Frieden ist...
Frieden ist...
Daniel Ramirez-Perez
Oft hilft nur noch Singen
An der Universität Innsbruck werden die Peacemaker von morgen ausgebildet. Sie lernen Waffen kennen – aber auch: atmen, ­tanzen und singen
Tim Wegner
23.11.2017

chrismon: Wenn wir Konflikte haben, sagt meistens ­einer: „Wir müssen reden!“ Hilft Reden denn immer?

Josefina Echavarría: Reden ist wichtig. Aber was ich mit Worten sage, muss übereinstimmen mit meiner Stimme, meiner Körpersprache – und mit dem, was ich eigentlich fühle und denke. Wir nennen es wissenschaftlich „Kongruenz“.

Wie kann man das unterrichten – Kongruenz?

Wir hier in Innsbruck legen großen Wert auf die Soft Skills, auf persönliche Kompetenzen. Das unterscheidet uns von Friedensprogrammen, die vor allem auf die Sache schauen: Wer sind die Akteure, wo sind die Interessen? Auch unsere Studierenden lernen natürlich, wie Kriege entstehen. Aber wir sind überzeugt: Konflikte sind überwiegend Kommunikationsprobleme. Wir verstricken uns oft, weil wir nicht richtig zuhören. Weil wir unser Herz nicht öffnen. Professor Wolfgang Dietrich, der diesen Lehrstuhl gegründet hat, sagt: Frieden ist nicht nur kog­nitiv, sondern auch körperlich, spirituell und emotional. ­Alle diese Dimensionen setzen wir hier an der Uni um.

Wie läuft das praktisch ab?

Erst mal läuft es, wie an allen Unis, theoretisch ab: Sie lernen, was gewaltfreie Kommunikation ist, nach den Theorien von Friedemann Schulz von Thun und Marshall Rosenberg und anderen. Und dann üben wir das ein – zum Beispiel, wenn eine Studentin der anderen Feedback gibt zu ihrer Seminararbeit. Sie sagt nicht: Deine Arbeit ist lang­weilig! Sondern sie sagt: Ich habe den Punkt nicht verstanden, ich möchte jenes noch wissen. Was sind ­meine Gefühle? Welches Bedürfnis steckt dahinter? Zum Beispiel Klarheit oder Verständnis. Sie lernen dabei auch: Wer bin ich als Person in dieser Welt? Wer ist diese Professorin, die mich benotet? Sie ist eine Frau, eine Kolumbianerin, eine Mutter, wie kommt sie zu genau dieser Haltung?

Klappt das denn immer?

Die Peaceniks mit dem Yin-und-Yang-Zeichen lernen von einem ­Soldaten in Uniform.

Nein! Es kommt vor, dass ich alle Rosenberg-Texte gelesen habe – und dann höre ich, wie blöd jemand meine Arbeit findet, mache total zu und verwandle mich in eine Wölfin! Hier an der Uni sind wir in einem „safe space“, hier darf man auch an seine Grenzen kommen!

Emotionale Grenzen?

Emotionale – aber auch körperliche Grenzen. Die „Wölfin“, das passiert im Hörsaal. Aber nach einem theoretischen Teil gehen wir mit unseren Studierenden raus und machen Übungen. Sie sollen ja später Konflikte auf der ganzen Welt bearbeiten, in bewaffneten Gebieten, in Ländern mit extremem Klima. Besser, sie erkennen hier ihre Grenzen als später im Feld. Wir schwimmen mit schwerem Gepäck durch einen See. Viele Studierende können gar nicht schwimmen – wie reagiert das Team? Wir gehen im Winter auf den Berg, was machen wir, wenn einer die Handschuhe vergessen hat? Jeder hat eine rote Karte, die er mitten in der Übung ziehen kann – er wird sofort rausgenommen, muss es niemandem erklären. Aber hinterher muss er oder sie reflektieren: Was war da los? Wo ist meine Grenze? Wir arbeiten da mit dem österreichischen Bundesheer zusammen...

...und der Generalmajor in Uniform überreicht bei der Abschlussfeier eine Rose.

Ja. Generalmajor Herbert Bauer, ein wichtiger Partner für unsere Peace Studies.

