Eine Entschädigung für Sicherungsverwahrte? Das irritiert - aber es ist essentiell für unsere Freiheit, dass der Rechtsstaat keine Unterschiede macht
Tim Wegner
24.04.2012

Auf den ersten Blick irritiert dieses Urteil: Das Landgericht Karlsruhe hat vier ehemaligen Sicherungsverwahrten eine Entschädigung von 240 000 Euro zugesprochen.

Wie bitte? Fast eine Viertelmillion Euro Entschädigung für vier Männer, die unter anderem wegen Vergewaltigung zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt worden waren? Dieses Urteil verstört, viele Menschen wird es auch wütend machen.

Die Sicherungsverwahrung ist keine Strafe

Gerade deshalb ist es wichtig, genau hinzuschauen: Die vier Kläger begingen ihre Taten in den siebziger und achtziger Jahren; ihre eigentliche Strafe hatten sie abgesessen, als sie anschließend in Sicherungsverwahrung kamen – weil sie weiter als gefährlich galten. Das ist ein wichtiger Unterschied: Die Sicherungsverwahrung ist keine Strafe, sondern eine Maßregel, die bis 1998 nach höchstens zehn Jahren automatisch enden musste.

Dann aber verschärfte der Bundestag auf Wunsch der Regierung Schröder die Gesetze, und die vier Männer blieben auf unbestimmte Zeit in Verwahrung. Und genau das, so urteilten der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wie auch das Bundesverfassungsgericht in den Jahren 2010 und 2011, verstößt gegen die Menschenrechte: Die Sanktionen, die der Staat verhängt, müssen berechenbar sein. Und das waren sie im Falle der vier Männer, die nun auf Schadensersatz klagten, nicht – sie konnten nicht mehr wissen, ob und wann sie wieder freikommen würden. Stattdessen saßen sie weitere acht bis zwölf Jahre in der Justizvollzugsanstalt in Freiburg ein. Pro Monat bekommen sie für diese Zeit nun 500 Euro.

Es wird weitere Entschädigungen geben

Das Urteil in Karlsruhe ist sozusagen ein technisches Detail, das aus den Entscheidungen der Verfassungsrichter folgt: Wer zu lange im Gefängnis saß, muss für diese Zeit entschädigt werden. Es wird weitere Entschädigungszahlungen geben, das ist sicher, weil deutschlandweit nicht nur die vier Kläger, sondern viele weitere Sicherungsverwahrte betroffen – und mittlerweile wieder in Freiheit sind.

Das muss niemandem gefallen, ist aber letztlich Ausdruck dessen, dass vor dem Gesetz jeder Mensch  gleich ist – egal, wer er ist und was er getan hat. Wir alle haben dieselben Bestimmungen zu achten, und wir alle haben dieselben Ansprüche, wenn der Staat uns gegenüber im Unrecht ist. Das kann sich manchmal wie eine Zumutung anfühlen, ist aber nicht weniger als die Voraussetzung dafür, dass der Staat unsere Freiheit achtet und nicht willkürlich handelt.

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