Eine paranoide Welt
Tim Wegner
04.02.2021

Winston Smith lebt in einer Welt, in der alles und jeder vom "Großen Bruder" (im Original: Big Brother) überwacht wird. An der Macht ist eine totalitäre Partei, die alle einfachen Arbeiter (die Proles) regiert und abwechselnd gegen zwei andere Weltreiche Krieg führt. Smith arbeitet im Ministerium der Wahrheit und fälscht alte Zeitungsberichte: Sie sollen rückwirkend an die aktuelle Linie der Partei angepasst werden. Der 39-Jährige ist unglücklich und beginnt, sich innerlich gegen das System aufzulehnen. Doch dann begegnet er der ominösen Julia, die ihn zu verfolgen scheint. Ist sie eine Spionin der Gedankenpolizei? Oder gehört sie der oppositionellen Untergrundbewegung "Die Bruderschaft" an?

Im Jahr 1948 schrieb der britische Schriftsteller George Orwell sein wohl bekanntestes Werk "1984" – eine düstere Zukunftsvision einer total überwachten Gesellschaft. Immer wieder werden Werk und Autor seitdem als Vergleich herangezogen, wenn über staatliche Überwachung oder sozialmediale Datenkraken berichtet wird.

Trostlose und paranoide Atmosphäre

Dabei war Orwells Schreckensvision noch viel umfassender: Geschichtsklitterung, Gedankenkontrolle, Gehirnwäsche. Unablässige Propaganda ("Big Brother is watching you!") hält die Bevölkerung auf Linie; Hass auf einen ständig wechselnden Feind wird genutzt, um die Loyalität zur Partei zu stärken; Sexualität soll nur als Mittel zur Fortpflanzung dienen (und wird stückweise durch künstliche Befruchtung ersetzt); die Sprache wird sukzessive vereinfacht, um komplexe Gedanken unmöglich zu machen; und so weiter...

Im Knesebeck-Verlag erscheint am 5. Februar eine Graphic Novel, die sich Orwells Stoff angenommen hat. Die Künstler Jean-Christophe Derrien und Rémie Torregrossa haben die Welt von "1984" in düsteren Comicbildern auferstehen lassen. Fast alle Zeichnungen sind in Schwarz-Weiß und Grau gehalten, nur wenige, besonders emotionale Stellen leuchten farbig auf.

Jean-Christophe Derrien, Rémi Torregrossa: "1984" Übersetzt von: Anja Kootz, Knesebeck, 2021, 128 Seiten, 22 Euro

Die Graphic Novel fängt die trostlose und paranoide Atmosphäre der dystopischen Gesellschaft aus Orwells Vorlage zwar gut ein, aber die Erzählung ist häufig lückenhaft. Die Autoren überspringen (vermutlich auch aus Platzgründen) gewisse Details und rauschen so durch die Handlung. Wer Orwells Roman noch nicht gelesen hat, dürfte von diesem Tempo und den Erzählsprüngen gelegentlich überfordert sein. 

Was jedoch eindringlich transportiert wird, ist Orwells Botschaft. Im neuen Gewand erschließt sich diese Welt vielleicht auch wieder für eine neue Generation. Um über Totalitarismus nachzudenken und darüber, wie er wirkt, ist die Graphic Novel eine gute Ausgangslage.

Permalink

Ich hab mir grade alle 3 Graphic Novels von "1984" angesehen:
https://meinkunstbuch.wordpress.com/2021/12/12/george-orwells-1984-3-graphic-novels-im-vergleich/

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