Not ist das falsche Wort...
Not ist das falsche Wort...
Riikka Laakso
Not ist das falsche Wort...
...aber schwierig ist das mit dem Wohnen. Die Mieten steigen, die Preise für Häuser auch – besonders in den Städten. Was tun?
Tim Wegner
27.11.2019

chrismon: Hilft es, wenn alle zusammenrücken?

Ricarda Pätzold: Das kann ein Teil der Lösung sein. In Deutschland gibt es grundsätzlich genügend Wohnraum, aber er ist falsch verteilt. Im Durchschnitt lebt ein Mensch auf 46,5 Quadrat­metern, in Groß­städten auf etwas weniger. Die Frage ist nur: Wer soll zusammen­rücken? Wenn es die Leute tun, die viel Fläche haben, ist es toll – sofern es freiwillig passiert. Wenn sich die weiter beschränken sollen, die ohnehin wenig Fläche haben, wäre das eine zynische Forderung.

Ricarda PätzoldPrivat

Ricarda Pätzold

Ricarda Pätzold ist Stadtplanerin und Wissen­schaftlerin am Deutschen ­Institut für ­Urbanistik (­Difu), dem ­größten Stadt­forschungs- institut im deutsch­sprachigen Raum.

Wer ist schuld an der Wohnungsnot?

Not ist nicht das treffende Wort. Eine Wohnungsnot gab es nach dem Krieg. Wir haben zunehmende Probleme mit der Wohnraumversorgung. Ein An­zeichen dafür ist der Lock-in-­Effekt.

Lock-in-Effekt? Das müssen Sie erklären!

Der Effekt besagt, dass Leute in ihren Wohnungen – in Anführungszeichen – "gefangen" sind und nicht auf eine veränderte Lebenssituation reagieren können. Wer Kinder bekommt, möchte ­eine größere Wohnung, findet aber nichts Bezahlbares. Oder müsste aufs Land ziehen, was mit Kosten verbunden ist – fürs Pendeln oder weil die Kinder ihre Kitaplätze verlieren.

Und ältere Menschen, die sich verkleinern wollen?

Auch sie betrifft der Effekt, wenn sie für eine kleinere Wohnung mehr bezahlen müssten als mit altem Mietvertrag. Dann bleiben sie lieber in einer zu großen Wohnung, die Familien gut gebrauchen könnten.

Wie konnte es so weit kommen?

Es ist schwierig, den einen Verantwortlichen zu benennen. Vor 30 Jahren wurde diskutiert, ob Städte über­flüssig werden. Heute boomen sie. Das war in der Dynamik nicht absehbar. Hinzu kam: Viele Kommunen waren schon damals verschuldet – und die Lage an den Wohnungsmärkten entspannt. Da lag es nahe, dass der Markt das regelt. Aus heutiger Sicht war sowohl der Verkauf kommunaler Wohnungen als auch der Rückzug aus der Wohnungspolitik falsch, doch damals konnte sich kaum jemand diesem Sog entziehen. Man setzte auf das Gegenteil dessen, was man bis dato gemacht hatte: mehr Markt, weniger öffentliche Hand.

In Berlin soll nun der Mietendeckel helfen . . .

Es gibt eine Sehnsucht nach radikalen Lösungen. Aber der Deckel be­ginnt mit einem riesigen Streit. Es gibt Untergangs­szenarien, es werde nicht mehr genug gebaut und Handwerker gingen pleite. Gerichte werden über Klagen entscheiden müssen. Welche Aus­wirkungen werden die Urteile haben? Heute weiß niemand, ob der Deckel am Ende wirklich passt.

Ganz viele Wohnungen bauen – hilft das?

Damit Mieten sinken, müsste ein ­enormer Wohnungsüberhang gebaut werden. Und der Wahlfreiheit der Mieter hilft es erst mal nicht viel, wenn nur hochpreisige Eigentumswohnungen auf den Markt kommen.

Sollte man noch irgendwie eine Immobilie kaufen, um von den steigenden Mieten unabhängig zu sein?

In einer Stadt wie Frankfurt am Main können sich nur noch sehr ver­mögende Menschen eine Immobilie leisten. Wer weniger verdient und in solche Märkte einsteigt, geht durchaus eine riskante Wette auf die Zukunft ein. Klar kann man jahrzehnte­lang das gesamte Familieneinkommen in ein Eigen­heim buttern – aber ­welche Konsequenzen hat das für die Lebens­qualität? Was ist, wenn man seine ­Arbeit verliert? Oder wenn bei Renten­eintritt das Dach marode ist? Ich hoffe auf eine Entspannung an den Miet­märkten, damit die Leute ihr Dach überm Kopf nicht nur nach dem Preis, sondern auch danach auswählen ­können, wie viel Raum sie brauchen.

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