosten für die Waffen reduzieren. Deshalb haben sie Vereinbarungen getroffen, wer wie viele welcher Waffen zum jederzeitigen Einsatz bereit hält. Der bewusst irreführende Ausdruck Waffenabbau für diese sogenannten Waffenkontrollvereinbarungen stammt übrigens auch nicht von der Nonne.

Fritz Kurz

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