Der Anblick irritiert. Die Peaceniks mit dem Yin-und-Yang-Zeichen lernen von einem ­Soldaten in Uniform.

Zunächst: Viele unserer Studierenden kommen aus Kriegsgebieten, haben schlimme Erfahrungen gemacht mit Männern in Uniform. Für die ist ein neutrales Heer wie das öster­reichische etwas völlig Neues. Und für alle gilt: Wenn wir mit dem Bundesheer in eine Simulation gehen, ist Schluss mit Diskussionen über postmoderne Kriegstheorien. Hier geht es um den Erfolg der Mission. Wenn ich jetzt in der Ausbildung merke, ich erstarre, ­sobald ein Mann in Uniform mit mir in einem Raum ist – dann werde ich besser nicht zu einem heißen Hotspot gehen. Denn ich bin eine Gefahr für mich und für andere.

Was bringen die Soldaten den Studierenden noch bei?

Uniformen und Karten lesen. Schnell erkennen: Wer hat welchen Rang hier? Wer ist der Chef? Mit wem muss ich verhandeln? Wie verhandle ich? Wann ist bei der Waffe die Sicherung eingeschaltet, wann ist sie ausgeschaltet? Wie sind internationale Missionen organisiert?

Wie heißt das genau – Simulation?

Die Bevölkerung von Hall, einer Stadt hier in der ­Nähe, macht mit. Der Ladenbesitzer und die Glühwein­verkäuferin auf der Straße, alle. Wir sagen zum Beispiel, im Ort hat sich eine bewaffnete Organisation verschanzt, mit der müsst ihr verhandeln. Der Ladenbesitzer spielt ­seine Rolle im Szenario. Unsere Studierenden spielen ­immer die Friedensmission, die Soldaten spielen die unterschiedlichen Konfliktparteien. Und ehemalige ­Studierende ­spielen zum Beispiel die zivilen Opfer. Was mache ich jetzt als brasilianischer UN-Mitarbeiter, wenn der Ladenbesitzer nur Tirolerisch spricht? Ich suche Menschen, die übersetzen können, aber wem kann ich vertrauen? Welche Infos gebe ich zum Headquarter nach New York, was ­sage ich bei der Pressekonferenz? Und welche Kleidung muss ich tragen, damit ich hier ernst genommen werde?

Wie wichtig ist Kleidung?

Kleider sind wichtig, aber auch: Symbole, Insignien der Macht. Wenn die Fahne mit dem UN-Symbol auf dem Boden liegt und Sie ­laufen drauf rum – was heißt das? Es heißt, Sie nehmen keine Rücksicht auf den Schutz von internationalen Friedensbeobachtern.

Es gibt in diesem Studiengang aber auch das Gegenteil von Militär. Es gibt Tanz, Theater, Atmen – warum?

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Josefina Echavarría Álvarez

Dr. Josefina ­Echavarría, geboren 1977 in Kolumbien, ist Friedensforscherin und Ko-Direktorin des Peace Accords Matrix (PAM) am Kroc Institute for International Peace Studies der University of Notre Dame in den USA.
Das ist nicht unbedingt das Gegenteil von ­Militär. Sie ­lernen hier verschiedene Methoden der Konflikttrans­formation. Wenn sie nach dem Studium in einer Konflikt­situation sind, und es geht etwas nicht weiter – vielleicht sagen sie dann: Ich habe noch andere Methoden im ­Gepäck. Manchmal hilft Singen.

Singen?

In Friedensstudien wird andauernd über die Stimme ge­redet. „Die Stimme der Opfer“ – das klingt total intellektuell. Aber ich meine es wortwörtlich. Es gibt unzählige Konflikte auf der Welt, bei denen Menschen buchstäblich die Stimme versagt. Nehmen wir mein Heimatland, Kolumbien. 52 Jahre Krieg, fünf Millionen Menschen, die ihr Land verloren haben. Hier brauchen wir Methoden, die mit dem Körper arbeiten. Manchmal hilft Musik – oder auch Kunst –, um das Ohr und das Auge für sich selber und für den anderen zu öffnen. Alles, was der Körper erfahren hat, die ganze Gewalt, ist gespeichert. Was mache ich, wenn jemand nur noch wispern kann? Wir arbeiten hier mit Resonanz, bringen den Körper zum Vibrieren. Ich atme in Verbindung mit dem großen Ganzen.

