Jonas Walter
Auch im Dauerwald wird Holz geerntet. Wilhelm Bode (links) und Waldbesitzer Holger Weinauge
Manche Bäume wurzeln tief. Eichen zum Beispiel. Oder Eschen. Und es gibt Menschen, die nichts umhaut, so, als hätten auch sie tiefe Wurzeln. Menschen wie der große Mann mit der Schiebermütze und der klaren Stimme, die nie Zweifel erkennen lässt. "Manchen kommen hier die Tränen, so schön ist dieser Wald", sagt er. Vielleicht ist er selbst ergriffen vom dichten Grün, vom Ruf des Kuckucks und den anderen Vogelstimmen. Der Wald packt ihn, sein ganzes Leben schon und immer noch, auch mit 75 Jahren.
Wilhelm Bode, Jahrgang 1947, Forstwissenschaftler, Naturschützer und Autor, ist zu einem Spaziergang nach Kalebsberg gekommen, einem Wald bei Teterow in Mecklenburg. Und zu Dreharbeiten für seinen Youtube-Kanal. Ein Paar begleitet ihn, Sophie und Paul, "meine Mitkämpfer" nennt er sie, was schon zeigt: Was Bode sich wünscht, ist nicht kampflos zu haben – ein gesunder Wald.
Wir brauchen den Wald: zur Erholung, als Lebensraum für Tiere, als Holzlieferant und weil Wälder Kohlendioxid binden. Aber mehrere trockene Jahre in Folge, Luftverschmutzung, Stürme und Schädlinge haben ihm zugesetzt. Vier von fünf Baumkronen sind licht, bis zu 600.000 Hektar Wald in Deutschland sind zerstört – eine Fläche, die fast siebenmal größer ist als die von Berlin.
Nils Husmann
In die Sache mit dem Wald ist Wilhelm Bode reingewachsen. Er wurde mit zwei älteren Schwestern in Sundern, Westfalen, in einer Landwirts- und Kaufmannsfamilie groß, als "extrem zartes Jüngelchen", wie seine Mutter sagte. Der Vater führte einen Gasthof mit Kino, das die englischen Soldaten in der Gegend besuchten. Der britische Ortskommandant setzte sich dafür ein, dass Bodes Vater eine Jagdpacht erhielt, 1947 war das. Seinen Sohn nahm er mit ins Hochsauerland, mit acht Jahren bekam Wilhelm sein erstes Gewehr, eine Remington 222. Kurz vorm Abitur eröffnete er seinen Eltern: "Ich will Forstwissenschaften studieren." Doch der Vater bestand auf Jura. Sollte Wilhelm das Examen bestehen, könnte man noch mal reden.
"Der Altersklassenwald ist ein Katastrophenkarussell, das sich immer weiterdreht." - Wilhelm Bode
Bode zog das Jurastudium durch, blieb stur. Anfang der 70er Jahre ging er nach Göttingen, nahm das Forstwissenschaftsstudium auf. "Aber dort wurde nicht gelehrt, wie man den Wald pflegt und aufbaut, sondern wie man ihn zum Altersklassenforst degradiert", erzählt Bode. Er wollte schon alles hinwerfen, ehe jemand in einem Vortrag den preußischen Oberforstmeister Alfred Möller erwähnte – und dessen Idee vom Dauerwald. Bode war Feuer und Flamme. "Das Holz muss geerntet werden als Frucht des Waldes, der Wald aber muss bleiben", schrieb Möller 1922. Der Wald muss bleiben? Mit seinen Gedanken hatte Möller den Gegenspieler des Altersklassenwaldes in die Welt gesetzt. Dieser dominierte schon vor 100 Jahren die Forstwissenschaften und -verwaltungen. Wilhelm Bode findet: Er tut es immer noch.
Wer sich in einem Wald glaubt, steht nämlich meistens in einem Forst. In Forsten sind Bäume zur gleichen Zeit gepflanzt oder gesät. Die Fachleute sagen: Altersklassenwälder. Im 19. Jahrhundert fehlte es an Holz. Und nach dem Zweiten Weltkrieg musste Deutschland Reparationen leisten, auch in Form von Holz. Kahlschläge waren die Folge. Also pflanzte man Bäume in Reih und Glied. Wie Mais auf Feldern. Besonders Fichten waren beliebt, sie wachsen schnell. Aber wenn es in einer Monokultur Schäden gibt – Borkenkäfer, Stürme, Dürren – betrifft das schnell ganze Flächen, wie jetzt im Taunus oder Harz.
