Wald mit Nebel
Sarah Zapf Wald Nebel
Sarah Zapf
Verzauberte Tage
Verwunschene Orte, schöne Prinzessinnen, kühne Prinzen. In meiner Heimatstadt Annaberg-Buchholz im deutsch-böhmischen Grenzgebiet finden seit einigen Jahren ganz besondere Festtage statt
Julian Leitenstorfer
13.07.2023

Die Bühne ist groß, der Marktplatz voller Menschen, die teils sitzend, teils stehend bei schönstem Sommerwetter gespannt nach vorne schauen. Ein älterer Herr mit schwarzem Anzug und einer Fliege geht nach vorne - und nimmt eine gold-bronzene Statue mit einer kleinen Eule vom Bürgermeister entgegen.

Heute wird Pavel Trávníček, bekannt als charmanter Prinz aus dem Weihnachtskult-Klassiker „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, für sein Lebenswerk geehrt. 72 Jahre ist er alt, mit vielen Besucherinnen und Besuchern nicht nur aus dem Erzgebirge schaut er auf 50 Jahre Aschenbrödel zurück.

Ein zauberhaftes, nostalgisches Ereignis, sicher für viele auch mit einem Stück Ostalgie und Zurückerinnern in ihre eigene Kindheit verbunden. Am Ende erhält Trávníček ein kleines erzgebirgisches Kunstwerk - einen eigens für ihn und sein Märchen angefertigten Schwibbogen mit einer fein ausgesägten Frauenfigur, Aschenbrödel, die auf dem Schimmel davon reitet.

Märchen im deutsch-böhmischen Grenzgebiet

Fabulix ist eines der ersten Märchenfilmfestivals weltweit und das einzige internationale Märchenfilmfestival in Europa. Gezeigt werden alte DEFA Verfilmungen genauso wie neue Märchenverfilmungen mit jungen Schauspielerinnen und Schauspielern aus der ganzen Welt, in den Kategorien Spielfilm, Kurzfilm und Animation. Interaktiv geht es zu, mit den vielen Workshops, Lesungen, Theatereinlagen, Schulwettbewerben und Ausstellungen, die sich quer in der Altstadt in den kulturellen Einrichtungen und Innenhöfen verteilen.

2017 wurde das Festival etabliert, auch als Herzenswunsch des Annaberger Oberbürgermeisters Rolf Schmid. Im ersten Jahr zog es rund 20 000 Märchenfilmbegeisterte an, coronabedingt konnte es einige Jahre nicht stattfinden. Zurückgeblickt wird immer auch in die Vergangenheit, geschaut wird auf die Gegenwart und Zukunft des Märchenfilms. 

Das Festival zieht seither eine beachtliche Medienpräsenz nach sich, jedes Jahr strömen Schauspielerinnen und Schauspieler, Regisseure und Filmschaffende in die Erzgebirgshauptstadt. Besonders spürbar ist die Verbindung mit dem Nachbarland Tschechien, das auf die Produktion von teils Jahrzehnte alten Märchenfilmen, wie „Die Prinzessin mit dem goldenen Stern“ oder „Die kleine Meerjungfrau“, zurückblickt.

Oft werden diese Erzählungen als die „Blüte der Volksdichtung“ in dem Land verstanden, Märchen sind den Tschechen auf jeden Fall sehr wichtig - wahrscheinlich auch, weil das Land mit seinen tiefen, unberührten Wäldern, der sanften Hügellandschaft und den zahllosen Burgen mit einer märchenhaften Landschaft besticht. Und weil es etlichen begnadeten Filmschaffenden nach dem abrupten Ende des Prager Frühlings nicht mehr möglich war, andere Filmgenres ohne politische Zensur bedienen zu können. So flüchteten sich einige Künstler in eine Märchenwelt, ein politisch weitestgehend unangetastetes Genre. Andere gingen ins Exil. Auch die DDR Führung unter Ulbricht fürchtete die Ideologie hinter der damaligen aufstrebenden Filmlandschaft der ČSSR.

Flucht in ein eher unpolitisches Genre

Es gibt einige Koproduktionen der tschechischen Filmstudios, besonders des Prager Filmstudios Barrandov, und der ostdeutschen DEFA mit den Babelsberger Studios, die in ihrem Bestand bis zur Wiedervereinigung seit Anfang der 50er Jahre in der DDR immerhin 77 Märchenfilme produzierte. DEFA war das erste Filmstudio in den vier Besatzungszonen, das nach 1945 eine Lizenz erhielt. 

Als ich ein Kind war, schauten wir öfters „Das kalte Herz“ oder „Die Geschichte vom kleinen Muck“. Auch als Jugendliche gehörte für mich gewohnheitsmäßig das Sonntagsmärchen im KiKA dazu. Meine Mutter bastelte für eine Geburtstagsfeier meines kleinen Bruders einmal aus großen Kartonagen ein begehbares Hexenhäuschen, auf das sie Lebkuchen malte. In dem kleinen Häuschen saßen wir gespannt und lauschten den Märchen, die sie aus einem Buch vorlas.

Märchen begleiteten mich auch bei den alljährlichen Festspielen auf den Greifensteinen in der Nähe meiner Heimatstadt. Bei meinem Opa saßen mein Bruder und ich oft staunend als Kinder auf der Couch und hörten den Geschichten zu. Im Wohnzimmer sammelten sich die DVDs von allerlei DEFA Märchen. Meine Mutter telefonierte so lange mit verschiedenen Stellen des MDR, bis sie ihr heiß geliebtes Märchen „Das Schloss hinterm Regenbogen“, ein rumänisches Märchen aus dem Jahr 1969, auf DVD geschickt bekam. 

In der DDR waren Märchen durch ihren in der Regel unpolitischen Charakter sicher für viele eine willkommene Abwechslung in dem sozialistischen Alltag. Die Kinder konnten sich verkleiden, in andere Rollen schlüpfen und kreativ sein.

Ich frage mich auch heute noch, was mir Märchen bedeuten.

Mit ihnen verknüpfe ich Freiheit des Denkens, Wandelbarkeit und etwas Wundersames. Nach wie vor begleitet mich die Aussagekraft vieler Märchenfilme, die ich gesehen habe: Für Schwächere einstehen, nicht der Arroganz und dem Starrsinn verfallen, offen für Abenteuer sein, gut zu handeln.

Sicherlich wird auch diesen Winter wieder Aschenbrödel auf ihrem Schimmel über den Bildschirm bei mir im Wohnzimmer reiten - und ich summe die Melodie der Musik mit.

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