Inklusion
Ein knackiger, bunter Salat
Früher schämte sich Yared Dibaba, wenn andere Kinder mitbekamen, dass seine Eltern Schwarz sind. Er wünscht sich, dass alle unabhängig von ihrer Herkunft respektiert werden, ohne dass sich die einen an die anderen anpassen müssen
Yared Dibaba
Justine Lecouffe/Inky Illustration
Thomas Leidig
27.02.2024

Es klingelte, die sechste Stunde war zu Ende, und während alle hektisch ihre Schultaschen packten, nahm ich mir bewusst Zeit. In der Orientierungsstufe Ganderkesee flitzten alle Kinder raus, nur ich bewegte mich langsamer, in der Hoffnung, als Letzter den Raum zu verlassen.

Denn ich wollte nicht, dass die anderen Kinder ­sehen, dass meine Eltern, die mich abholen werden, schwarz sind. Diese Erinnerung kam mir in den Sinn, als ich 2023 eine Laudatio für den niedersächsischen Integrationspreis hielt, der an das "Café 4 You" in Cloppenburg ging – ein beeindruckendes Beispiel für Engagement und ein Leuchtturmprojekt in Sachen Integration.

In meiner Jugend hätte ich mir eine ­solche Begegnungsstätte in meinem Dorf gewünscht. Ein Haus, in dem die erste ­Kultur, mit der ich in Oromia in Äthiopien auf die Welt kam, genauso gelebt werden kann wie die Kultur, in der ich eine neue Heimat ­gefunden habe. Ein Ort, an dem es kein Entweder-oder gibt, sondern ein ­Zusammen. Das iranische ­Newroz-Fest und das jüdische Chanukka-Fest würden genauso Raum ­finden wie ein Plattdeutschkurs. Ostafrikanische Frauen würden sich mit lokalen Landfrauen austauschen. Mir hätte das die Identitätskrise erspart, die ich bis Anfang 20 durchlebt habe. Ich hätte vermutlich viel früher mit einem sicheren Gefühl sagen können: Ja, der Norden ist meine Heimat, oder um es op Plattdütsch zu sagen: norddütscher geiht nich! Gerade in diesen Zeiten ist es für mich wichtig, mir aller meiner ursprünglichen Identitäten bewusst zu sein und mich zugleich hier zu Hause zu ­fühlen, ohne dass das ein Widerspruch ist.

Was das "Café 4 You" macht, ist mehr als ­Integration – es ist gelebte Inklusion. Das ist vergleichbar mit dem ­Unterschied zwischen einem Smoothie und einem ­bunten Salat. Während ein Smoothie, der für Integration steht, ­alles vermischt und gleichmacht, bewahrt der Salat, der für Inklusion steht, die Einzigartigkeit und Identität jeder einzelnen Zutat. Inklusion geht über Integration hinaus und bedeutet, Identitäten zu bewahren und zu respektieren, statt sie zu verwässern. Wir kennen Inklusion meist im Zusammenhang mit Menschen mit Behinderung, doch dieses Prinzip lässt sich auf die gesamte Gesellschaft übertragen.

Lesetipp: Wie KI und Sprachsteuerung bei der Inklusion helfen

Integration will Menschen mit unterschiedlichen ­Fähigkeiten oder Hintergründen in ­bestehende Strukturen einfügen. Das ­erfordert oft eine Anpassung, um in die vorhandene Umgebung zu passen, was zu einer Art Assimilation führen kann. In­klusion hingegen betont, dass jeder Mensch, unabhängig von seinen Fähigkeiten oder Unterschieden, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilhaben sollte. Dies erfordert, dass sich Strukturen und Systeme verändern, ­ um allen Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen, ohne dass sie sich an vorherrschende Normen anpassen ­müssen. Jedes Individuum kann so einen Beitrag für die Gesellschaft leisten und sich einbringen. Ein Gewinn für uns alle!

Zum Weltfrauentag am 8. März lädt das "Café 4 You" in Cloppenburg gezielt Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern ein, egal welchen Geschlechts, dazu Mitarbeitende aus verschiedenen Institutionen, zum Beispiel von der Verbraucherzentrale, der Polizei oder dem Deutschen Roten Kreuz, um so zu einer kulturellen Verständigung beizutragen. Auch wenn es um Menschenrechte geht, läuft das so – oder bei Sommer- und Weihnachtsfesten.
So kann man Barrieren abbauen und ein Umfeld ­schaffen, in dem Vielfalt geschätzt und jede Person als gleichwertig angesehen wird. Und nun wünsche ich ­Ihnen ­guten Appetit beim nächsten knackigen, bunten Salat!

