chrismon-Herausgeber Yared Dibaba über Identität
Willkommen im Kuddelmuddel
Vielfalt kann ganz schön lustig sein - und anstrengend. Wie beim Sport haben wir nicht immer Lust dazu, aber sie macht uns fitter.
Thomas Leidig
08.09.2023

Trotz. Dieses Wort trägt so viel Kraft in sich. Es ist der Funke, der uns antreibt, wenn Hindernisse unüberwindbar erscheinen. Als ein Oromo habe ich mich schon mehrfach trotzig ­gefühlt. Die Oromo sind das größte Volk in Äthiopien und zählen beeindruckende 60 Millionen Menschen. Wir haben eine reiche Kultur, die geprägt ist durch das Gada-System, eine basisdemokratische Gesellschaftsordnung.

Ein wichtiger Bestandteil unserer Identität ist die über 150-jährige Geschichte des Widerstands gegen die Unterdrückung durch verschiedene äthiopische Regierungen. Wir sind uns unserer Wurzeln bewusst und kämpfen bis heute für unsere Rechte. Wieder und wieder erheben wir unsere Stimme und erzählen unsere Geschichten. Geschichten vom Bürgerkrieg, von Landraub und Vertreibung, aber auch von unserem Humor, von unseren Vorfahren und den einzigartigen Bräuchen wie der Kaffeezeremonie.

Diversität, Vielfalt oder wie ich gern auf Plattdeutsch sage: Kuddelmuddel ist eine gesellschaftliche Tatsache und lebensnotwendig. Wir sollten sie feiern. Unsere Welt ist so reich an unterschiedlichen Vorder- und Hintergründen, Traditionen und Perspektiven. Das ist ­unsere Stärke. Als Oromo weiß ich, wie wichtig es ist, anzuerkennen, dass wir verschieden sind – vielfältig ist ja schon mein eigenes Volk!

Die religiöse Landschaft in Oromia ist facettenreich. Die traditionelle Religion ist Waaqeffannaa, Waaqaa ist der Schöpfergott, der die Welt und alles in ihr erschaffen hat. Die Gläubigen fühlen sich der Natur eng verbunden. Andere Oromo sind Anhänger der koptischen ­Orthodoxie oder des evangelischen und katholischen Glaubens; vor allem im östlichen Teil der Region leben auch Menschen muslimischen Glaubens. In meiner eigenen Familie ­exis­tieren all diese Glaubensrichtungen harmonisch miteinander und wir lernen sogar voneinander.

Oromia besteht aus mehreren Provinzen, in denen ­unterschiedlichste Dialekte gesprochen werden, von denen es wiederum Varianten gibt. Wenn ich mich als ­Oromo aus der Provinz Wollega mit einer Person aus ­einer ­anderen Region unterhalte, kann es vorkommen, dass ich kaum etwas verstehe und mehrfach nachfragen muss. Das kann mitunter ziemlich lustig sein, aber auch ­anstrengend. So ist Kuddelmuddel: manchmal auch anstrengend. Ein bisschen ist es wie beim Sport. Tägliches Training macht nicht immer Spaß, und nicht jedes Mal haben wir Lust dazu, aber es kann uns fitter und widerstandsfähiger machen.

Leseempfehlung
Anna-Nicole Heinrich, Mit-Herausgeberin von chrismon

Flucht und Vertreibung erinnern ­daran, wie fragil das Leben sein kann, und wie wichtig es ist, Menschen in Not zu helfen – abgesehen davon, dass es ­jeden und jede betreffen kann. Millionen ­Menschen sind gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, auf der Suche nach Sicherheit und einem besseren Leben.
Jede vertriebene Person hat ihr eigenes Schicksal erlebt. Wie Leensa, die hochschwanger durch die nordafrikanische Wüste musste, dann mit einem Boot übers Mittelmeer gefahren ist und anschließend nach Deutschland kam. Jetzt lebt sie hier mit ihrer ­Tochter. Das berührt mich zutiefst. Wir können von vertriebenen ­Menschen eine Menge lernen, denn sie haben viele Grenzen überwunden, nicht nur geografische. Wer so eine Flucht überstanden hat, war stark und mutig – und hatte eine Vision.

Leensa und ihre Tochter machen uns reicher, ­ihre ­Geschichten stärken auch uns, wenn uns klar wird: Wir gehören zusammen, in aller Vielfalt.

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Hallo Herr Dibaba,
finden Sie nicht, dass Ihr Artikel doch sehr einseitig geschrieben wurde ?
Halb Afrika will ja nach Europa kommen, und besonders nach Deutschland. Das wird nicht nur ein Kuddelmuddel kreieren, sondern ein Chaos.
Dann kann alles passieren, oft das Gegenteil von dem was man erreichen will.
Ich möchte doch klarstellen, dass Leensa keineswegs hochschwanger durch die nordafrikanische Wüste musste. Sie und ihre Unterstützer wollten dies so.
Das war sowohl gefährlich wie auch teuer.. Das scheint also organisiert worden zu sein, wie viele dieser illegalen Grenzüberwindungen.
Vermutlich hatte sie auch bereits Kontakte in Deutschland, aber darüber wird nichts berichtet. Es soll ja hier auch Schleuser geben !!!
Die Leensa und ihre Sponsoren hatten sicherlich eine Vision, aber ob die mit den Interessen der hiesigen Bevölkerung übereinstimmt, möchte ich doch stark bezweifeln.
An Ihrer Stelle würde ich da nicht so stark und einseitig auftreten. Man kann und soll sicherlich hier und da helfen, aber nicht generell wie dies von Ihnen impliziert wird.
Im übrigen können die deutschen Wohltaten und Wahlgeschenke auf diese Weise bald nicht mehr fortgesetzt werden können. Die Mittel werden fehlen, wegen den
Meist miserablen Politikern, die wir seit ca. 15 Jahren haben !!!
Ich beobachte Afrika seit vielen Jahrzehnten, weiss auch wie stark sich die Bevölkerung vermehrt. Nicht nur in Niger, sondern auch in Äthiopien.
Was das letztere anbetrifft, habe ich meine Zweifel , ob das Land in der jetzigen Konstellation noch lange existieren wird. Da gibt es zu viele unterschiedliche Interessen der vielen Stämme.
Das führt zu einem Konflikt nach dem anderen, mit viel Blutvergiessen, ohne viel zu erreichen, was eine friedliche Zukunft wäre.
Das ist Ihnen doch sicherlich auch bewusst !!! das erscheint mir eine Mission Impossible !
Mfg
Rolf Klotzbucher

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