Joram Haimi mit Familie, Kibbuz Mefalsim, vier Kilometer östlich vom Gazastreifen
Joram und Einat Haimi mit ihren Enkelkindern Rani, Peleg und Nadav.
Privat
Juden und Araber in Israel
Es reichen ein paar Verrückte, um Feuer zu legen
Ruthe Zuntz
26.10.2023
5Min

Mein Freund Joram Haimi hat den "schwarzen Schabbat" am 7. Oktober mit seiner Frau, seiner Tochter, deren Freund und Enkel im Kibbuz Mefalsim, vier Kilometer östlich vom Gazastreifen, erlebt. Sie saßen im abgedichteten Raum in ihrem Haus, während oben Hunderte Raketen der Hamas einschlugen und Schüsse aus nächster Nähe zu hören waren. "Es war klar, dass Terroristen im Kibbuz herumliefen", erzählte Haimi ein paar Tage später am Telefon. Er hatte nur ein Küchenmesser bei sich, mit dem er sich im Notfall hätte verteidigen können. Viele Stunden später erst trafen die Soldaten ein, und die Haimis verließen den Kibbuz. "Am Ausgangstor sagten die Soldaten, wir sollen den Kopf des Achtjährigen nach unten beugen, damit er die Leichen vor dem Zaun, die Blutpfützen und die verbrannten Autos nicht sieht."

Ruthe Zuntz

Igal Avidan

Igal Avidan, geboren 1962 in Tel Aviv, studierte englische Literatur und Informatik in Ramat Gan sowie Politikwissenschaft in Berlin. Igal Avidan lebt in Berlin und arbeitet seit vielen Jahren als freier Journalist und Deutschlandkorrespondent für verschiedene israelische Zeitungen (wie z. B. die Tageszeitung "Maariv", Tel Aviv), Hörfunksender und Nachrichtenagenturen sowie als freier Autor und Kolumnist zum Thema Nahost u. a. für die "Süddeutsche Zeitung", "NZZ", Cicero, "Frankfurter Rundschau", "Berliner Zeitung", "Tagesspiegel", "Welt" und das "Handelsblatt". Für verschiedene deutsche Organisationen wie die Bundeszentrale für politische Bildung, die Deutsch-Israelische und Christlich-Jüdische Gesellschaft sowie für mehrere Stiftungen hält er Vorträge über Israel und den Friedensprozess im Nahen Osten. Sein neues Buch "… und es wurde Licht! Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel" erschien im Mai 2023 im Berenberg-Verlag.

Joram Haimi arbeitet als Archäologe und war immer bereit, Frieden mit den Palästinensern zu schließen. Dafür hätte er sogar die Teilung Jerusalems in Kauf genommen. Jetzt sagt er: "Dass über 100 meiner Freunde aus der Umgebung bestialisch ermordet wurden, kann ich nicht verzeihen. Ich bin so wütend, dass ich mir keinen Frieden mehr mit den Palästinensern vorstellen kann." Es gebe bestimmt gute Palästinenser, aber er sei so enttäuscht, dass nicht einmal die Palästinenser im Westjordanland die Mordtaten öffentlich verurteilten.

Hoffnung schöpft mein Freund Joram Haimi allein aus dem Umstand, dass die Solidarität unter den Israelis jetzt so groß sei - egal ob jemand jüdischer oder arabischer Israeli sei. "Mich tröstet, wenn mir beduinische Freunde sagen, der Islam verbietet solche Morde und Vergewaltigungen", sagt er. Die Beduinen hätten ihn und seine Familie sogar eingeladen, bei ihnen zu wohnen.

Denn seit dem Massaker sind die Haimis Flüchtlinge im eigenen Land. Um Freunde und die eigenen Kinder nicht übermäßig zu strapazieren, übernachten der 62-Jährige und seine 61-jährige Frau alle zwei Tage woanders. Die Armee hat die Kibbuzmitglieder zwar in ein Hotel evakuiert, aber das Paar will in der Nähe der Familie und in der Nähe des Kibbuz bleiben, "denn irgendjemand muss die Kühe melken", sagt Joram Haimi.

Hat der 7. Oktober das Zusammenleben von jüdischen und arabischen Israelis verändert? Das habe ich auch andere Israelis gefragt. Für mein Buch "… und es wurde Licht! Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel" habe ich vergangenes Jahr mit vielen Menschen in den sogenannten gemischten Städten gesprochen: in Haifa, Akko, Jaffa, Lod und Ramle. Diese Städte waren ursprünglich überwiegend arabisch. Heute ist die Mehrheit der Bevölkerung jüdisch, aber es gibt immer noch eine große arabische Minderheit. Im Mai 2021 eskalierten in diesen Städten die Spannungen, und es kam zu den schlimmsten Gewaltausbrüchen zwischen jüdischen und arabischen Israelis seit der Staatsgründung 1948. Was tun die Menschen jetzt, um eine erneute Eskalation zu verhindern?