Zu Bodes Spaziergang mit seinen beiden Mitkämpfern hat sich Holger Weinauge gesellt, der Besitzer des Forstbetriebs Kalebsberg. 2005 kaufte Weinauge den Wald, knapp 300 Hektar groß, und stellte um auf Dauerwaldbewirtschaftung. Dauerwälder sind Wirtschaftswälder, die dauernd Holz erzeugen können. Waldbauern müssen dafür einige Prinzipien beachten: Dauerwälder sind immer Mischwälder, nie Monokulturen. Und: Die Bäume im Dauerwald müssen unterschiedlich alt sein. Kahlschläge sind tabu, Bäume dürfen nur einzeln geerntet werden. Gibt es zu viel Wild, können keine Bäume nachwachsen. Rehe knabbern die Sämlinge so kaputt, dass sie eingehen – also ist die Jagd wichtig. Waldbauern müssen auf große Gerätschaften und ein dichtes Netz an Maschinenwegen verzichten, weil sonst der Waldboden Schaden nimmt. Um Baumstämme aus dem Wald zu holen, braucht es Pferde und kleine Kettenfahrzeuge.
Der Wald in Kalebsberg sieht aus, als bestünde er aus unterschiedlichen Etagen. Buchen, Eichen, Ahornbäume, Fichten, Kiefern, Lärchen, Douglasien, Tulpenbäume und Tannen gibt es hier; manche sind noch kaum höher als eine Hecke, andere sind schon riesig. Vor 15 Jahren wuchsen hier fast nur Buchen und Fichten.
Christliche Prägung als Unterschied
Alfred Möller, erzählt Bode, sei von der internationalen Fachwelt gefeiert, aber in Deutschland sofort bekämpft worden. 1922 starb er. "An Gram, da bin ich sicher", sagt Bode. Er selbst ist ein heiterer, manchmal zynischer, stets energischer Mann. "Und durch und durch zuversichtlich", wie er selbst sagt. Er führt das auf seine Erziehung zurück, in seinem Elternhaus ging es streng katholisch zu. Als Kind war das nicht immer leicht, aber als Mann blieb ihm aus dieser Zeit ein Glauben, der – von der Strenge befreit – diese eine Lehre bereithält: Es geht immer weiter, und es wird gut werden. Bode sagt, diese Prägung unterscheide ihn von jungen Menschen, die sich gegen die Klimakrise stemmen, ohne christlich geprägt zu sein. "Sie werden über ihrem Engagement depressiv, weil ihnen die Hoffnung fehlt."
Als Wilhelm Bode 1987 Leiter der saarländischen Landesforstverwaltung wurde, führte er die Dauerwaldbewirtschaftung in dem waldreichen Bundesland ein. Und stieß in allen Staatsforstämtern auf Widerstand. Warum sollen wir etwas ändern? Haben wir immer so gemacht! Und er war auch der erste Verantwortliche im Saarland, der eine verbeamtete Försterin einstellte. 1994 schaffte er es auf den "Spiegel"-Titel, mit seinem Buch "Waldwende". Damals recherchierte "Der Spiegel", dass Mitarbeiter aus Bodes Verwaltung eine Verleumdungskampagne gegen ihn gestartet hatten; Bode wurde ein "diktatorischer Führungsstil" vorgeworfen. Manchen an der Saar wurde Bode vielleicht zu populär, die Regierung Lafontaine servierte ihn ab. Bode klagte sich zurück, wurde Chef der Naturschutzverwaltung.
Orkane, Schädlinge, Dürren und andere Kalamitäten, die den Wald in Deutschland heimsuchten, gaben Wilhelm Bode Recht: Flächen, auf denen zu seiner Amtszeit ein Dauerwald entstanden war, hatten weniger Schäden zu verzeichnen. Und doch war Bode der Kämpfe müde, als er mit Beginn des Ruhestandes nach Stralsund zog. Ausgerechnet Stralsund! In der Gegend gibt es kaum Wald. Es schien so, als wollte Bode auch sein Lebensthema in Rente schicken.
Oberes Bild. Der Wald ist auch in Bodes Haus allgegenwärtig – an den Wänden wie auch in den vielen Bücherregalen. Unteres Bild: Sophie Kersting und Paul Wolf planen den Drehtag in Kalebsberg, am nächsten Morgen soll es losgehen. Wilhelm Bode kann auch nach Monaten der Zusammenarbeit neue Anekdoten über den Wald erzählen
Jonas WalterDer Wald zwingt Menschen, in sehr langen Zeiträumen zu denken
Als sich 2022 die Möller’sche Dauerwaldidee zum 100. Mal jährte, baten ihn Verlage, einen Dauerwald-Leitfaden für die Praxis zu schreiben und einen Kommentar zu Alfred Möllers Idee herauszugeben. "Dadurch habe ich noch mal Feuer gefangen", sagt Bode. Im vergangenen Jahr kam auch Youtube dazu, "@Dauerwald" heißt sein Kanal, er will zeigen, wie Forste zu Dauerwäldern werden können. Bald hat er 1500 Abonnenten. Sophie Kersting, Bodes Mitstreiterin, sagt: "Fürs Klima erreichen wir mit dem Kanal mehr, als wenn wir nur zur Friday-for-Future-Demo gehen. "Ihr Freund Paul Wolf, der die Videos dreht, meint: "Wir wollen ein Dauerwaldarchiv schaffen, falls Wilhelm mal nicht mehr da ist."