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Sehr geehrter Herr Dibaba,

auch ich mag einen knackigen, bunten Salat lieber essen, als den Einheitsbrei Smoothie! Trotzdem eignet sich dieser Vergleich nicht dazu, einer "Inklusion" von 10, 50, oder gar 100 unterschiedlicher Kulturen, Normen und Wertvorstellungen das Wort zu reden. Unsere Gesellschaft ist schon heute verunsichert und überfordert, den 100 - tausenden Flüchtlingen und Migranten einen erträglichen Alltag zu gewährleisten. Von den Menschen, die bei uns in Deutschland eine neue Heimat suchen, muss auch verlangt werden, sich unseren Normen und Gebräuchen anzupassen, d.h. sich zu integrieren. Verlangt wird nicht, "Identität" abzulegen, was so wie so nicht möglich ist. "Inklusion" in die deutsche Mehrheitsgesellschaft ist aus leicht nachvollziehbaren rationalen Gründen nicht ratsam; sie ist abzulehnen!
Wer für Flüchtlinge oder Migranten in Deutschland "Inklusion" fordert, muss zunächst das Für und Wider mit allen Betroffenen erörtern und die Veränderungen, die sich für die heutige Mehrheitsgesellschaft daraus ergeben, beschreiben können. "Ein knackiger, bunter Salat" beschreibt das nicht.

Mit besten Grüßen,

Wolf Lübcke

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Dieser Beitrag von Herrn Dibaba irretierte mich.
Ich kenne Herrn Bibaba aus dem Fernesehen.
Dort gibt es sich Deutscher wie es nicht deutscher sein kann,
in Sprache, nordeutsche Mundart, in Anzugsordnung, Auftreten und Habitus.
Ich bin mit meiner gesamten Sippe jahrhundertelanger Deutscher und empfinde es schon als angenehm,
wenn Zugereiste sich nach dem Ankommen umschauen, welche Lebensart hier ist, welche Regeln gelten
und nicht sagen, hoppla jetzt komm ich, ihr müsst meine eigenarten akzeptieren, merkt ihr nicht was für eine Bereicherung ich für euch bin.
Nein, so läuft das nicht.
Der Vergleich mit der Inclusion z.B. auch Behinderter ist nicht gut, denn ab einem bestimmten Grad kommen auch diese um Sonderbehandlung nicht drum rum.
Es wird z.Z. ein Wahnsinn getrieben, dass Blinde auf den Mt. Everest steigen, Arm- und Beinlose auch Tauchen sollen, 100-jährige Fallschirmspringen, ja jedem alles möglich gemacht werden soll,
um nur die individuelle Freiheit ins Extreme zu steigern, koste es was es wolle.
Ich selbst weiß als Älterer, dass ich nicht mehr alles Erklimmen, Erlaufen und physisch Ertragen kann, erkenne und akzeptiere dass, halte mich entsprechend zurück und bin trotzdem zufrieden.
Das ist Einsicht in die Notwendigkeit. Eine Vernunft und Rücksichtnahme, die von allen in der Gesellschaft erwarten kann.
Und nicht das auf Biegen und Brechen seine Identität extensiv zu zelebrieren.
Am Ende seines Beitrages dreht sich ja auch seine Argumentation.
Die hiesigen Institutionen und Vereine laden die Auswärtigen, die hier zu bleiben gedenken ein,
um ihnen zu vermitteln, wie sie unter Beibehaltung ihrer privat weiter zelebrierten Eigenarten,
sie sich in die hieseige Gesellschaftsorganisation integrieren, einfügen können, um aktiv mitzugestalten.

