Fragen an das Leben - Tobias Moretti
Fragen an das Leben - Tobias Moretti
Dirk von Nayhauß
"Die Liebe zu der Meinigen wird immer größer"
Was für ein Glück! Die Arbeit auf dem Hof erfüllt ihn, die Schauspielerei auch. Tobias Moretti, Landwirt und Künstler, rundum zufrieden.
Dirk von Nayhauß
25.11.2020

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Wenn ich im Hier und Jetzt bin. Das passiert im Spiel: im Theater, im Filmischen, aber auch im Musizieren. Weil es, bei aller Konzentration, von Leichtigkeit geprägt ist, weil man nicht "kopft". Ich spiele kein Instrument ­richtig, aber viele irgendwie: Klavier, Kirchenorgel, Gitarre, Horn. Mein liebstes Instrument, wo ich auch ein bisschen mitgrooven kann, ist die Basstrompete. Die Musik ist – neben dem Wort – für mich die wichtigste Ausdrucksform. Ich glaube: Ein Mensch, der Musik machen kann, wird zu einem glücklichen Menschen. Über die Musik habe ich auch dieses Selbstverständnis für ein göttliches Prinzip, hier ist es so klar und offenkundig.

"Tiefes Vertrauen ins Leben"

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Nein, aber ich habe ein Bewusstsein, das ich mit einem Wort beschreiben kann: Glaube. Ich fühle mich, wenn es darauf ankommt, nicht allein. Ich versuche, dieses Gefühl in meinem Alltag nicht zu strapazieren. Weil es eher in Dankbarkeit Ausdruck findet, als dass ich um etwas bitte. Als Kinder haben wir zu viert in einem Zimmer geschlafen, ­abends kam immer die Mama rein und hat ein Gebet ge­sprochen. Das haben wir umgedichtet: "Jesukindlein, komm zu mir, mach ein frohes Kind aus mir. Mein Herz ist klein, dürfen viele hinein, und besonders du, mein liebes ­Jesulein." Dann ist die Ruhe gekommen, das hat uns in unsere Träume ­entlassen, und wir haben geschlafen wie die Murmelen. Das hat mir ein tiefes Vertrauen ins Leben gegeben.

Tobias MorettiDirk von Nayhauß

Tobias Moretti

Tobias Moretti, ­geboren 1959, hat ­Mitte der 1990er Jahre die Fernsehserie "­Kommissar Rex" ­geprägt. Zu seinen wichtigsten Filmen zählen "Jud Süß", "Das finstere Tal", "Das ewige Leben", "Gipsy Queen" und die TV-Serie "Bad Banks". Das Theaterpublikum kennt ihn natürlich auch von Engagements an den Münchner ­Kammerspielen, am Burgtheater Wien, dem Münchner Residenz­theater. Oder den Salzburger Fest­spielen – in der Rolle des Jedermann. Mit seiner Frau, der Oboistin Julia Moretti, hat er drei Kinder, zusammen bewirtschaften sie einen landwirtschaftlichen Betrieb in den Bergen Tirols.
Dirk von Nayhauß

Dirk von Nayhauß

Dirk von Nayhauß absolvierte die Journalistenschule Axel Springer und studierte Psychologie in Berlin. Er arbeitet als Journalist, Buchautor und Fotograf (vertreten durch die renommierte Fotoagentur Focus). Für chrismon macht er die Interviews und Fotos der Rubrik "Fragen an das Leben".

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Die Fähigkeit zu lieben. Ich kann mich dann selbst ver­gessen. Man interessiert sich in diesen Momenten für den anderen mehr als für sich selbst. Im besten Fall wächst man damit, in der Freundschaft, in der Liebe, in der Ehe. Die ­Liebe zu der Meinigen zum Beispiel wird immer größer, und das macht mir manchmal Angst, weil ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll, wenn einmal der Schnitt kommt.

Muss man den Tod fürchten?

Den Tod fürchtet jeder Mensch. Er lügt, wenn er sagt, dass er es nicht tut. Ab Ende 50 kommen die Einschläge immer dichter. Und plötzlich merkt man: Das ist nicht mehr die Generation der Eltern, die man verliert, es wird langsam die eigene.

"Dieser Sündenrucksack ist etwas Destruktives"

Wie gehen Sie mit Schuldgefühlen um?

Es gibt ja einen Unterschied zwischen Schuldgefühl und schlechtem Gewissen. Ein schlechtes Gewissen hat man als Schauspieler sein ganzes Leben, weil man immer zu wenig übt. Aber das Schuldgefühl, das sich moralisch gebärdet, habe ich eliminiert. Da bin ich völlig unkatholisch. Nicht, dass ich mir nicht bewusst wäre, dass man schuldig ist oder nicht. Nur die Sündenzerknirschtheit, dieser Sündenrucksack ist etwas Lebensverachtendes und Destruktives.

Wer oder was hilft in der Krise?

Die nüchterne Analyse und die Erkenntnis, dass man ­einer Sache auf den Grund gehen muss, und dann können die Karten neu gemischt werden, im besten Fall. Ich bin ­temperamentvoll und nicht immer sturmfest, aber wenn es sein muss, bin ich ganz ruhig. Zum Beispiel, wenn man am Berg verloren ist oder feststeckt, weil der Nebel einen blind macht und man sich denkt: Scheiße, jetzt gibt es kein Zurück mehr, hier komme ich nicht mehr weg.

"Der Alltag ist keine Idylle"

Wo ist Heimat?

Auf unserem Hof. Stellen Sie sich vor, Sie schauen aus dem Fenster, und das Land drum herum dürfen Sie das Ihre ­nennen. 30 Hektar. Das macht mich reich, weil ich unab­hängig bin. Für mich als Künstler ist das wichtig. Natürlich müssen wir manchmal extrem viel arbeiten, diese zwei Welten schenken sich gegenseitig nichts. Der Alltag ist keine Idylle. Aber im Großen und Ganzen ist es Erfüllung – mein Sein, meine Existenz. Trotzdem ist es hier auch meine Abschussrampe, ich will raus, ich muss raus, ich bleibe neugierig.

Was ist Glück?

Es ist ein Glücksgefühl, wenn ich mich geborgen fühle in dem Leben, das mir zuteilwurde . . . Egal ob ich mit den Skiern auf dem Gipfel einer Steilwand stehe oder mit 300 km/h auf einer Rennstrecke fahre. Oder wie in Wien John Neumeiers Weihnachtsoratorium sehen darf, so dass man nur noch zweieinhalb Stunden flennt vor Glück.

Infobox

Am 25. Dezember 2020 ist Tobias Moretti um 20.15 Uhr im Ersten als "Louis van Beethoven" zu sehen. Infos und Termine zum 250. Beethoven-Jubiläum unter bthvn2020.de.

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