anonymes Portrait, mit Feldern im Hintergrund
Zino Peterek
In Afghanistan ist er nicht mehr sicher
Er war Ortskraft der Bundeswehr und entkam nach Deutschland. Zum Glück ist hier nicht alles fremd für ihn.
Sebastian DrescherPrivat
03.09.2021

Fast 14 Jahre lang habe ich als Dolmetscher für die Bundeswehr gearbeitet, ich habe vom Englischen in unsere Landessprache Dari übersetzt. Anfangs habe ich die Deutschen bei Patrouillen begleitet. Wenn wir in ein Dorf ­kamen, nahmen mich die Soldaten schützend in ihre Mitte. Sie brauchten mich ja, ich war ihre Stimme. Später sind wir nach Masar-i-Scharif umgezogen, wo die Bundeswehr ihr großes Feldlager hatte.

Sebastian DrescherPrivat

Sebastian Drescher

Sebastian Drescher ist Redakteur beim JS-Magazin, der evangelischen Zeitschrift für junge Soldaten, und chrismon.

Von dem Lohn konnte ich ein schönes Haus kaufen und meinen vier Kindern eine gute Schulbildung ermöglichen. Ich wollte nie weg aus Afghanistan, aber es wurde immer gefährlicher. Nachts schoben sie Zettel unter der Türe durch. Darauf stand, ich sei ein Ungläubiger und ein Spion der Besatzer. Und dass sie mich und meine Familie töten würden. Ich weiß nicht, woher die Taliban wussten, wer ich bin. Ich habe den Nachbarn nie erzählt, für wen ich arbeite.

Als klar war, dass die internationalen Truppen ­abziehen, habe ich mich bei den Deutschen gemeldet. Ich bekam schnell ein Visum. Wir haben unser Haus verkauft, Mitte Juli sind meine Frau, die Kinder und ich dann über die Türkei nach Deutschland geflogen. Andere hatten weniger Glück. Als die Taliban nach Kabul kamen, habe ich mit einem Freund telefoniert, der auch Ortskraft war. Er hat sich in einem Haus versteckt und war total verzweifelt. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.

"Meine Frau sagt, ich muss mehr Geduld haben"

Vorerst wohnen wir in einem Flüchtlingsheim. Das Gebäude ist neu und sauber. Wir haben zwei Zimmer für uns sechs. Küche und Bad teilen wir uns mit einer anderen afghanischen Familie. Da hat man selten seine Ruhe. Zum Glück können die Kinder draußen spielen. Sie mochten den Sommer hier, weil es nicht so extrem heiß ist. Ich habe gebrauchte Fahrräder gekauft, mit denen wir zum Einkaufen fahren. Meine Frau übt noch, sie fährt zum ersten Mal Rad.

Leider haben wir kein Geld mehr. Die Reise war teuer, wir mussten die Flugtickets selbst bezahlen. Ein afghanischer Freund, der in der Nähe wohnt, hat uns etwas Geld geliehen. Ich habe Sozialhilfe beantragt, aber noch keine Antwort bekommen. Meine Frau sagt immer, ich muss mehr Geduld haben. Ich bin den Deutschen dankbar, dass ich hier sein kann. Aber von den Behörden fragt niemand, wie es uns geht oder ob wir etwas brauchen. Eine große Hilfe sind die Leute vom Patenschaftsnetzwerk, das sich in Deutschland für die Ortskräfte engagiert. Ein Soldat, den ich aus Afghanistan kenne, hat uns zum Beispiel erklärt, über welchen Flughafen wir nach Deutschland einreisen können und an wen wir uns wenden sollen. Und er gibt mir Tipps, wenn ich einen Termin beim Amt habe.

Ich spreche jeden Tag mit meiner Mutter und meinen Geschwistern, die im Norden Afghanistans leben. Für die Männer hat sich nicht so viel geändert, sie ziehen traditio­nelle Kleidung an und gehen arbeiten. Aber meine zwei unverheirateten Schwestern haben Angst, nach draußen zu gehen. Am liebsten würde ich die beiden und meine Mutter, die Witwe ist, nachholen. Aber das geht nicht: Nur meine Frau und meine Kinder durften mit.

"Hauptsache, ich kann gut für ­meine Kinder ­sorgen"

Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass die Dinge in Afghanistan je besser werden. Deshalb will ich mir hier ein neues Leben aufbauen. Deutsch lernen, Arbeit finden, ein Haus kaufen. Immerhin kenne ich die Kultur schon ein bisschen, weil ich lange mit Bundeswehrsoldaten ­gearbeitet habe. Ich weiß, dass man Müll nicht einfach auf die Straße wirft oder wie man Fremde begrüßt. Auch ein paar Worte Deutsch habe ich aufgeschnappt.

Mein afghanisches Diplom in Politikwissenschaft hilft mir bei der Jobsuche leider wenig. Ich kann gut mit Computern umgehen, vielleicht ergibt sich da etwas. Ich weiß auch, wie man Kabel verlegt und könnte eine Elektrikerlehre machen. Am liebsten würde ich wieder übersetzen. Hauptsache, ich kann gut für meine Kinder sorgen. Sie sind zwischen fünf und elf Jahre alt und gehen nun in die Schule und in den Kindergarten.

Damit sie mit dem Klang der Sprache vertraut sind, schauen wir deutsche Zeichentrickfilme an. Jeden Abend lernen wir zusammen eine Stunde Deutsch. Ich habe ein Buch gekauft, mit dem wir das Abc durchgehen. Eines Tages will ich den Kindern ihre neue Heimat zeigen. Wir werden mit dem Auto durch Deutschland fahren und viele alte Orte mit Kirchen und Schlössern besuchen.

Protokoll: Sebastian Drescher

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Der Beitrag über die Dolmetscherfamilie war berührend und zeigt zugleich das Dilemma, wenn man für die falsche Seite gearbeitet hat.
Die von den Amerikanern eingesetzte afghanische Regierung war korrupt und hat sich mit ausreichend Geld ins Ausland abgesetzt. Die afghanische Armee ist geflohen oder hat die Waffen an die Taliban übergeben. Und Deutschland ist wieder einmal blind amerikanischen Großmachtssüchten nachgelaufen. Das ist der eigentliche Skandal von Afghanistan und wieder wird kein deutscher Politiker die Verantwortung dafür übernehmen.
Das ist keine souveräne deutsche Außenpolitik.

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