Nils Husmann
"Um die Windenergie tobt ein Kulturkampf"
Tim Wegner
02.10.2023

Diese Kolumne sollten Sie lesen, wenn…

  • …Sie das Klimadashboard noch nicht kennen
  • …Sie sich fragen, warum es bei der Windenergie nicht so schnell vorangeht wie bei der Photovoltaik
  • Sie sich für konstruktiven Journalismus interessieren und erfahren möchten, was wir Medienschaffende bei der Berichterstattung über Windenergie besser machen können und
  • Sie wissen möchten, warum Energie unbedingt ein Thema für die Kulturwissenschaften ist.

Gute Nachrichten: Ein ehrenamtliches Team von Menschen (aus den Bereichen Design, Klima- und Energiewissenschaft und Programmierung) bündelt Wissen rund um die Themen Klima und Energie. Das Ganze nennt sich Klimadashboard und auch auf die Gefahr hin, dass Sie diese Kolumne verlassen: Klicken Sie dort unbedingt vorbei, das Dashboard ist eine Fundgrube, und Sie können ja später zurückkommen.

Es gibt noch mehr gute Nachrichten: Um das Ziel zu erreichen, bis 2030 (das sind nur noch etwas mehr als sechs Jahre hin!) 80 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien zu erzeugen, brauchen wir mehr Energie aus Wind und Sonne. Bei der Photovoltaik sieht es gut aus: Um neun Gigawatt an installierter Leistung musste die Stromerzeugung aus Photovoltaik in diesem Jahr wachsen – dieses Ziel ist bereits im September erreicht worden.

Bei der Windenergie sieht es schlechter aus. Eine andere, sehr anschauliche Zahl, wieder ist das Klimadashboard die Quelle: Um 2030 ausreichend Windstrom zu haben, müssten in Deutschland vier bis fünf Windräder errichtet werden – pro Tag. Es sind aber nur etwa zwei am Tag.

Warum das so ist: Bürokratie, lange und aufwändige Genehmigungsfristen sind ein Problem. Ein anderes Phänomen kommt hinzu: Die Windenergie polarisiert sehr viel stärker als die Stromgewinnung aus Photovoltaik. Was ist da los?

Warum kommt die Windenergie nicht voran?

Um mehr zu erfahren, habe ich mich mit Dr. Georgiana Banita zusammengesetzt, sie ist Kulturwissenschaftlerin an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg. Kulturwissenschaften? Sind Erneuerbare nicht eher ein Thema für Menschen, die sich gut mit Technik auskennen? Die gehören auch dazu, keine Frage, aber Georgiana Banita hat unbedingt etwas zum Thema zu sagen, denn sie weiß: „Um die Windenergie tobt ein Kulturkampf.“

Für die Otto Brenner Stiftung (hier geht es zum Download) hat Georgiana Banita untersucht, wie Medien über Windenergie, Naturschutz und die Energiewende berichten. Konkret hat sie 40 Beiträge analysiert, die von 2011 bis Ende 2021 in Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung, Welt und Frankfurter Allgemeine Zeitung erschienen waren.

Was ist herausgekommen? Konservative Medien stehen der Windenergie eher skeptisch gegenüber, links-liberale geben sich progressiv. Das hatte Georgiana Banita auch erwartet.

Überrascht war sie dagegen, wie wissenschaftsfeindlich manche Beiträge waren: „Der Handlungsdruck, dass wir aufgrund der menschgemachten Erderwärmung auf Erneuerbare setzen, wird als ‚Klimadiktatur‘ von Reformisten dargestellt – wer also für Windenergie ist, dem wird ein antidemokratisches Denken vorgeworfen.“

Aber auch Medien, die aufgeschlossen gegenüber der Windenergie sind, machen einen Fehler – sie ordnen nur selten ein, warum wir grünen Strom brauchen. Nämlich weil die Nutzung von Kohle, Öl und Gas das Klima erwärmt. „Dieser Zusammenhang wird oft ausgelassen. Aus Absicht? Vielleicht setzt eine Müdigkeit ein, was die Klimakrise angeht, oder es wird vorausgesetzt, dass schon alle Menschen Bescheid wissen?“, fragt sich Georgiana Banita. Sie ist sich sicher: Für den Diskurs ist diese Auslassung nicht gut, konstruktiver Journalismus sollte Informationen immer in den Kontext der Erderwärmung setzen.

