Kiosk am Brückenplatz
Der Kiosk am Brückenplatz in Duisburg-Hochfeld
Toby Binder
Kiosk in Duisburg-Hochfeld
"Das ist wie ’ne Familie"
In Duisburg-Hochfeld leben viele einsame und arme Menschen. Der Kiosk am Brückenplatz: Wohnzimmer, Therapiecouch und auch mal Bühne. Eine Langzeit­beobachtung.
23.03.2022
11Min

Duisburg-Hochfeld, Ende Januar. Es ist 7 Uhr, kalt und dunkel. Aber für die Rentner spielt die Jahreszeit keine Rolle. Sie treffen sich wie jeden Morgen am Kiosk am Brückenplatz: Sigrid "Siggi" Manglowski, 69, Rainer Sambale, 64, Wilhelm "Willi" Kaufmann, 69. Siggi ist eine Dreiviertelstunde hergelaufen, Willi kommt auf dem Moped angeknattert, doch wo bleibt Rainer? Das Treffen ist ein ­Ritual, kommt einer zu spät, fällt das auf. ­Siggi ruft an. Kurz danach ist Rainer da, und alle holen sich Kaffee an der Bude. "Wir ­kommen bei Wind und Wetter", sagt Willi − und seit so vielen Jahren, dass sie gar nicht mehr ­genau wissen, wann sie damit ­angefangen haben und woher sie sich eigentlich kennen. Irgendwie vom Sehen, als alle noch zur Arbeit ­gingen und auf dem Weg einen schnellen ­Kaffee am Kiosk tranken.

Jeden Morgen um sieben kommen die Rentner Rainer und Willi auf einen Kaffee zum Kiosk am Brückenplatz − "bei Wind und Wetter". Auch immer dabei: Sigrid aka Siggi

Willi, Brille, grauer Bart, Mütze, war früher im Walzwerk bei Krupp angestellt, auf der anderen Rheinseite. "Vierkantstähle, Qualitätsstahl für Autobleche, Nähnadeln", sagt er. Es klingt stolz. 1986 sollte das Werk geschlossen werden, die Belegschaft demonstrierte. "Wir haben die Rheinbrücke besetzt, die "Brücke der Solidarität", sagt Willi. "Da war wat los!" Das Werk schloss trotzdem, Willi verlor seine Arbeit. Kurze Zeit später die Scheidung. Mit seiner neuen Frau zog er 1988 nach Hochfeld, verkaufte Teppichböden und Gardinen. Besonders gut gefällt es ihm hier nicht mehr, aber seine Frau will bleiben. In Hochfeld stehen viele Wohnungen leer, ­andere sind ­heruntergewohnt, in vielen Hinterhöfen ­stapelt sich Müll. Spielhallen, Handyläden und Dönerbuden prägen das Stadtbild. Ein-Euro-Shops wechseln sich ab mit Brautmodeläden und bulgarischen Supermärkten. Knapp 80 Prozent der Leute hier haben Migrations­geschichte, nur 40 Prozent der Hochfelder besitzen einen deutschen Pass. Viele Kinder lernen Deutsch erst in der Schule. Die Arbeitslosenquote lag 2021 bei rund 21 Prozent, eine Sozialraumanalyse von 2020 stufte 34,6 Prozent der Bewohner Hochfelds als arm ein.

Hier findet man immer ein offenes Ohr

Willi erzählt, dass er sich abends kaum noch auf die Straße traut, Siggi und Rainer ­nicken. Zwei Wochen zuvor sei eine 64-Jährige überfallen worden, als sie den Waschsalon am Brückenplatz verließ. Der Täter schubste sie zu Boden, raubte Handtasche und Gehhilfe, steht später in der Polizeimeldung. Auch ist viel weggebrochen, was Hochfeld früher ausmachte: "Kein Metzger, kein deutscher ­Bäcker mehr. Du kriegst hier keine Briefmarke, ­keine Currywurst", sagt Rainer. "Viele Kneipen ­haben dichtgemacht", sagt Willi. Siggi ist weggezogen nach Neudorf. Trotzdem geht sie jeden Morgen um kurz nach sechs zu Hause los, um hierherzulaufen. Die Leute! – die Bewegung! – tun ihr gut.

