Er kennt jetzt seine Grenzen
Er kennt jetzt seine Grenzen
Stefan Volk
Er kennt jetzt seine Grenzen
Der Offizier machte schnell Karriere, aber sein Perfektionismus führte ihn in die totale Erschöpfung. Darunter litt nicht nur er, sondern auch seine Ehe. Was hat er daraus gelernt?
23.08.2022

Heiko Graf*, 57:

Es mussten erst zwei Kameraden sterben, bis ich gemerkt habe, dass ich so nicht weiter­machen kann. Die beiden waren mir sehr ähnlich: Karriere stand ganz oben, am liebs­ten alles selbst machen, damit alles perfekt ist. Am Ende wurden sie tot in ihren Pendler­wohnungen gefunden. Sie starben eines natürlichen Todes, aber viel zu früh.

Wenn ich das Ruder nicht rumgerissen hätte, wäre ich höchstwahrscheinlich der Nächste gewesen. Denn bei mir kommen zwei Faktoren zusammen: Eine Erziehung, in der mein Vater mich nur für erbrachte Leistungen anerkannt hat. Und das hierarchische System Bundeswehr: Zufriedenheit machte ich lange nur an Aufstieg fest.

Um das gleich klarzustellen: Ich liebe meinen ­Beruf und würde ihn immer wieder ergreifen. Ich bin mit 20 zur Bundeswehr gekommen, weil ich etwas Besonderes ­machen wollte, aber auch Struktur und Sicherheit suchte.

Karriere mit einer fatalen Strategie

Ich machte dann schnell Karriere und wurde sogar für den Generalstabsdienstlehrgang ausgewählt. Ich war auf bestem Weg, in Spitzenpositionen aufzusteigen. ­Allerdings mit einer fatalen Strategie: Ich wollte immer alles möglichst selbst machen. Das zog sich durch meine ganze Karriere: als Zugführer, als Kompaniechef, als Bataillons­kommandeur. Die Aufträge, die ich an meine Unter­gebenen ausgab, formulierte ich bis ins kleinste Detail aus, damit bloß keiner einen Fehler macht.

Dann wurde ich zum zweiten Mal ins Verteidigungs­ministerium versetzt, ganz nah an den hohen Entscheidungs­trägern. Der Druck wuchs. Perfektionismus und ­mangelnde Delegationsfähigkeit sind "auf dem Weg nach oben" eine selbstzerstörerische Kombination. Ich habe über Jahre viele Nächte nicht mehr als eine Stunde geschlafen, weil ich mich in meiner Zweitwohnung grübelnd im Bett wälzte. Von meinen 37 Dienstjahren bin ich über 20 Jahre gependelt. Insbesondere während der Zeiten im Ministerium ging es nicht selten nur für den Samstag nach Hause und sonntags zurück, um meine Aufträge abzuarbeiten.

Mir wurde alles zu viel. Ich zog mich zurück

Es war ein schleichender Prozess, deswegen dauerte es, bis ich die Reißleine zog. Am Ende kamen zum Schlaf­entzug noch Hitzewallungen und eine ausgeprägte Dünnhäutigkeit hinzu. Mir wurde alles zu viel. Ich zog mich zurück. Bloß nicht auch noch Besuch am Wochenende.

Als ich 2009 für sieben Monate in Afghanistan war, ging es mir dienstlich sogar besser als daheim. Klar war ich angespannt wegen der Bedrohungslage, aber ich hatte einen klaren Auftrag, und anders als in Deutschland gab es keine unbesetzten Stellen oder fehlende Ausrüstung. Ich konnte endlich das anwenden, wofür ich so lange ausgebildet worden war.

Meine Frau sagte: "Du lachst gar nicht mehr"

Ein Jahr später war ich dann total abgewirtschaftet. Meine Frau sagte mir: Du lachst gar nicht mehr! Ich sei nicht mehr der, in den sie sich verliebt habe. Ich machte auch keinen Sport mehr. Auch enge Freunde wuschen mir den Kopf, dass es so nicht weitergehen könne.

Ich bin zum Truppenarzt, Diagnose: depressives Erschöpfungssyndrom. Nach Psychotherapie und Wiedereingliederung habe ich es noch mal versucht auf einem Dienstposten, auf dem ich Oberst hätte werden können – doch da ging alles wieder von vorn los. Dem ärztlichen Rat folgend verzichtete ich endgültig auf weitere Be­förderung und erwirkte die Rückführung auf die Ebene Oberst­leutnant, auf einen Dienstposten mit höherer Planbarkeit und begrenzterem Verantwortungsbereich.

Ich bin jetzt Dozent an der Führungsakademie der Bundes­wehr in Hamburg, wo Offiziere ausgebildet werden. Seit kurzem gebe ich hier auch meine Erfahrungen im Umgang mit persönlichen Grenzen weiter – denn das fehlt nach meiner Meinung in der Bundeswehr. Wir ­müssen mehr lernen, wie wir auf uns selbst und unsere Kameradinnen und Kameraden achten. Wir müssen erkennen, dass Selbstfürsorge keine Schwäche ist, sondern uns im Gegenteil stark, durchhaltefähiger und in der ­Akzeptanz eigener Schwächen auch lebensbejahender macht.

Wenn ich merke, dass es bei mir wieder losgeht, wenn ich dünnhäutiger werde und Entspannungstechniken nicht greifen, gehe ich heute schneller zum Arzt. Ich habe meine Grenzen besser im Blick. Und ich bin wieder viel öfter der Mann, in den sich meine Frau verliebt hat.

Protokoll: Julia Weigelt

* Name von der Redaktion geändert

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Und was hat Gott mit meiner nicht vorhandenen Work-Life-Balance zu tun? Pastorin Anne hat eine Idee.

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Das ist genau der springende Punkt: Du lachst gar nicht mehr. Nicht einmal mehr über dich selbst kannst Du lachen. ---
Wie bitte? Die Hölle gibt es nicht? Die Hölle ist eine Erfindung geisteskranker Christenmenschen? Die Hölle der Humorlosigkeit ist - auch und gerade - in Deutschland immer und überall.

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