Tür an Tür mit Flüchtlingen
Tür an Tür mit Flüchtlingen
Riikka Laaksoo
Neue Gemeinschaft: Tür an Tür mit Flüchtlingen
Ihnen wurden ihre Häuser zu groß. Gerade sind Elisabeth S. und Maren B. ins gemeinschaftliche Wohnprojekt gezogen.
Tim Wegner
27.11.2019

Die erste Nacht in der neuen Wohnung – und Elisa­beth S. konnte kaum schlafen. Vor Schmerzen. Schon zwei Wochen vor dem Umzug war sie krank geworden, weil der Abschied von ihrem Haus, in dem sie 40 Jahre lang lebte, sie beschäftigt hat. Seit drei Wochen wohnt sie nun am Stadtrand von Frankfurt am Main, in einem Wohnprojekt, in dem ältere und jüngere Menschen Tür an Tür mit geflüchteten Familien leben. Jetzt soll hier eine Gemeinschaft entstehen.

Auch Maren B. hat es bis in den Schlaf beschäftigt, die große Wohnung im familieneigenen Haus aufzugeben. "Ich habe von Kartons geträumt. Und davon, was noch zu organisieren ist."

Tim Wegner

Nils Husmann

Nils Husmann ist Redakteur und interessiert sich besonders für die Themen Umwelt, Klimakrise und Energiewende. Er studierte Politikwissenschaft und Journalistik an der Uni Leipzig und in Växjö, Schweden. Nach dem Volontariat 2003 bis 2005 bei der "Leipziger Volkszeitung" kam er zu chrismon.

Beide Frauen hatten bis vor kurzem viel mehr Platz und leben nun in Wohnungen, die weniger als 60 Quadrat­meter groß sind. Warum? "Wir wollen unsere Offenheit einbringen", sagt Elisabeth S. Die Be­wohner des gemeinschaftlichen Wohn­projektes möchten bei der ­Integration der Geflüchteten ­helfen und haben dafür super Bedingungen. Vor Ort kümmern sich haupt­amtliche Helfer um die Menschen. Die Frauen und ihre Mitbewohner unterstützen ehrenamtlich – ohne die ganz große Ver­antwortung, die liegt bei den Profis.

"Ich hatte drei Etagen plus Keller. Den Platz können andere besser gebrauchen"

Elisabeth S. tippt sich ans lockige Haar. "Hier im Kopf weiß ich, dass ich richtig entschieden habe, hierherzu­kommen. Mein Mann ist vor sieben Jahren gestorben. Ich habe drei Etagen bewohnt, plus Keller. Den Platz können andere besser gebrauchen."

Der Verstand ist das eine, das Herz das andere. Und das hing an vielen Dingen, die sie sortiert hat. Das wenigste ­konnte ja mit, vieles hat sie gespendet und was niemand mehr ge­brauchen wollte, kam auf den Müll. "In den letzten zehn ­Monaten habe ich mein ganzes Leben in den Händen gehabt." Da war zum Beispiel so eine alte Aussiedlerkiste aus Holz, die stammt noch aus Bratislava, wo ihr Vater aufgewachsen ist. Eigentlich hat sie keinen Platz. "Aber die musste mit", sagt sie.

Maren B., Jahrgang 1951, und Elisabeth S., geboren 1946, leben seit kurzem in einer Anlage, die zum "Netzwerk Frankfurt  für gemeinschaftliches Wohnen e. V." gehört.

Noch geht ihr Blick eher zurück. "Auf die Befreiung, die angeblich kommen soll, wenn man sich von vielen Dingen trennt, warte ich noch. Aber ich schlafe schon wieder besser." Maren B. macht schon mit beim Sprachcafé, immer ­mittwochs von 18 bis 20 Uhr. Das ist besonders für die ­Mütter wichtig, die keinen Sprachkurs besuchen. Sie hofft, dass ­daraus mit der Zeit für alle Bewohner ein Wochentreff ­werden kann.

Die Wohnfläche ist geschrumpft, "aber als Menschen werden wir wachsen"

Gestern hatten sie ein Treffen mit ihrem gemeinschaftlichen Wohnprojekt. Alle haben eine eigene Wohnung, aber es gibt so vieles, das sie gemeinsam anpacken wollen. 17 Leute waren gekommen, die Sitzung war auf zwei Stunden begrenzt. Die Zeit hat nicht gereicht. Ein gutes Zeichen, man hat sich viel zu sagen – und einfach zu viele Ideen. Manche aus der Gruppe kennen sich schon, seit das Areal, auf dem nun fast ­einhundert Menschen leben, geplant wurde. Andere kamen erst kurz­fristig dazu, müssen sich erst beschnuppern. Auch Elisabeth S. und Maren B. kennen sich noch nicht lange, ­wirken aber schon vertraut mit­einander.

Im Innenhof sind die Wege ge­pflastert, Rasen und Pflanzen gibt es noch nicht. Stattdessen Matsch und Pfützen. Ein Halbkreis aus Steinen lässt erahnen, wo einmal der zentrale Platz entstehen soll. Aber der Bau geht erst im Frühjahr ­weiter. Überall stehen Roller, sie gehören den Kindern, die noch in der Schule sind. "An ­ihrem ­Lachen kann ich mich nicht satt­hören", sagt Maren B. Elisabeth S. nickt. Gemessen an der Wohnfläche sind beide geschrumpft. "Aber als Menschen ­werden wir hier wachsen."

Infobox

Maren B., Jahrgang 1951, und Elisabeth S., geboren 1946, leben seit kurzem in einer Anlage, die zum "Netzwerk ­Frankfurt für ­gemeinschaftliches ­Wohnen e. V." gehört.

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