Gute Laune am Brückenplatz: Stammkunden des Kiosks

"Das ist hier wie ’ne Familie", sagt Willi. "Wenn einer mal ohne Erklärung zwei Tage nicht auftaucht, dann gucken wir nach, ob was passiert ist. Nicht, dass der schon kalt in der Wohnung liegt." Hat ein Stammkunde des Kiosks Geldnöte, werde angeschrieben. "Hier findet man immer ein offenes Ohr. Das ist die beste Therapie." Anfang Januar hatte sich ­Willi trotz dreier Impfungen Corona eingefangen und musste mit seiner Frau für zwei Wochen in Isolation. "Ich hab beim ­Kiosk angerufen und Bescheid gesagt, dass ich erst mal nicht mehr komme." Seine Freunde haben ihm Tabak vorbeigebracht.

privat

Toby Binder photography

Der Fotograf Toby Binder hat das Ruhrgebiet erst jetzt so richtig kennengelernt – aber die raue Herzlichkeit sofort gemocht.

Der Brückenplatz liegt am nördlichen ­Ende von Hochfeld und besteht aus einer langgestreckten Kiesfläche, Platanen, in der Mitte ein Brunnen, der aussieht wie eine Viehtränke. Meistens ist kein Wasser drin. Auf eine rötliche Betonwand hat jemand "ACAB" gesprayt, "all cops are bastards". Früher gab es mal ­Bänke, die wurden zerstört oder von der Stadt entfernt. Um den Platz herum stehen viele Gründerzeithäuser, Putz bröckelt, der letzte Anstrich ist Jahre her. In einem dieser Häuser öffnet sich im Erdgeschoss eine drei mal vier Meter große gekachelte Nische: Das ist er, der Kiosk am Brückenplatz. Treffpunkt, Nahversorgung, Wohnzimmer, Nachrichtenbörse. Alle paar Minuten rauscht die Straßenbahn vorbei. Dann pausieren die Gespräche kurz.

Wenn Frank Hutmacher gegen Nachmittag aufgestanden ist, kommt er rüber, bestellt sich ein Landfürst-Pils und manchmal eine kleine Packung Boonekamp. Er dreht sich ­eine Zigarette, stellt sich in eine Ecke, scherzt mit den Ladenbesitzern, plaudert mit anderen Stammkunden und grüßt Leute, die vorbeilaufen ("Hallo, die Dame!", "Grüß dich!"). Hier kennen ihn alle als "Huti". Er ist 45, gelernter Gebäudereiniger, seit ein paar Jahren arbeitslos und jeden Tag am Kiosk. "Ich brauche Action", sagt er, er wolle nicht allein zu Hause sitzen. Vergangenen Sommer war mal zu viel Action: Ein Kunde war im Drogenrausch mit einem der Kioskbesitzer aneinandergeraten, erzählt Huti. Er griff ein, bekam einen Fausthieb ab und fiel mit dem Hinterkopf auf den Bordstein. Er war zehn Minuten bewusstlos, musste ins Krankenhaus und genäht werden. Die Fäden haben sie ihm später im Hinterzimmer des Kiosks gezogen.

Stammkunde Huti hat sich den Namen seines verstorbenen Bruders auf den Arm tätowieren lassen

Huti ist in Hochfeld geboren, ­jüngster Sohn einer Schausteller­familie, fünf Brüder, eine Schwester. "Wenn es Ärger gab, haben es meine Geschwister auf mich geschoben, ich war ja der Kleinste!" Sein Vater hatte ein Fahrgeschäft, den "Love Express", eine ­Raupe, in der die Jugendlichen unter dem Verdeck heimlich knutschten. Früher hing Huti vor allem mit älteren Jungs aus dem Viertel ab. "Denen habe ich manchmal die Kippen geklaut. Das hat mir den Spitznamen ‚Räuber‘ eingebracht", sagt er. 24 Jahre lang hat er in Kaufhäusern Fenster geputzt, später ist er zum Objektleiter aufgestiegen und habe angeblich sogar auch bei Promis und Reichen wie Claudia Schiffer und Heidi Klum geputzt, erzählt er.