Mir geht’s schlecht und du bist schuld – grrr, ­klassischer Fehler in der Kommunikation. Aber das passiert uns ­Profis ­natürlich auch!

Ein zutiefst christlicher Gedanke.

Ein zutiefst mystischer Gedanke, in vielen ­Religionen und Philosophien weltweit.

Drum gehen Sie auch zum Schamanen...

Ja, wir gehen nach Pfunds an der Schweizer Grenze in das Native Spirit Camp. Das Wissen der Natur – das Peter Kirschner, dieser Tiroler Schamane, lehrt – findet sich überall auf der Welt, von Kalifornien bis Südafrika. Wir sind ein Teil der Erde, wir sind in einem fließenden Gleichgewicht.

Wenn ich als Studentin sehen würde, dass der Schamane Bäume umarmt – ganz ehrlich: Ich würde sagen, der spinnt doch.  

Dann ist es besser, Sie sagen es beim Lehrgang von Peter Kirschner, der hält das aus. Aber wenn Sie später in einem indigenen Konflikt vermitteln sollen und denen sagen, dass sie spinnen, dann ist es schlecht. Es ist wie bei unseren Übungen mit dem Bundesheer – du musst es nicht toll finden, du sollst weder Schamane noch Soldat werden. Aber du sollst Respekt üben und den Umgang mit anderen moralischen Normen.

Wenn man merkt, ein Einsatz bei den UN-Blauhelmen ist nichts für mich: Wo landen Ihre Absolventen noch?

In der Wissenschaft, zum Beispiel als Konfliktanalyst oder Forscherin; als Berater in Unternehmen oder als Mediatorin in Konflikt­situationen in der Familie, Gemeinschaft oder Gesellschaft; und auch auf internationalen Missionen und Einsätzen in Krisengebieten.  Schon sehr viel „ich“ hier in der Ausbildung...
Es gibt eine Tendenz in der Friedensarbeit, das Leiden der anderen zu betrachten. Schau mir zu, ich bin so gut und ich werde da hinfliegen und dir erklären, was für dich gut ist. Aber so funktioniert es nicht. Wenn Sie und ich als Trainer zu einem Friedenscamp nach Kolumbien fliegen, selbst wenn wir beide dieselben Methoden im Gepäck hätten – jeder dort würde spüren: Die eine Frau spricht spanisch, die andere ist Ausländerin, ist Journalistin, hat die deutsche Geschichte im Gepäck, ist Chefin. Das ist total wichtig. Das ist hier kein Selbsterfahrungstrip, es gehört zu unserem Job! Wir müssen sehr genau wissen,
was für eine Person wir sind. Wenn man ­den inneren Frieden mit sich selber nicht findet, wird man auch keinen äußeren Frieden ­schaffen können.

Sie sind mit einem Friedensforscher ver­heiratet. Wenn Sie mal richtig Ehestreit ­haben – alles total friedlich?

Natürlich nicht immer. Ich bin Kolumbianerin, ich komme aus einem Krieg. In mir steckt die Idee: Wer in Sicherheit ist, ist im Frieden. Er ist Tiroler, er ist gelassen. Und er will diskutieren. Aber klar, wir machen auch ganz viel falsch. Mir geht’s schlecht und du bist schuld – grrr, ­klassischer Fehler in der Kommunikation. Aber das passiert uns ­Profis ­natürlich auch!

Infobox

Dieses Interview ist Teil der Reihe "Friedensmacher": Frieden ist möglich, wenn die Zeit reif dafür ist. Das hat in Kolumbien über 50 Jahre gedauert. In Syrien ist seit fast sieben Jahren Krieg – und kein Ende in Sicht. Mediatoren, Schlichter, Diplomaten brauchen einen langen Atem. Auch im Kleinen ist manchmal Hilfe von außen nötig, bei Streit unter Schülern oder in Familien.

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