Tannen können 600 Jahre alt werden. Buchen bis zu 400 und Eichen sogar 1000 Jahre. Der Wald zwingt Menschen dazu, in Zeiträumen zu denken, die ihn überdauern. Aber es bleibt keine Zeit mehr, die Wälder so umzubauen, dass sie der Klimakrise gewachsen sind. Ungeduld ist Wilhelm Bode jederzeit anzumerken, er sei eben ein Unruhegeist, sagt er. Und wirkt dann wie ein Lehrer, der kurz vor den Sommerferien merkt, dass seine Schülerinnen und Schüler den Stoff immer noch nicht verstanden haben. In solchen Momenten schimpft Bode viel und heftig. "Der Altersklassenwald ist ein Katastrophenkarussell, das sich immer weiterdreht!"
Nach Kalebsberg, 90 Autominuten von Stralsund entfernt, kommt Wilhelm Bode gern, weil er dort zeigen kann: Es geht auch anders, es geht besser als mit der Alterklassenwirtschaft. Oft an diesem Nachmittag nickt er, wenn Waldbesitzer Holger Weinauge ihm Fragen für die Videos beantwortet. Als wollte er sagen: Seht doch, der Mann kann auch von einem Dauerwald leben, das ist keine Fantasterei! Waldbesitzer Weinauge hat Karten dabei, Ausdrucke von "Forestwatch", einer Internetseite. Sie zeigen, dass sein Wald den Dürrejahren 2018 und 2019 viel besser getrotzt hat als benachbarte Forste.
Ein Dauerwald funktioniert mit der Natur, nicht gegen sie. Wichtig sind eine gute Lichtökologie und überall alte Bäume mit tiefen Wurzeln, die der Trockenheit und den Borkenkäfern mehr entgegenzusetzen haben. Ein alter Baum stellt sich schützend vor die jüngeren Nachbarbäume, spendet mehr Schatten, holt mit seinen langen Wurzeln und einem Netz aus Pilzfäden das Wasser tief aus der Erde und bindet viel mehr Kohlenstoff als ein junger. Deswegen lässt Waldbesitzer Weinauge jeden fünften der stärksten Bäume stehen, bis sie sterben – auch wenn sie viele Festmeter Holz liefern würden. Er nennt das "Gigantenstrategie". Ihr wahrer Wert sei mit Geld nicht aufzuwiegen. Der Dauerwald trotzt auch einer Wirtschaftsweise, die aufs schnelle Geld statt auf ein langfristiges Einkommen setzt.
Warum hat sich der Dauerwald nicht längst durchgesetzt? "Der deutsche Wald ist verbeamtet", sagt Bode und kritisiert die Forstverwaltungen. "Beamte stehen nicht für Erneuerung." Auch für die Forstwissenschaften in Deutschland hat Bode nicht viel übrig, "Kaderschmieden des Altersklassenwaldes" nennt er sie.
"Zu lange zielte die Lehre darauf ab, die Holzerträge zu steigern." - Christian Ammer
Christian Ammer, Professor für Waldbau und Waldökologie der gemäßigten Zonen an der Georg-August-Universität Göttingen, bildet Försterinnen und Förster aus. Er könnte sauer sein auf Bode, den er zu einem Vortrag nach Göttingen eingeladen und der ihn vor den eigenen Studierenden hart kritisiert hatte. Aber es ist kein Groll zu spüren. "Wilhelm Bode hat große Verdienste, er hat gegen Widerstände für seine Idee gekämpft, als es noch nicht en vogue war. Und er hat viele persönliche Attacken ertragen müssen, kann aber auch austeilen", sagt Ammer. "Der Dauerwald hat viele Vorteile, nicht umsonst fahre ich morgen mit den Studierenden in einen Dauerwald." Also gibt es keinen Streit? Doch, in einem Punkt. Christian Ammer versteht Wilhelm Bode so, dass in den Forstwissenschaften nur noch der Dauerwald gelehrt werden dürfe. Das hält der Professor für gefährlich. "Es gibt viele Arten, Wälder zu bewirtschaften, und die muss ich lehren", sagt Ammer, der die eigene Disziplin durchaus auch kritisiert: "Zu lange zielte die Lehre vorrangig darauf ab, Holzerträge zu steigern." Ökologische Wechselwirkungen seien erst spät in den Blick genommen worden. "Ich verstehe, dass Wilhelm Bode ungeduldig ist – aber es tut sich viel." Und dann beschäftigt Ammer noch eine Sache, er fragt: "Muss man seine eigenen Ideen befördern, indem man sagt, die anderen haben alle keine Ahnung?" Es klingt weniger wie ein Vorwurf. Eher wie ein Rat.