Ich bleib hier kleben. Ich liebe Hochfeld

Auf seinen rechten Unterarm hat sich ­Huti "Jürgen" tätowieren lassen und zwei Daten. ­Jürgen war sein Bruder, vor fast sechs Jahren ist er plötzlich an einem Herzinfarkt ­gestorben, mit 44. Kurz danach starb auch der Vater. "Ich hab das noch nicht verarbeitet", sagt Huti. Er erzählt, dass er in seiner Wohnung einen ­kleinen Altar für die beiden gebaut habe. Jeden Tag zünde er ein Teelicht an und mache für ein paar Minuten die Augen zu. "In der Zeit ging in mir was kaputt", sagt er. Huti kündigte die Arbeit, und damals muss es angefangen haben, dass er nicht nur am Wochenende trank. "Man trinkt, um die Probleme wegzuschieben, aber am nächsten Morgen sind die ja wieder da. ­Also trinkt man wieder von vorne." Er könnte nach Emden gehen, bei einem Onkel in der Landwirtschaft arbeiten. "Nee. Ich bleib hier kleben. Ich liebe Hochfeld. Hier sind ja auch meine Leute." Und hier wird Huti gebraucht.

Lesen Sie hier: Sechs Schausteller auf dem Hamburger Dom über ihr Leben

Hochfeld war nie wohlhabend, auch nie hip. Man konnte hier Arbeit finden, vor allem in der Schwerindustrie und im ­Binnenhafen, dem größten der Welt. In den 1970ern und 1980ern machten viele große Werke dicht, rund 20 000 Arbeitsplätze gingen verloren. Viele zogen weg. 1950 wohnten hier über 33 000 Menschen, jetzt sind es 18 000. "In Wohnungsleerstände sowie preiswerten ­unsanierten Wohnraum zogen vermehrt Bewohner mit wenig Einkommen nach", heißt es auf der Internetseite der Stadt Duisburg. Im Klartext: Spätestens seit 2014 die EU-Frei­zügigkeit auch für sie gilt, zogen mehrere Tausend Menschen aus Bulgarien und Rumänien hierher, viele Roma. Sie verstehen Türkisch und können sich in Hochfeld mit den türkischsprachigen Ärzten, Verkäufern und Vermietern verständigen. Oft leben sie in Bruchbuden, für die sich niemand zuständig fühlt.

Ein Straßenzug in Duisburg-Hochfeld. Viele Wohnungen stehen leer oder werden als Bruchbuden an Migranten vermietet

Alteingesessene Hochfelder klagen über Lärm, Müll und Kriminalität. "Man darf in einen Stadtteil nicht nur Armut zuwandern ­lassen", sagt ein langjähriger ­Quartiersmanager. Die Mitglieder einer Bürgerinitiative, die ­Brücken zwischen den Communitys bauen wollen, ­haben gemerkt, wie schwer es ist, mit den ­Zugewanderten dauerhaft in Kontakt zu ­kommen. Teilweise seien "ganze Dörfer" hierhergezogen. "Die suchen nicht so viel ­Kontakt zu den Deutschen." Aber vergangenen Herbst, als die Initiative Blumenkübel in ihrer ­Straße aufgestellt hat, wollten viele Nachbarn und Nachbarinnen einen vor ihren Häusern ­haben, damit es schöner aussieht. Seitdem werde sie auch von bulgarischen Familien gegrüßt, sagt eine Frau aus der Initiative.

