Frieden ist...
Frieden ist...
Daniel Ramirez-Perez
Immer hast du die Kinder!
Weihnachten ist für geschiedene Eltern oft der Alptraum. Wer darf unterm Weihnachtsbaum feiern, wer kommt zu Oma und Opa?
Tim Wegner
privat
23.11.2017

Herr Reiter: Immer hast du die Kleine an Heiligabend, ich liebe meine Tochter aber auch! Dieses Jahr hat meine Mutter an Heiligabend ihren 75. ­Geburtstag. Ich möchte von dieser Regelung mal runter...

Frau Reiter: Darf ich auch mal was sagen?

Ein grauer Oktobertag in Oldenburg. Herr Reiter* hat den Termin bei der Mediatorin Sabine Blütchen ausgemacht. Er möchte dieses Jahr Zoe, 5, an Heiligabend bei sich haben. Das Paar hat sich vor zwei Jahren scheiden lassen, Zoe lebt bei ihrer Mutter und ist jedes zweite Wochenende beim Vater. Die Gerichte sehen im Regelfall vor: Heiligabend und erster Feier­tag ist das Kind bei der Mutter. Die beiden sitzen ­einander zugewandt an einem gläsernen Beistelltisch, im Rücken viele ­Jahrgänge der NJW, der Fachzeitschrift der Juristen.

Frau Reiter: Ich verstehe gar nicht, warum wir das jetzt ändern sollen. Du warst doch jahrelang dabei, du weißt genau, dass Heiligabend meine Eltern ­kommen, wir gehen zum Krippenspiel und dann gibt’s Bescherung. Zoe freut sich darauf!

Herr Reiter: Schieb doch nicht Zoe vor! Das ist doch immer dasselbe mit dir. Veränderung kannst du gar nicht.

Frau Reiter: Du kannst mir nicht erzählen, dass deine Mutter am 24. feiert, was ist das denn für eine bescheuerte Idee.

Frau Reiter, Ihr Ex-Mann möchte zunächst über dieses Jahr an Weihnachten reden.

Sabine Blütchen: Frau Reiter, Ihr Mann sagt, . . .

Frau Reiter: Ex-Mann bitte! Wenn ich das schon höre, von der Regelung runter, dann will er Ostern auch noch und . . .

Blütchen: Frau Reiter, Ihr Ex-Mann möchte zunächst über dieses Jahr an Weihnachten reden. Er sagt, seine Mutter feiert ein Fest, und es kommen viele Gäste aus dem Ausland, er möchte gerne Zoe mit nach Göttingen nehmen.

Weihnachten ist überfrachtet mit Erwartungen. Die Geschiedenen stehen unter dem Einfluss ihrer eigenen ­Eltern, aber die sind jetzt nicht hier. Wie „unsichtbare Zwerge“ spielen Oma und Opa mit bei diesem Spiel. Was kann die Mediatorin machen? Zunächst: Das Gesagte wiederholen, aber ohne emotionale Spitzen. Die Sachbotschaft rüberbringen, mit eigenen Worten paraphrasieren. Und erst mal eine Basis finden, auf der beide weiterreden.

Blütchen: Wie hat das denn geklappt die letzten zwei Jahre mit den Wochen­enden?

Frau Reiter: Mmh.

Blütchen: Frau Reiter, das will ich noch mal hören. Hat Ihr Mann das Kind denn pünktlich abgeholt und wiedergebracht?

Frau Reiter: Ja doch, Zoe ist auch wirklich entspannt, wenn sie wiederkommt. Offenbar geht er ganz gut mit ihr um.

Puh, geht doch. Die Mediatorin schreibt an ein ­Flipchart die Maximalforderungen. Links KV wie Kindsvater, hier steht „24.12. bis 30.12.“. Und bei KM wie Kindsmutter: „Umgangsregelung unverändert, 2. Feiertag beim Vater.“ Es sieht ein bisschen aus wie in der Schule, und Sabine Blütchen, 63, kurze Haare, ­resolut und klar, gäbe auch eine gute Schulleiterin ab. So was Ähnliches ist sie im Ehrenamt: Präsidentin einer Kirchensynode. Auch dort kommt ihr die Ausbildung als Mediatorin zugute. Blütchen will, wenn es geht, keine Verlierer sehen. Bei einer Mediation sollen alle gewinnen.

Frau Reiter: Wie viele Gäste kommen denn da auf euer Fest? Das Kind ist fünf! Die dreht doch am Rad auf so einem Fest. Und dann noch deine Mutter! Wenn ich bloß dran denke!