Alle hätten keine Ahnung? "Das sage ich so niemals, ich sage nur: Die Forstwissenschaft ist falsch gepolt", meint Wilhelm Bode. Seine Sprache ist mitunter scharf, sein Verstand ist es immer. Er erklärt sich das mit seiner Kindheit. Er habe viel gelesen und im Gasthof der Eltern Gespräche aufgeschnappt, aus denen er gelernt habe. Und er kenne alle frühen Filmklassiker, weil er sich als kleiner Bursche ins Kino seines Vaters mogelte. Seine Kindheit lehrte ihn, immer alles zu hinterfragen. Im Denken ist Bode das Gegenteil einer Monokultur.
Leseempfehlung
Vielleicht gibt ihm die Zeit nun Recht, weil die Not groß ist. Aus Bayern, dem waldreichsten Bundesland, teilen die Bayerischen Staatsforsten mit: "Viele der Dauerwaldprinzipien decken sich mit unseren." Auch in anderen Bundesländern ist man interessiert. Anhänger einer naturnahen Waldwirtschaft bleiben skeptisch. Wer sich umhört, erfährt, dass sich manche Forstverwaltungen innovativ geben, aber Förster in die Reviere schicken, die den Dauerwald ablehnen.
Manche Bäume wurzeln tief. Aber es gibt auch solche, die flach wurzeln. Fichten zum Beispiel. Bei Sturm sind es oft die ersten, die fallen. Und es gibt Menschen, die ihre Meinung schnell ändern. Wilhelm Bode gehört nicht dazu. Am Ende seines Waldspazierganges stützt er sich auf seinen Wanderstab und sagt: "Ich gelte als unbelehrbar – aber das muss ich wohl ertragen, denn es geht um die Zukunft unseres Waldes."
Infobox
Auf dem Youtube-Kanal von Wilhelm Bode, Sophie Kersting und Paul Wolf erscheinen alle zwei Wochen - immer sonntags - neue Videos zum Thema Dauerwald. Gegründet im Herbst 2022, finden Sie hier unter diesem Link Videos zur Geschichte, grundsätzlichen Prinzipien und ganz konkreten Fragen, die nicht nur für Waldbesitzer interessant sind.
Wilhelm Bode ist zu dem Autor und/oder Herausgeber zahlreicher Bücher - auch, aber nicht nur zum Thema Dauerwald:
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"Dauerwald – Leicht gemacht", ISBN: 978-3-942062-54-1, 348 Seiten
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Alfred Möller, Wilhelm Bode (Hg.): "Alfred Möllers Dauerwaldidee",
ISBN: 978-3-95757-963-8, Matthes & Seitz Berlin, 476 Seiten
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"Tannen. Ein Portrait", ISBN: 978-3-95757-948-5, Matthes & Seitz Berlin
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"Hasen. Ein Portrait", ISBN: 978-3-7518-0224-6, Matthes & Seitz Berlin
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"Hirsche Ein Portrait", ISBN: 978-3-95757-672-9, Matthes & Seitz Berlin
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Lesermeinungen
Udo Specht | vor 3 Wochen 1 Tag Permanenter Link
Sehr geehrte Damen und Herren
Sehr geehrte Damen und Herren,
Sie schreiben z.B. am Ende des Artikels. Manche Bäume wurzen tief. Aber es gibt sie, die tief wurzeln z.B. Fichten. Ich bin der Meinung, dass diese Meinung falsch ist.. Wahrscheinlich macht der Forst aus Gründen der Pflanzung von Fichten diese zu sog. Flachwurzlern.. Vor dem Setzen werden aus praktischen Gründen (Tiefe der Pflanzgrube) die langen Wurzeln einfach abgeschnitten. Also Fichten sind keine ausgesprochenen Flachwurzler. In unserem Jagdrevier waren die Schäden von Fichten bei Naturverjüngung erheblich geringer, als bei wie den üblichen Pflanzungen. Herr Bode wird das wissen.
Udo Specht