Uri Jeremias während eines Interviews in seinem Restaurant "Uri Buri"

Anruf bei Uri Jeremias in Akko im Norden Israels. Er ist 79 Jahre alt, hat einen imposanten weißen langen Bart und betreibt seit 26 Jahren ein Fischrestaurant in der Altstadt, wo ausschließlich bedürftige Araber wohnen. Sein berühmtes Restaurant ist immer rappelvoll, obwohl es recht teuer ist. Die Gäste schätzen die kreativen Rezepte, und Uri Buri, wie er genannt wird, ist beliebt als Brückenbauer zwischen Juden und Arabern in Akko. "Wenn man sich gegenseitig respektiert, kann man gemeinsam leben", sagt er – das gelte nach wie vor. "Mein Chefkoch und sein Stellvertreter sind beide Muslime. Die Araber, die ich kenne, distanzieren sich klar vom Überfall aus Gaza", sagt Jeremias.

Ihn freute auch, dass Mansour Abbas, der Vorsitzende der islamischen Partei Ra'am, die an der letzten Koalition beteiligt war, an die Hamas appellierte, "menschlich und nach den Werten des Islams zu handeln und alle Geiseln freizulassen, zuerst die Frauen und Kinder". Abbas bot sogar seine Vermittlung an und rief die arabischen Israelis auf, Hetze gegen Israel zu ignorieren und sich friedlich zu verhalten. Zugleich ermahnte er die israelische Regierung, das Leiden der unschuldigen Menschen in Gaza nicht zu ignorieren. Als einziger arabischer Abgeordneter nahm Mansour Abbas an der Sitzung des Parlaments teil, in der die Abgeordneten der ermordeten Israelis mit einer Schweigeminute und einem Gebet gedachten.

Mansour Abbas, Vorsitzender der islamischen Partei Ra'am

Uri Jeremias hat jetzt viel Zeit zu telefonieren, weil sein Lokal seit Kriegsbeginn fast menschenleer ist: Alle Touristen haben Israel verlassen, und Israelis verreisen im Krieg nicht. "An normalen Tagen kommen 250 Gäste, an Wochenenden und Feiertagen 400 und jetzt nur zehn bis fünfzehn", sagt er. Jetzt kochen sie auf eigene Kosten täglich für 100 Soldaten – ohne Laktose und Gluten, was das Militär nicht leisten kann. Soldaten und Polizisten erhalten kostenlos Kaffee, Softdrinks und selbst gemachtes Eis. Er glaubt nicht, dass wie 2021 Spannungen zwischen Juden und Arabern in Akko eskalieren. Aber damals lernte er, "dass man nur wenige Verrückte braucht, um ein Feuer zu legen, das 1000 Feuerwehrleute nicht löschen können". Dagegen helfe nur Bildung zur Toleranz, genug Polizei und eine strikte Justiz.

In Jaffa haben sich über 3000 jüdische und arabische Einwohner zu einer "jüdisch-arabischen Wache" zusammengeschlossen, um zu verhindern, dass es zu Gewaltausbrüchen wie 2021 kommt. "Bei allen lokalen Kämpfen, die wir gemeinsam führten, haben wir gewonnen, und auch in diesen schweren Tagen verlieren wir die Hoffnung nicht", sagte Amir Badran bei der ersten Zoom-Konferenz der neuen Wache. Er ist Anwalt, Mitglied im Stadtrat und Sohn eines Arabers und einer Jüdin. Die "Wächter" sammeln Spenden für Flüchtlinge wie die Haimis sowie Lebensmittel, Medikamente und Kleidung für die Beduinen in den nicht anerkannten Dörfern in der Negevwüste, "die auch Opfer des Krieges sind", sagt Badran.

Solche Aktionen werden von der jüdisch-arabischen Organisation "Standing Together" gefördert, die in zehn gemischten Ortschaften aktiv ist. Sie organisieren virtuelle jüdisch-arabische Gesprächskreise, machen Kondolenzbesuche bei trauernden Familien, entfernen rassistische Graffiti und hängen zweisprachige Poster auf, die zur Mäßigung aufrufen und an die Hotline erinnern, der man Fälle von Gewalt oder Hetze melden kann.

Protest löste zum Beispiel die Aussage eines Beamten der Stadt Rosch HaAjin am 17. Oktober aus, der auf einer Baustelle verlangte, alle arabischen Bauarbeiter müssten verschwinden. Der Aufschrei danach veranlasste den Bürgermeister zu einem Dementi.

Trost finden viele Israelis in den Worten von Yaakov Argamani. Er ist ein gläubiger Jude, und obwohl seine einzige Tochter von der Hamas entführt wurde, rief er am 17. Oktober in der Zeitung "Haaretz" zur Versöhnung auf. Noa war mit ihrem Freund auf dem Musikfestival, beide wurden nach Gaza verschleppt. Statt zu hassen, sagte der Vater: "Auch in Gaza beklagen Familien ihre Toten. Nicht durch weiteres Töten, sondern nur im Dialog können wir etwas erreichen, so wie nach dem schweren Krieg mit Ägypten 1973. Bereits 1977 kam der ägyptische Präsident Sadat hierher, und auch mit den Menschen in Gaza ist ein wirklicher Frieden möglich."

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