Lernen von der Diakonie - Ulrich Lilie
Lernen von der Diakonie - Ulrich Lilie
Thomas Meyer/OSTKREUZ
"Die nächsten drei Minuten schweige ich"
Wieder nur selbst geredet? Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sagt, wie man in Gesprächen richtig zuhört
Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff
21.12.2018

Zwei Jahre war der Freund unterwegs gewesen. Ich war so gespannt! Aber nach dem Treffen merkte ich: Ich habe kaum etwas erfahren.

Ulrich Lilie: Er hat sicher viel gefragt, und Sie hatten viel zu erzählen.

Trotzdem. Ich hätte gern viel mehr von ihm gehört!

Nächstes Mal erinnern Sie sich mit einem Knoten im Taschentuch: Die nächsten drei Minuten höre ich nur zu. Ich schweige und unterbreche nicht.

Das ist doch blöd für ihn, mit so einem stummen Gegenüber.

Sie sind nicht stumm. Sie lachen, runzeln die Stirn, fragen nach, ­machen Bemerkungen. "Das ist ja spannend!", "Wie ging es weiter?" So zeigen Sie Interesse an dem, was er erzählt. Und das macht ihm Mut und Lust weiterzuerzählen.

Ich hab’ ganz am Anfang gesagt: Erzähl mal! Wie war’s? Und wie geht’s dir jetzt? Alles gut?

Das sind viele und allgemeine 
Fragen. Wo soll er da anfangen? Stellen Sie lieber nur eine etwas konkretere Frage, etwa: "Ich habe mir manchmal vorgestellt, wie du alle paar Wochen die Koffer packen musst. War das anstrengend?"

Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff

Hanna Lucassen

Hanna Lucassen, Journalistin in Frankfurt, hört gerne zu. Und mag schöne Stimmen.
Thomas Meyer/Ostkreuz

Ulrich Lilie

Der Theologe Ulrich Lilie ist Präsident der Diakonie Deutschland und hat (unter anderem als Krankenhauspfarrer) oft erlebt, wie gut es den Menschen tut, wenn jemand wirklich zuhört. In seinem neuen Buch "Unerhört!" (Herder Verlag) erklärt er, warum dies auch gesellschaftlich wichtig ist.

Einmal stoppte ich ihn auch. Er beschrieb Lissabon, aber die Stadt kenne ich selber gut.

Sie kennen sie nicht aus seiner Sicht. Hören Sie hin, welche Geschichten er zu erzählen hat und wie er erzählt. Sie können Ihre Erfahrungen erwähnen. Aber bevor Sie bei Hans und Heidi landen, mit denen Sie 1998 durch die Gassen spazierten, spielen Sie ihm den Ball zu: "Oh ja, die Altstadt ist toll. Was hast du da genau besucht?"

Als ich ihn nach der Trennung von seiner Frau fragte, schwieg er. Wollte wohl nicht drüber ­reden. Ich habe dann schnell das Thema gewechselt.

Vielleicht hat er nur überlegt. Manche Antworten brauchen Zeit. Wenn Sie unsicher sind, fragen Sie: "Oder magst du darüber nicht reden?" Redepausen sind nicht schlimm. Sich anschauen, gemeinsam die Leute beobachten, seinen Gedanken nachhängen – das gehört zu einem Gespräch dazu. Und manchmal geht’s dann auf einer tieferen Ebene weiter.

Ist Zuhören eine Kunst?

Ja. Der Daumen am Handy, der Kopf beim nächsten Termin – wir geben und bekommen ja kaum mehr ungeteilte Aufmerksamkeit. Zuhören kann ein größerer Dienst am Menschen sein als reden, sagt der Theologe Dietrich Bonhoeffer.

 

Infobox

De Diakonie Deutschland will mit der Kampagne Unerhört allen gesellschaftlichen Gruppen Gehör verschaffen. Zuhören statt Verurteilen - das fordert Ulrich Lilie auch in seinem neuen Buch, das ebenfalls den Titel "Unerhört" trägt.

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