"Alles hängt davon ab, ob man einander zuhört"
Eine Demonstration in Israel
Ammar Awad / picture alliance / Reuters
Araber in Israel
"Alles hängt ­davon ab, ob man einander zuhört"
Etwa 21 Prozent der Israelis sind Araber. Wer sind sie und wie leben Juden und Araber in Israel zusammen?
Tim Wegner
13.07.2023
3Min

chrismon: Sie sind für Ihr Buch nach Haifa, Akko, Jaffa, Lod und Ramle gefahren, sogenannte gemischte Städte in Israel. Warum heißen die so?

Igal Avidan: Diese fünf israelischen Städte waren ursprünglich überwiegend arabisch, und auch heute lebt dort eine große arabische Minderheit. Die Mehrheit ist jüdisch, diese Städte sind also gemischt.

Warum sind Sie gerade dorthin gereist?

Weil dort im Mai 2021 die schlimmsten Gewaltausbrüche zwischen jüdischen und arabischen Israelis seit der Staatsgründung 1948 stattgefunden haben. Ich wollte von meinen 50 Gesprächspartnern auf beiden Seiten wissen, wie sie die Ausschreitungen erlebt haben, wie sie sich ein friedliches Zusammenleben vorstellen und was sie dafür tun. Denn die Demokratie in Israel bemisst sich eben auch daran, wie die jüdische Mehrheit mit der arabischen Minderheit umgeht. Auch in zwei weiteren jüdischen Städten lebt mittlerweile eine beachtliche arabische Minderheit, aber diese Städte definieren sich nicht als gemischt.

Ruthe Zuntz

Igal Avidan

Igal Avidan, geboren 1962 in Tel Aviv, studierte englische Literatur und Informatik in Ramat Gan sowie Politikwissenschaft in Berlin. Igal Avidan lebt in Berlin und arbeitet seit vielen Jahren als freier Journalist und Deutschlandkorrespondent für verschiedene israelische Zeitungen (wie z. B. die Tageszeitung "Maariv", Tel Aviv), Hörfunksender und Nachrichtenagenturen sowie als freier Autor und Kolumnist zum Thema Nahost u. a. für die "Süddeutsche Zeitung", "NZZ", Cicero, "Frankfurter Rundschau", "Berliner Zeitung", "Tagesspiegel", "Welt" und das "Handelsblatt". Für verschiedene deutsche Organisationen wie die Bundeszentrale für politische Bildung, die Deutsch-Israelische und Christlich-Jüdische Gesellschaft sowie für mehrere Stiftungen hält er Vorträge über Israel und den Friedensprozess im Nahen Osten. Sein neues Buch "… und es wurde Licht! Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel" erschien im Mai 2023 im Berenberg-Verlag.

Warum ziehen immer mehr Araber dorthin?

Sie verlassen die rein arabischen Orte, weil diese strukturell benachteiligt werden. Es fließt viel weniger Geld dorthin, das Leben dort ist unsicherer. Die Menschen haben oft große Villen, aber außerhalb ihres eigenen Hauses ist die Stadt heruntergekommen. In manchen Städten gibt es nicht einmal Bürgersteige. Die aufstrebende arabische Mittelschicht möchte dort weg. Aber die jüdische Bevölkerung ist nicht begeistert über den Zuzug von arabischen Nachbarn. Die Bauherren versuchen, den Zuzug zu verhindern, indem sie etwa für ein Wohngebiet festlegen, dass nur Menschen dort hinziehen können, die Militärdienst geleistet haben. Das schließt die arabischen Israelis aus.

Warum?

Sie leisten in der Regel keinen Militärdienst, weil das Militär mit Palästinensern in den besetzten Gebieten in Konflikt steht, mit denen sie oft familiär verbunden sind. Es gibt noch andere Möglichkeiten, die arabischen Israelis zu diskriminieren und zu schikanieren. Sie werden viel öfter von der Polizei kontrolliert und am Flughafen viel intensiver durchgecheckt, während ich nach zwei Minuten durchgewunken werde.

Das Sicherheitspersonal besteht ausschließlich aus jüdischen Israelis?

Ja. Ein Araber kann in Israel auch kein Pilot werden, aus Sicherheitsgründen. Auch Firmen, die mit der israelischen Sicherheit oder mit der Verteidigung zu tun haben oder im Hightechbereich arbeiten, sind ihnen in der Regel verschlossen. Da steht dann in der Ausschreibung, dass nur ehemalige Militärs gesucht werden.

Sie schreiben, dass über 20 Prozent der Bevölkerung Israels Araber sind. Könnten sie nicht durch ihr Wahlverhalten einen großen Unterschied machen?

Ja. Aber viele gehen nicht wählen und wenn, dann teilen sie ihre Stimmen auf verschiedene arabische Parteien auf, geben den Kommunisten, den Islamisten ihre Stimme . . . Diese vielen kleinen Gruppierungen haben eigentlich nur gemeinsam, dass fast alle ihre Kandidaten Araber sind. Aber in der letzten Koalition, die bis Anfang des Jahres amtierte, war zum ersten Mal eine arabische Partei beteiligt. Das war neu für Israel und wurde von den meisten Israelis positiv bewertet.

Wie ist die Situation unter der neuen rechten Regierung? Es wird vielfach kritisiert, dass die Regierung die Demokratie in Israel aushöhlen will, indem sie die Unabhängigkeit der Justiz beschneidet.

Positiv ist, dass seit Jahresbeginn Woche für Woche Hunderttausende Israelis gegen diese Politik auf die Straße gehen und dadurch die Welt genauer hinschaut. Niemand kann diese rechtsnationale und orthodoxe Regierung gutheißen.

Demonstrieren arabische und jüdische Israelis gemeinsam für den Erhalt der Demokratie?

Nein. Die meisten Araber und Araberinnen sagen, ihr demonstriert für eure Demokratie. Solange ihr nicht auch für unsere Rechte demonstriert, ist das eure Demonstration. Und für viele jüdische Demonstranten wäre es schwierig, wenn sie zusammen mit Arabern demonstrieren würden, die Palästinaflaggen hissen. Dann würden ihnen die Rechten Verrat vorwerfen.

Sind Sie nach den vielen Gesprächen, die Sie geführt haben, optimistisch, dass die Gesellschaft trotz allem zusammenwächst?

Mein Buch zeigt: Alles hängt davon ab, ob man einander zuhört und bereit ist, sich zu ändern. Jüdische und arabische Aktivisten, die seit Jahren miteinander kooperieren, konnten bei den Unruhen mäßigend wirken. Das macht mich optimistisch.

Buchtipp: Igal Avidan: ". . . und es wurde Licht!" Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel. Berenberg-Verlag. 256 Seiten, 18 Euro.

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