Als sich ein paar Kunden am Kiosk lautstark über "die Bulgaren" beschweren, kauft gerade ein junger Mann mit dunklen Haaren ein. Er dreht sich zu ihnen und sagt: "Was, ‚die Bulgaren‘? Manche sind gefährlich, andere sind gut!" Er schüttelt den Kopf und rauscht davon. "Jeder darf herkommen", sagt Yussef Akil. "Ich hab hier Neonazis, Araber, Afrikaner, alle Nationalitäten. Politik hat hier nichts zu suchen." Yussef, stämmiger Typ mit Vollbart, Gang-Tattoos, kriminelle Vergangenheit, betreibt mit seinem Bruder Assuma den Kiosk seit Frühjahr 2018. Die Brüder stammen aus einer libanesischen Familie, die in den 1980ern nach Deutschland geflüchtet ist. Yussef hat ein enges Verhältnis zu seinen Kunden. "Wer mir Respekt zeigt, dem gebe ich doppelt Respekt zurück", sagt Yussef. Es kommen Arbeiter und Alkoholiker, Rentnerinnen und Zuhälter, Geschäftsleute und Drogenabhängige, Migrantinnen und Alteingesessene – ein Querschnitt des Stadtteils. Manche schauen kurz vorbei, andere bleiben stundenlang oder den ganzen Tag. Für jeden hat der Laden etwas zu bieten: Chips, Alkohol, Unterhaltung, Gemeinschaft.

"Manche Kunden haben sonst niemanden. Die stehen auch an Weihnachten am Kiosk. Corona hat vieles noch schlimmer gemacht. Viele sind noch einsamer", sagt Assuma. Die Leute nennen ihn "Bürgermeister", weil er sich ihre Nöte und Sorgen anhört, mit ihnen scherzt, manchmal ziemlich derb. "Na, du ­geile Sau?", ruft er, als einer seiner treusten Gäste auftaucht. Der lacht und redet wild gestikulierend auf Assuma ein.

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Assuma empört sich darüber, dass ­Rentner Flaschen sammeln müssen, um über die ­Runden zu kommen. Er ist genervt, dass sich Politiker so wenig um Hochfeld kümmern und zeigt auf den Brunnen auf dem Brückenplatz gegenüber vom Kiosk: "Was siehst du da? Nichts! Da haben sie einen Brunnen auf den Platz gestellt, aber es ist kein Wasser drin. Warum? Wir bräuchten hier keine Brunnen, wir brauchen Bänke zum Sitzen."

"Vorurteilslose Nahversorgung für Randgruppen", nennt der ehemalige Quartiersmanager die Aufgabe der Kioske. Sie haben eine lange Tradition im Ruhrgebiet, viele Hundert soll es hier geben. Entstanden sind sie Mitte des 19. Jahrhunderts, damals verkauften dort Mineralwasseranbieter alkoholfreie Getränke an Fabrikarbeiter, um die Volksgesundheit zu verbessern. Fotografen haben die Buden in Bildbänden verewigt, 2015 haben Detmolder Architekturstudierende sogar "Büdchen-­Studien" durchgeführt.

Wandel findet immer statt

Den Kiosk am Brückenplatz gibt es seit über 80 Jahren, sagt Emmy Schreier-Ibrahim, 81. Sie und ihr Mann haben ihn vor Yussef und Assuma 20 Jahre lang betrieben. Eigentlich wollten sie das gar nicht so lange machen, aber ihr enges Verhältnis zu den Kunden und Kundinnen hat sie gehalten. "Wir waren für alle da, und die waren für uns da", sagt Emmy. An ihrem Geburtstag brachten ihr ­einige sogar Geschenke vorbei. Viele ­Bekannte ­haben Hochfeld verlassen. Auch Emmy und ­ihrem Mann gefiel es hier irgendwann nicht mehr, nichts mehr zum Bummeln, ­keine ­schönen Geschäfte mehr. Sie sind mittlerweile zur ­Tochter nach Bayern gezogen. Und ­telefonieren ab und zu mit ihren früheren Kioskfreundinnen und -freunden.

