Foto: Wikimedia Commons
Vorbild Martin Luther
Reformator, Jahrgang 1483
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
20.08.2015

Was hat eine Vorkämpferin für die Rechte der Homosexuellen mit Martin Luther zu tun? Inhaltlich rein gar nichts. Für den historischen Reformator stand fest: Eine Ehe besteht zwischen Mann und Frau. Dennoch weiß niemand, wie Luther sich in heutige Debatten einschalten würde. Jeder Mensch wächst in seiner Zeit auf, lebt und denkt in ihren Kategorien, nimmt an ihren Auseinandersetzungen Teil.

Zentral für Luthers Theologie war, was Menschen Lebensmut gibt. Wo ein gerechter Gott über menschliche Bosheit erzürnt sein müsste, erweist sich Christus als gnädig, das war seine Botschaft. Menschen das Leben unnötig erschweren und sich dabei auf die Religion berufen, das war Luthers Sache ganz gewiss nicht.

Selber denken!

Die Kirche am Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert flößte den Menschen Höllenangst ein, statt ihnen Mut zu machen. Die Reformation startete mit einem Gegenaufruf: Seid kritisch euch selbst gegenüber! Ändert, was falsch ist! Und nehmt dann Gottes Gnade an! – Luther erleichterte den Menschen nicht bloß das Gewissen. Er forderte von ihnen auch Gewissenhaftigkeit. Darin glich er denen, die heute noch Recht und Ehrlichkeit fordern.

In strittigen theologischen Fragen konnte sich Luther auf die Bibel berufen – wie deutsche Flüchtlingshelfer und chinesische Menschenrechtler heute auf Grundrechte und Gesetzestexte verweisen können. Selber denken, darauf zielte das Bildungsprogramm der Reformation. Jeder sollte lesen und schreiben lernen, damit er und sie ein eigenes Urteil über die Heilige Schrift bilden kann. Kubanische Journalisten animieren ihr Publikum, sich über seine Rechte informieren – unabhängig davon, was den Mächtigen daraus machen.

Whistleblower Luther und die Transparenz

Luther wollte die Kirche von innen heraus reformieren. Er machte Missstände öffentlich, damit sie dann abgestellt würden. So gesehen war Luther eine Art Whistleblower, der sich mit seinem Arbeitgeber anlegte. Das Gemeinwesen, das aus der Reformation hervorging, sollte anders sein: Von Ehrenamt und Wohltätigkeit geprägt; nicht autokratisch, sondern dem Evangelium verpflichtet. Und natürlich war jeder in seinem Amt auch zur Rechenschaft gegenüber anderen Bürgern verpflichtet. Insofern stand selbst Transparenz auf der Agenda der Reformation damals.

Und die Reformatoren des 16. Jahrhunderts organisierten Hilfe, wo Menschen Not litten. Sie schufen den "Gemeinen Kasten", eine Art Sozialkasse für Städte und Gemeinden. Heute gründen Helfer Vereine, über die sie Geld sammeln und den Hilfsbedürftigen vorbehaltlos zukommen lassen können. Flüchtlingen zum Beispiel.

Eher Polterer als Leisetreter

Luther legte sich mit übermächtigen Gegnern an, mit Kaiser und Papst. Das Risiko, grausam zu Tode gefoltert zu werden, stand Luther klar vor Augen. Gut 100 Jahre vor ihm war der Reformator Jan Hus qualvoll auf dem Scheiterhaufen gestorben. Letztlich scheute Luther dieses Risiko so wenig wie manche saudische Blogger, syrische Journalisten und bahrainische Menschenrechtler es heute tun. Als die Bedrohung am größten war, soll Luther gesagt haben: "Hier stehe ich und kann nicht anders! Gott helfe mir, Amen." Egal ob er es wirklich sagte, diese Worte wurden für spätere Generationen zu Luthers Markenzeichen.

Trat Luther provozierend auf? Bestimmt nicht so wie Pussy Riot heute. Trotzdem war der Reformator eher als Polterer denn als Leisetreter bekannt.

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Wer nur ein bisschen Ahnung vom historischen Luther hat, reibt sich verwundert die Augen. War Luther wirklich der geistige Ahnherr etwa von Raif Badawi, der sich angeblich durch den Satz „Säkularismus ist die Lösung“ verstanden fühlt, oder von „Pussy Riot“ – man mache sich mal die Mühe, das ins Deutsche zu übersetzen, und frage sich dann ernsthaft, was Luther, der schon mit den Aufständen der Ritter und der Bauern nichts anfangen konnte, wohl wirklich dazu gesagt hätte – oder des Kampfes „für lesbische und bisexuelle Frauen“? Ich bin „Chrismon“ dankbar für Anschauungsmaterial, damit ich Studierenden zeigen kann, wie man in völlig unhistorischer Weise Kirchengeschichte für aktuelle Anliegen instrumentalisiert. Dann verstehen sie auch, wie es dazu kommen konnte, dass in der Vergangenheit, als ein ganz anderer und zweifellos viel problematischerer Zeitgeist wehte, Luther zum geistigen Ahnherrn von deutschem Nationalismus und Antisemitismus stilisiert werden konnte.