Wolfgang Schlenzig

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Yaren Dibaba spielt in seinem Beitrag Integration und Inklusion gegeneinander aus und meint, dass damit Identitäten „verwässert“ werden. Als ehemaliger Förderschullehrer und Schulleiter von Schulen für geistig Behinderte und Schulen zur Lernförderung ist das schlichtweg Unsinn. Jede Gesellschaft einschließlich des Bildungsbereichs hat feste Strukturen, die nichts beliebig verändert werden können. Menschen mit besonderen Bedarfen können sich daran orientieren und mit Hilfe der Gesellschaft entsprechend entwickeln.
Das schließt keine Teilhabe aus. Sie wird höchstens dadurch behindert, dass die Gesellschaft nicht die erforderlichen Ressourcen aus finanziellen Gründen bereitstellt.

Claus Hörrmann

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Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Zafir Ahmad und ich habe das Privileg, in der Forschungsabteilung der ARC-Ahmadiyya tätig zu sein. Des Weiteren bin ich ein Theologe der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland. Heute durfte ich Ihr Chrismon-Magazin durchblättern, das ich in der Süddeutschen Zeitung aufgefunden habe. Es war meine erste Begegnung mit Ihrer ansprechenden Publikation. Ich möchte Ihnen gerne einige meiner Gedanken und Eindrücke mitteilen.

Zurerst, Sie haben eine beeindruckende Auswahl an Themen behandelt, die in ihrer Vielfalt und Tiefe faszinierend sind. Besonders angetan hat es mir der Artikel "Ein knackiger, bunter Salat" von Herrn Yared Dibaba. Ebenso fand ich die kompakte Darstellung über den Werdegang des Comedian Bülent Ceylan zur Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche äußerst interessant.

Der besagte Artikel "Ein knackiger, bunter Salat" hat mir besonders gut gefallen, da er eine Meinung spiegelt, die ich voll und ganz teile. Es ist immer erfreulich zu sehen, dass es andere Menschen gibt, die ähnliche Ansichten haben und diese in den öffentlichen Diskurs einbringen. Es ist ein starkes Zeichen der Vielfalt und Offenheit unserer Gesellschaft, wenn solche Gedanken in einem Magazin wie Ihrem Platz finden.

Mit freundlichen Grüßen,
Zafir Ahmad

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Moin,

auf ein Wort, ja das habe ich auch versucht in meiner Selbsthilfegruppe für queere Menschen in Cuxhaven.

Das gelingt mal mehr, mal weniger.

Unser Name sollte Programm sein - akzep-trans.

Bei einigen jungen Menschen gelingt es nicht ihnen zu vermitteln, dass es nicht nur jung oder alt gibt sondern

jung und alt und das muss sich nicht zwangsläufig ausschliessen - da hatte ich das Gefühl welke Blätter im Salat

mit einem Einheitsdressing zu bekommen.

Die Worte von Herrn Dibaba haben mich angerührt und mir wieder Mut gemacht, nicht aufzugeben, es weiter zu

versuchen, dass wir als jung und alt auch im queeren Spektrum uns respektieren, tolerieren, akzeptieren sollen wie

wir sind. Männer mit noch weiblicher Stimme, Frauen, die noch Bart tragen usw.

Das gehört zu uns und genau das darf auch so sein.

Vielen Dank.

Mit freundlichen Grüßen

Christian Schrettenbrunner

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Liebe Chrismon-Redaktion, Lieber Herr Dibaba,
herzlichen Dank für diese inspirierenden Beitrag zum Thema Inklusion. Bisher fiel es mir immer schwer, den Unterschied zwischen Inklusion und Integration auf den Punkt zu erklären. Mit dieser bildlichen Sprache, ist es so präzise erklärt und absolut nachvollziehbar. Das Geschmackserlebnis auf der Zunge zergehen zu lassen und sich darüber zu freuen, was man im Einzelnen alles schmecken kann, das ist toll!! Und das Dressing am Salat ist die Liebe, die man zugeben muss. :-) Herzliche Grüße aus dem schönen Oberbayern!
Ihre Anni Geerts

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Danke, Herr Dibaba, für den schönen Beitrag und das wunderbare Bild.
Das Salatbild gefällt mir noch besser als meine Idee mit #MoreThanMyBubble. Und gewiss Strukturen und Rahmenbedingungen müssen sich dem Salat anpassen, so dass es zu einem runden Geschmackserlebnis für alle wird.
Auch wenn die Grundwerte (unser Grundgesetz) dieselben bleiben. Leben verändert sich stetig, Menschen verändern sich, Gesellschaft verändert sich mit. Wenn Systeme und Strukturen gleich blieben, passen sie irgendwann nicht mehr, deswegen müssen sie sich mit anpassen und verändern.