In Hochfeld geboren, aufgewachsen und geblieben: Detlef Friehe hilft regelmäßig am Kiosk aus

Detlef Friehe ist geblieben. Ein hagerer Mann mit dunkelgrauen, hochgegelten Haaren, Brille und Ohrring, geschieden, Vater von zwei Kindern und in Hochfeld ­geboren – "auf der Couch", sagt er. Zusammen mit ­seinem Sohn hilft er am Kiosk regelmäßig aus. "Ich bin ein Alteingesessener, mich kriegste hier nicht raus." Wenn früher die ­ehemalige Duisburger Kupferhütte den rötlichen Staub aus den Kaminen pustete, mussten die Hausfrauen ihre weißen Laken von den Wäscheleinen holen. Die Kinder sind dann mit ­Magneten durch die Straßen gelaufen. "Danach war der ganze Arm rot vom Kupfer", sagt ­Detlef. 30 Jahre arbeitete er bei einer Firma, die Titan- und Zirkoniumrohre für Atomkraftwerke herstellte – bis ein chinesisches Unternehmen die Firma aufkaufte und sie schließlich pleitegehen ließ. Fünf Jahre vor seinem Ruhestand. Jetzt, mit Anfang 60, findet Detlef keinen Job mehr. Zurzeit schlägt er sich als Hausmeister durch. Er vermisst, dass es in Hochfeld keine Kinos mehr gibt. Am liebsten hat er früher die japanischen Godzilla-Filme geschaut, die in den 1960ern und 1970ern ­populär waren. Für ein paar Pfennige ­konnte man in die Vorstellungen, erzählt Detlef. "Aber Wandel findet immer statt. Wenn du nicht mitgehst, haste verloren", murmelt er.

Wandel heißt auch: 2027 findet im Ruhrgebiet die Internationale Gartenbauausstellung (IGA) statt. Der Rheinpark, 20 Minuten zu Fuß vom Brückenplatz entfernt, soll zu einem "Zukunftsgarten" umgestaltet werden, daneben entsteht auf einem alten Industriegelände ein neues Wohngebiet, die Interessenten ­stehen Schlange. Die Touristen sollen auf dem Weg dorthin durch Hochfeld – und auch am ­Brückenplatz – vorbeigelotst werden. Deshalb soll der Stadtteil bis dahin unbedingt lebenswerter gemacht werden. Zahlreiche Initiativen bemühen sich, Politiker haben dafür einige ­Millionen Euro in Aussicht gestellt. "Wie wollen wir morgen leben?" heißt das Motto der IGA.

Dennis schaut am Kiosk vorbei. Einmal haben sie am Kiosk Geld für ihn gesammelt

Ein Nachmittag im Juni vergangenes Jahr. "Was willst du, mein Bester?", Kioskbesitzer Yussef beugt sich über den Tresen. Dennis, gelernter ­Schweißer, schaut gut gelaunt durchs Verkaufsfens­ter. Er will nur schnell einen Kaffee – und bleibt bis in die Nacht. Dennis erzählt, dass er vor einigen Jahren 600 Euro Strafe aufgebrummt bekommen habe. Er ­konnte sie nicht zahlen und hätte in den Knast gemusst. "Dann haben sie hier am Kiosk gesammelt, Yussef hat den Rest draufgelegt", sagt Dennis. Er musste nicht in Haft und zahlte ein paar Wochen später die Schulden zurück. "Dass er mir geholfen hat, vergesse ich dem nicht."

Hier sitzen Araber, Kurden, Afrikaner und AfD-Wähler

Ende 2020 ist der Bruder von Assuma und Yussef gestorben, mit 24 Jahren, an Krebs. Nach der Beerdigung waren seine Kunden für ihn da, sagt Yussef. "Ich war mit Huti oft am Rhein, als es mir so schlecht ging, wir haben geredet und geredet. Ich dachte vorher nicht, dass ich mit einem Kunden so offen reden könnte. Die wollten mir so viel helfen. Wir haben Geld im Namen meines verstorbenen Bruders gesammelt. Die haben alle mit draufgelegt. Weißt du, was mir das bedeutet hat? Das waren fünf Euro, zehn Euro. Aber Assuma und ich ­hatten fast Tränen in den Augen." Huti trägt bis heute die Basecap des verstorbenen Bruders.