Mit freundlichen Grüßen
Thomas Martin Schneider

Prof. Dr. Thomas Martin Schneider schrieb am 11. September 2015 um 11:55: "War Luther wirklich der geistige Ahnherr etwa von...". Der kritisierte Artikel dürfte weniger das Ziel gehabt haben, bierernst Luther als geistigen Urheber von Hinz und Kunz darzustellen. Das sportliche Ziel dürfte eher gewesen sein, 7 - in Worten sieben - Links auf aktuelle Chrismon-Artikel unterzubringen, 6 im September, einer im August. Das will ja auch erst mal gepackt sein. Aber vielleicht irre ich mich auch und die Sache ist viel ernster als ich vermute.

Mein Leserbrief bezog sich auf den Artikel "Luther reloaded" in der der Zeitschrift "Die Zeit" beigelegten Print-Ausgabe "Chrismon" 09.2015, S. 12ff., nicht auf den Artikel "Das historische Vorbild. Martin Luther Reformator", dem er jetzt zugeordnet ist. Dieser Artikel war mir bei der Abfassung meines Leserbriefes gar nicht bekannt.
Thomas Martin Schneider

Antwort auf von Thomas Martin … (nicht registriert)

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Guten Tag Herr Schneider,

möchten Sie, dass wir Ihren ersten Leserbrief löschen?

Aus technischen Gründen ist es nicht möglich, Kommentare auf der Übersichtsseite "LUther Reloaded" http://chrismon.evangelisch.de/luther-reloaded zu posten, weshalb wir uns für diesen Artikel hier entschieden haben, um Ihre Lesermeinung unterzubringen.

Beste Grüße aus der chrismon.de-Redaktion?

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BRAVO für Herrn Schneider!!

Zitat: "Ich bin „Chrismon“ dankbar für Anschauungsmaterial, damit ich Studierenden zeigen kann, wie man in völlig unhistorischer Weise Kirchengeschichte für aktuelle Anliegen instrumentalisiert".

Es ist mangels sonstiger Argumente bequem, alle vergangenen Zeiten und ihre "Helden" mit heutigen Maßstäben zu messen. Da macht es den Damen und Herren überhaupt nichts aus, auch Luther in eine Ecke zu stellen, die er nach heutigen Maßstäben genau so verdammen würde, wie damals den Ablaß. Diese Methode, einer Bewertung von Personen vergangener Epochen mit den Maßstäben von heute, ist nicht nur heuchlerisch (der Fehler ist ja Absicht!), er ist auch ehrenrührig. Das ist pure Willkür mit Maßstäben. Dabei müßten die Verfasser ja eigentlich wissen, dass sie sich schon lange auch in der Bibelexegese von der wortgetreuen Auslegung verabschiedet haben. Dieses "Recht" ist auch auf Luther anzuwenden. Um die Bedeutung von Luther zu bewerten, wäre es doch wesentlich sinnvoller, danach zu fragen und zu forschen, was denn gewesen wäre, wenn es Luthers Taten und die seiner Mitstreiter nicht gegeben hätte.

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Die Welt wurde nicht “erschaffen”, sondern existiert von Natur aus (und seit ewig). Es gibt etwas, das dem Menschen (genauer: dem Ich-Bewusstsein) ewig verborgen ist. Ein Mensch sollte u. a. seine Willenskraft und Liebe vergrößern. Und sich dann z. B. mit Ereignisdeutung (gemäß C. G. Jung) und mystischen Erfahrungen (gemäß M. Porète) beschäftigen. Sehr viele (aber nicht alle) esoterische Verfahren sind gefährlich, z. B. ist Hypnose gefährlich.
Die Wissenschaft darf nicht alles erforschen. Es ist z. B. unter Umständen gefährlich, wenn ein Mensch erforscht, ob er einen freien Willen hat. Es ist denkbar, dass ein Mensch gerade durch die Erforschung der Beschaffenheit des Willens seinen freien Willen verliert. Es ist gut, dass es einen technischen Fortschritt gibt (z. B. Computer). Aber die Technologie darf nur dann weiterentwickelt werden, wenn dadurch die Gefahren nicht größer werden als sie schon sind. Es ist z. B. unter den gegebenen Umständen falsch, Hochgeschwindigkeitszüge zu bauen. Es ist sinnvoll, Faktor-X-Technologien (z. B. 0,3-Liter-Einsitzer-Autos, Linsermethode gegen Krampfadern) zu fördern. Die Verkehrsprobleme werden wesentlich reduziert, wenn fast jeder Mensch mit einem Motorrad o. ä. fährt, anstatt mit einem (Fünfsitzer-)Auto. Man sollte in einer Region mit mildem Winter leben. Dies hat u. a. den Vorteil, dass man in einem Gartenhäuschen wohnen kann, anstatt in einem teuren Haus. Man sollte sich teilweise von Wildfrüchten ernähren.

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