Welche Gründe gegen die Windenergie ins Feld geführt werden

Georgiana Banita hat fünf Punkte identifiziert, die in Medienberichten immer wieder gegen die Windenergie angeführt werden: Eingriffe in die Natur, Gefahr für Vögel und den Artenschutz, vermeintlich hohe Kosten, Demokratiedefizite und Gesundheitsrisiken. Viele der Kritikpunkte widerlegt sie, ein Beispiel zum Thema Vogelsterben: Je 70 Millionen Vögel fallen pro Jahr dem Verkehr und Katzen zum Opfer – nur 0,1 Millionen werden von Rotoren erschlagen.

Im Gespräch redet Georgiana Banita die Nachteile der Windkraft nicht klein, nennt zum Beispiel die Probleme Schlagschatten und Eiswurf. Sie betont aber auch, dass die Windbranche längst auf die Probleme reagiert und damit lernfähig ist: „Windräder werden abgeschaltet, wenn sie Schatten auf Wohngebiete werfen. Und Rotoren verfügen über Heizdrähte, sodass sich kein Eis bilden kann, das durch die Gegend fliegt.“

Was mich im Gespräch besonders interessiert, ist der kulturwissenschaftliche Blick, den Georgiana Banita auf das Thema hat. Der verschafft auch mir neue Perspektiven und Aha-Erlebnisse. Auch hierfür ein Beispiel:

„In vielen kritischen Berichten blickt man nostalgisch auf eine Zeit, in der die gesamte Energieproduktion scheinbar unsichtbar war. Aber unsichtbar war und ist sie nur für bestimmte Bevölkerungsteile. Die Förderung von Kohle, die Ölinfrastruktur – das hat immer eher ärmere Menschen betroffen. Das gilt auch für die Verschmutzung, die entsteht, wenn wir diese Energieträger nutzen – siehe Ruhrgebiet. In den USA und Kanada findet das Fracking auch heute eher in Regionen statt, in denen die Natives leben. Windräder im Wald betreffen dagegen nun auch Menschen, die sich ein Haus im Grünen leisten können. Diese Einordnung fehlt in der ablehnenden Berichterstattung. Überhaupt sind windkraftkritische Beiträge sehr ich-bezogen. Es zählt, was in der eigenen Sichtachse steht – aber nicht so sehr der Gedanke an folgende Generationen und was mit ihnen geschieht, wenn wir fossile Energie nutzen. Das ist tatsächlich ein Kulturkampf auf Kosten der jüngeren Menschen.“

Da war es schon, das Stichwort Wald. Windräder im Wald errichten – puh, ich bin skeptisch. Gerade erst war ich mit Waldfachleuten unterwegs und habe von ihnen gelernt, wie sehr schwere Maschinen und Fundamente dem Waldboden schaden. Georgiana Banita hält dagegen: Nur 18 Prozent der neuen Windräder entstehen in Wäldern – über 80 Prozent dagegen nicht.

Interessant ist auch hier eine Form der Selbstbezogenheit, die Georgiana Banita herausgearbeitet hat: Gegner der Windenergie tragen den „deutschen Wald“ mitunter so vor sich her, dass Banita den Eindruck hatte, allein der „deutsche Wald“ sei schützenswert und werde wohl bald zum Weltkulturerbe erklärt. Unter Beiträgen in sozialen Netzwerken wurde Banita, die aus Rumänien stammt, sogar bedeutet, sie dürfe sich als Ausländerin nicht zum deutschen Wald äußern. Unfassbar!

Ich bin für die Energiewende und möchte so schnell wie möglich weg von Kohle, Öl und Gas. Was kann der Journalismus leisten, um die Menschen aufzuklären? Soll man zum Beispiel auch über Initiativen berichten, die sich gegen die Windenergie engagieren? Ja, lautet ihre Antwort. Aber es kommt auf das Wie an. „Man muss Wissenschaft und Emotionen trennen. Wissenschaft ist die Quelle von Informationen, und diese Informationen widerlegen zahlreiche Kritikpunkte an der Windenergie. Sie sollten in journalistischen Beiträgen auch unbedingt vorkommen. Um ein Meinungs- und Emotionsbild einzuholen, kann man natürlich trotzdem auf kritische Akteure zugehen.“

Wer aus befürwortender, progressiver Perspektive über die Windenergie berichtet, macht längst nicht alles richtig, auch das ist ein Ergebnis der Studie. Zwei Beispiele: Georgiana Banita findet, dass Journalismus als fairer wahrgenommen wird, wenn Autorinnen und Autoren auch Ungewissheiten benennen. Die Wissenschaft steht nie still, auch nicht die Forschung zur Windenergie – es können sich immer neue Argumente ergeben, die die Kosten-Nutzen-Abwägung der Windenergie verändern können.

Ich übersetze es für mich so: Nicht vom hohen Ross herunter berichten, sondern zuhören, erklären, einordnen.

Vielen Dank an Georgiana Banita für das Gespräch!

 

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