Public Viewing während der Fußball-EM 2021

Am Abend stellen Yussef und Assuma einen Fernseher auf den Kiosktresen, ­hängen eine Deutschlandfahne darüber und verteilen Bierkästen und Angelhocker davor. Fußball-EM, Deutschland spielt gegen Ungarn. "Schau mal, da sitzen Araber, Kurden, Afrikaner, ­Portugiesen und AfD-Wähler zusammen – das ist echtes Kultimulti!", sagt Yussef. Die Stimmung ist gelöst. Bei der ­Nationalhymne hebt eine Zuschauerin den rechten Arm. Stört das Assuma und Yussef? "Was soll ich machen? Die ändere ich nicht mehr. Wenn ich ihr jetzt sage, die soll die Hand runternehmen, dann geht die doch einfach zum nächsten Kiosk." Halbzeit beim Fußballspiel. Yussef und Assuma verteilen Pizza unter ihren Gästen. Geht aufs Haus. "Das ist doch einfach schön!", ruft Assuma in die Runde. In der Ferne ragt der bunt beleuchtete Turm der Stadtwerke in den Nachthimmel.

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Sehr geehrte Frau Ott,
als ich heute das ev. Magazin chrismon und ich das Titelbild sah, war ich 52 Jahre zurückversetzt in meine Kindheit mit damals 4 oder 5 Jahren. Den Kiosk am Brückenplatz kenne ich sehr gut. Er gehörte einer Bekannten meiner Tante und ich war dort des Öfteren mit ihr zu Besuch der Pächterin. Ich sehe noch den hinteren Raum vor mir, mit dem Sofa, Sessel und den Wohnzimmer Tisch als Aufenthaltsraum, so eine Art Wohnzimmer”und der kleinen Küchenzeile, wo mittags gekocht wurde. Ich lebe schon einige Jahrzehnte nicht mehr in Duisburg, es hat sich auch sehr viel dort verändert in über 50 Jahren. Es freut mich, dass es den Kiosk oder wie wir “Ruhrpottler” sagen, Trinkhalle, noch gibt. Vielen Dank für den Artikel.

Es grüßt Sie aus München
Martina Garnier

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Schade, dass das Cover und der Artikel mit Schwarz-Weiß-Fotos illustriert worden sind!
Sollte die Wirkung auf den Leser tatsächlich beabsichtigt sein?!
Kirsten Klimkait, Duisburg

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Sehr geehrte Damen und Herren,
tolle Reportage über das Büdchen mit den authentischen schwarz-weiß-Fotos von den Protoagonisten.
Ich kann mir vorstellen, dass es recht (zeit)aufwändig war, das Vertrauen von den Personen zu erlangen.
Dank und Grüße,
Heiko Reiter

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Hallo Chrismon-Team!
Das ist für mich sehr berührend, wie liebevoll diese fast alle "gescheiterten Kiosk-Kunden" miteinander umgehen und gegenseitig auf sich aufpassen!
Auch das ist Deutschland, einem noch reichen Land auf dem Weg ins Ungewisse.
Sitzen wir hier nicht längst schon auf einem "absteigenden Ast", der jederzeit abknicken oder gar abbrechen könnte?
Mit Putin´s Krieg in der Ukraine ist leider alles möglich geworden, sogar der atomare Welt-Super-GAU!
Ihre Riggi Schwarz

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Liebe Chrismon-Redaktion,
vielen Dank für das inhaltsreiche Aprilheft.
Beim Lesen des o.g. Artikels fiel mir ein, dass Sie mit Ihrer Reichweite eine - wie ich finde - sehr gute Idee weiterverbreiten helfen könnten: In einem Interview mit Aladin El-Mafaalani (bei "jung&naiv") lernte ich, dass es einen völlig neuen Blick auf "Menschen mit Migrationshintergrund" (bzw. Sie schreiben auf S. 15 "... Migrationsgeschichte") geben kann, wenn diese als "Menschen mit internationaler Geschichte" benannt werden.
Ich habe dieses inzwischen in mehreren Gesprächen ausprobiert und freue mich an der umgehend bei allen Beteiligten wirksamen positiven Konnotation.

Ihnen eine ruhige Restkarwoche und dann frohe Ostertage.
Herzliche Grüße aus Berlin,
Sabine Möller

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