Jule Fella
Sie rettet Rehkitze vor dem Mähtod
Frühmorgens, mit Hilfe einer Drohne und Freiwilligen. Das macht sie glücklich und dankbar.
Privat
24.09.2020

 Claudia Fella (Jahrgang 1974)

Ich kam nach dem Einkaufen mit dem Auto an ­einer abgemähten Wiese vorbei, da stand am helllichten Tag ein Reh und schaute wie erstarrt vor sich auf den Boden. Ich bin dann zum Jäger in ­unserem Ort und habe ihn dazu befragt, obwohl ich es eh schon ahnte: Die Ricke trauerte um ihr totes Kind. Ich war entsetzt, ich bin doch selbst Mutter! Der Jäger erzählte mir, dass Zehntausende Kitze jedes Jahr im Mai, Juni totgemäht oder verstümmelt werden. Auf­gabe der Landwirte ist es übrigens, dafür zu sorgen, dass so was nicht passiert, aber manch einem ist das wohl egal.

Das alles hat mich nicht mehr losgelassen. Mein Mann und ich sind ja selbst Landwirte im Nebenerwerb mit ­biologischem Getreideanbau, hauptberuflich bin ich Diabetesberaterin in einer Klinik. Früher hatten meine Großeltern vor der Mahd Wildscheuchen im Feld aufgestellt, mit Folie, die blinkt und raschelt. Bei der heutigen Landwirtschaft mit den riesigen Flächen geht das nicht mehr.

Die Kitze sind schwer zu entdecken

Die Kitze werden von der Ricke vor allem in Wiesen, Kleegras- oder Luzerne-Äckern abgelegt, da drücken sie sich in den ersten Lebenswochen hinein. Ihre Deckung ist so perfekt, dass man sie, auch wenn man danebensteht, schwer entdecken kann. Weil die Tiere in den ersten ­Lebenstagen noch keinen Eigengeruch haben, werden sie kaum Beute von Fuchs oder Marder. Deswegen brauchen sie noch keinen Fluchtinstinkt, das hat die Natur gut eingerichtet. Aber wenn die großen Maschinen durchs Feld fahren, springen sie dann auch nicht weg.

Eines Morgens im Frühling letztes Jahr rief mich dann ein Jäger an, um mir zu erzählen, dass da eine Wiese bald abgemäht werden soll, in der sicher Kitze sind. Ich bin mit meinem 19-jährigen Sohn hin, und wir haben eines mit bloßem Auge entdeckt und rausgetragen. Dafür braucht man Einmalhandschuhe, lange Ärmel und Gras als Puffer, das Tier darf keinen Menschengeruch an sich haben, sonst nimmt die Mutter es nicht mehr an. Dem Landwirt ging das zwar gegen Strich, doch dann war er bereit, bis zum nächsten Tag zu warten, damit wir weitersuchen können.

Die Wärmebildkamera der Drohne erkennt sie

In der Zwischenzeit hat mein Mann, ohne dessen Unterstützung ich das alles sowieso nicht geschafft hätte, im Internet recherchiert. Er erfuhr auf der Seite des Jagdverbandes Marktheidenfeld von der Rehkitzrettung per Drohne. Ein Anruf genügte, und einer der Aktiven wollte gleich in der nächsten Früh kommen. Das Ganze ist schon ein ziemlicher Aufwand, ab vier Uhr geht es los, denn da sind die Kitze noch wärmer als ihre Umgebung, so kann die Wärmebildkamera an der Drohne sie erkennen. Nach nicht einmal 15 Minuten hatten wir ein weiteres Kitz gefunden.

Ein absolutes Glücksgefühl. Mir war klar, dass ich was machen muss. Ich wollte nicht mehr, dass sich alles in mir verkrampft, wenn ich eine Mähmaschine höre. Es war ­unglaublich, innerhalb von vier Wochen hatte ich an die 30 ehrenamtliche Unterstützer! Zudem war es mir ge­lungen, die Jagdgenossenschaft Wülfershausen zu überzeugen, eine Drohne für rund 5000 Euro zu finanzieren. Und ich machte einen Jagdschein, weil ich mehr über die Tiere und über Gesetze lernen wollte und auch, um nicht belächelt, sondern ernst genommen zu werden.

Unvergessen: das Schreien eines amputierten Kitzes

Mit einer Freundin – das Schreien eines amputierten Kitzes hatte sich bei ihr eingebrannt – gründete ich dann den Verein Rehkitzrettung Unterfranken, um Spenden einwerben und unsere Ehrenamtlichen versichern zu ­können. Wir überzeugten immer mehr Landwirte, uns ein, zwei Tage vor der Mahd anzurufen, damit wir die Aktion organisieren können. Das Durchsuchen selbst sollte direkt vor dem Mähen gemacht werden, weil die Kitze oft nach wenigen Stunden wieder in den Wiesen sind.

Bei so einer Rettungsaktion ist ein Team von vier bis sechs Personen ideal, meistens allerdings sind wir mehr, da so viele helfen wollen. Der Pilot lässt die Drohne in etwa 15 Meter Höhe über das Feld fliegen. Zwei Späher verfolgen den Flug auf Tablets; wenn sie ein Kitz sichten, schicken sie mit Hilfe von Funkgeräten bis zu vier Läufer los. Später gehen die meisten von ihnen direkt zur Arbeit.

Wer einmal dabei war, kommt immer wieder, es macht einfach glücklich und zufrieden. Auch wenn sich die ­meis­ten Bauern nicht bei uns bedanken. Dieses Jahr haben wir 24 Rehkitze vor den Mähmaschinen gerettet. Da feiere ich in mir mein ganz eigenes Erntedankfest.

Protokoll: Beate Blaha

Kontakt

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