Sabine Bluetchen , Mitglied der 12. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Foto vom 01.05.2015.Norbert Neetz

Sabine Blütchen

Sabine Blütchen, geboren 1954, ist seit 36 Jahren Rechtsanwältin und seit zwölf Jahren Mediatorin in Oldenburg.
Blütchen: Was ist denn Zoe für ein Kind?

Frau Reiter: Die kleine Maus steht mitten im Leben. Sie ist aufgeweckt und lebendig.

Blütchen: Schläft sie auch schon mal bei Freunden?

Frau Reiter: Ja klar, das ist kein Problem.

Und so geht es endlich ums Kind. ­Gute Idee. Denn wenn dieser Termin hier scheitert, geht die Sache vor Gericht. Dann muss Zoe im Gerichtssaal aussagen, es gibt ein Gutachten, sie muss sich entscheiden, für einen Eltern­teil, gegen den anderen. Wie gut, dass ­diese beiden Erwachsenen sich jetzt bewegen. Ein Kompromiss deutet sich an.

Herr Reiter: Vielleicht kannst du schon am 23. mit deinen Eltern und Zoe feiern?

Frau Reiter: Am 23.? Wo soll ich denn da ein ­Krippenspiel finden?

Wenn das geht? Das wäre toll!

Herr Reiter: Hm, wenn der 23. nicht geht, dann ­müssen wir doch hintenraus was verschieben. Vielleicht komme ich noch einen Tag früher zurück aus Göttingen...

Also: Am 27. Dezember fährt Herr Reiter zurück nach Oldenburg, dann muss er halt zwei Mal über die Autobahn zu seinen Verwandten fahren. Gerade will die Mediatorin diese Lösung ans Flipchart schreiben, da fällt Frau Reiter noch was ein:

Frau Reiter: Aber wenn du am 24. morgens so früh losfährst und dann der Brunch bei deiner Mutter und die vielen Leute... da dreht Zoe ja total durch. Dann nimm sie lieber schon am 23., da ist auch ­weniger Verkehr.

Herr Reiter: Wenn das geht? Das wäre toll!

Frau Reiter: Und ich will, dass Zoe jeden Abend mit mir telefonieren kann. Nimmst du deinen Laptop mit?

Herr Reiter: Klar, ihr könnt skypen. Ich kann dir auch ein Filmchen schicken per Whatsapp. Da ist aber dann auch meine Mutter mit drauf.

Frau Reiter, die zwischendurch den Tränen nahe war, sitzt jetzt wieder aufrecht da. Die Mediatorin will von beiden wissen, wie es ihnen jetzt geht.

Frau Reiter: Nicht prickelnd.

Blütchen: Werden Sie Ihrer Tochter vermitteln ­können, dass dies ein anderes, aber tolles Weih­nachten wird?

Frau Reiter: Wenn du Zoe nächsten Sonntag bringst, erklären wir es ihr gemeinsam.

Blütchen: Ich habe gehört, Sie beide wollen das Ihrer Tochter vermitteln. Damit übernehmen Sie beide die ­Verantwortung, das finde ich gut. Vielleicht können Sie beide auch ­Ihren jeweiligen Eltern vermitteln, dass es hier vor allem um das Wohl des Kindes geht.

Das wird bestimmt nicht leicht werden. 60 Minuten sind vergangen, es fühlt sich für alle an wie ein Marathonlauf. Aber zwei erwachsene Menschen gehen aus dieser Praxis und haben das Gefühl: Wir gestalten selber unser ­Leben. Und nicht Gerichte. Das ist, was eine gute Mediation hinbekommt: „Vor Gericht“, sagt Blütchen, „kriegen Sie Ruhe, aber keinen Frieden.“ Und Frieden wäre doch ganz schön an Weihnachten.

* Die echte Mediation fand ohne Presse statt, für uns wurden Herr und Frau Reiter, deren Namen wir geändert haben, von Stellvertretern gespielt.

Infobox

Dieses Interview ist Teil der Reihe "Friedensmacher": Frieden ist möglich, wenn die Zeit reif dafür ist. Das hat in Kolumbien über 50 Jahre gedauert. In Syrien ist seit fast sieben Jahren Krieg – und kein Ende in Sicht. Mediatoren, Schlichter, Diplomaten brauchen einen langen Atem. Auch im Kleinen ist manchmal Hilfe von außen nötig, bei Streit unter Schülern oder in Familien.

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