Liebe Grüße und Frohe Ostern
Juliane

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Ein knackiger, bunter Salat.
Guten Tag Herr Yared Dibaba !
Ihr chrismon-Artikel 03/2024 auf Seite 8 hat mir richtig gut gefallen !
Ich habe ihn mindestens 3x gelesen.
Jetzt weiß ich endlich den Unterschied zwischen Inklusion und Integration.
Aber ist Inklusion wirklich die bessere Alternative des Zusammenlebens kulturell und ethnisch sehr verschiedener Menschen bei uns, fast Parallelgesellschaften ?
Baut nicht auch Integration Spannungen und ein distanziertes Nebeneinander ab ?

In Deutschland haben wir m.E. seit langem weder das eine noch das andere.
Ich würde es "Ratatouille" nennen, ein typisch französisches Gericht, bei dem alles mögliche Gemüse gekocht noch nicht wie Suppe ist, aber auch nicht mehr "knackiger Salat". Ich mag Ratatouille übrigens sehr gern, nur nicht politisch, obwohl man die Zutaten gerade noch so erkennen kann.

Am liebsten favorisiere ich jedochkeine dieser drei Gesellschaftsformen, nachdem ich beruflich in vielen, vielen Ländern in Afrika, Asien und Europa gewesen bin und viel Elend, Leid und Gewalt gesehen habe.

Warum wollen so viele Menschen dort weglaufen nach Europa - warum können sie keine Brunnen mehr bauen ? Länder, die früher absolute Hochkulturen waren, als noch niemand etwas von Europa wusste, stehen jetzt hilflos da.
Dürrezeiten und Korruption gab es auch schon vor 10 000 Jahren !

Ich denke, die Antwort ist überraschend einfach und gleichzeitig die
Problemlösung:
Wenn Frauen bzw Familien zwei oder mehr Kinder bekommen als sie ernähren können, sind Armut und Elend absolut vorprogrammiert und Kriege obendrein, um das wenige Wasser, die wenigen Lebensmittel und Land zu verteilen.
Und zu viele Geburten kann "man" den ehemaligen Kolonialmächten wohl tatsächlich nicht anlasten - allenfalls, dass "diese Europäer" sich jetzt dauernd mit Medikamenten und Entwicklungshilfe in fremde Lebensgewohnheiten einmischen.
Ich war beruflich manchmal auch "so Einer" und habe oft gesehen, wohin unsere Hilfe führen kann.
Also: Statt Entwicklungshilfe >> Geburtenkontrolle !! Kondome massenweise !!
Statt derzeitig 8 Mia Menschen müssen wir wieder auf unter 6 Mia zurück, damit es sowohl uns als auch der geschundenen Erde wieder besser geht.
Auf den Philippinen ist so ein erfolgreicher Versuch leider an der kath Kirche gescheitert.
( Manchmal denke ich, dass es uns in D nach der Wiedervereinigung mit 72 Mio EW besser ging als heute mit 84 Mio chrismon.deEW - oder ? )

Lieber Herr Dibaba, außer smoothy oder knackigem Salat oder Ratatouille, die ich alle gerne mag, gibt es im gesellschaftlichen Leben vielleicht oder sogar hoffentlich noch eine o.g. weitere Alternative für unsere irdische Zukunft, wo auch viele Menschen nicht mehr aus ihrer angestammten Heimat weglaufen wollen bzw müssen.

Ihr
Gernot Wißmann
Nienhagen

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Liebe chrismon-Redaktion, lieber Herr Dibaba,
ich habe gerade nochmal das Editorail der chrismon 03.2024 gelesen und mich über die klare und bildhafte Definition von Inklusion gefreut, gerade auch im Unterschied zu Integration. Herzlichen Dank dafür!
Für Menschen wie mich (seit kurzen Beauftragter für Studierende mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen an der TU Darmstadt) mit wenig Zeit, Fachartikel zu lesen, ist das sehr unterstützend.

Ich werde also (weiter) versuchen, in diesem Sinn für Inklusion an der TU Darmstadt zu arbeiten.

Freundliche Grüße, eine gute Osterwoche,
Wolf Hertlein
Darmstadt

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