Mehr Opferschutz: Ein Hamburger Verein organisiert Therapien für entlassene Gewalttäter

Damit keiner rückfällig wird
Projekt - "Aktiv gegen  Gewalt"

Isabela Pacini

Astrid Barth (vorne links) und Mitstreiterinnen von "Aktiv gegen Gewalt"

Projekt - "Aktiv gegen Gewalt"

Gute Täterarbeit ist vor allem Opferschutz - das ist die Devise eines kleinen Hamburger Vereins, der Gewalttäter nach ihrer Haftentlassung betreut und damit eine Lücke im staatlichen Präventionssystem schließt.

Er wollte keine Gefahr mehr sein, nicht für sich und nicht für andere. Doch er war allein mit seiner Angst, seiner Wut auf die Gesellschaft, von der er sich ausgestoßen fühlte, und ­seiner Unsicherheit gegenüber Freunden und ­Familie. Astrid Barth erinnert sich gut an den jungen Gewalttäter, der kurz nach seiner Haftentlassung zu den ersten Klienten ihres vor zehn Jahren gegründeten Vereins "Aktiv gegen Gewalt e. V." zählte.

Der junge Mann war schon als Kind in der Schule aufgefallen. Er wurde von den Eltern geprügelt, prügelte selbst. Und einmal war es dann so schlimm, dass sein Gegenüber fast gestorben wäre. Mehrere Jahre saß er im Gefängnis, war dort auch therapeutisch betreut worden. Aber danach?

Dorothea Heintze

Dorothea Heintze verfolgt die Arbeit des Vereins schon seit vielen Jahren. Sie kennt die Vorsitzende Astrid Barth, seit sie vor einigen Jahren in der von ihr geführten Strafanstalt über die Ausbildung von Blindenhunden durch Strafgefagenen berichtete. Auch nach ihrer Pensionierung blieb Astrid Barht aktiv und gründete 2009 den Verein "Aktiv gegen Gewalt".
Lena UphoffDorothea Heintze

Die pensionierte Psychologin und Juristin Astrid Barth hat lange eine Strafanstalt in Hamburg geleitet. Ihre ­Klientel damals waren vor allem männliche Sexualstraf­täter: "Für sie, ebenso wie für psychisch Auffällige, gibt es nach der Entlassung staatlich finanzierte und organisierte Therapieangebote." Doch Gewalttäter, wie der junge Mann aus ihrer Erinnerung, fielen durch das Raster. ­"Sie sind nicht krank", sagt Astrid Barth, "keine Kranken­kasse zahlt ihnen eine Therapie – und wenn sie das Geld zahlen könnten, dann finden sie meist keinen Therapeuten." ­Ein untragbarer Zustand, meint Astrid Barth, denn: "Gewalt und ihre Folgen verursachen persönliches Leid und gesellschaftlichen Schaden."

Längst gibt es eine Warteliste

Die rund ein Dutzend für den Verein tätigen Therapeuten sind Profis im Umgang mit Gewalttätern. Sie haben entweder, wie Vereinsgründerin Astrid Barth, früher im Strafvollzug gearbeitet oder tun es noch heute. Sie alle erhalten eine Aufwandsentschädigung. Seit 2013 wird der Verein von der Justizbehörde Hamburg durch einen Zuschuss unterstützt. Seither kann man sich endlich einen Therapieraum leisten. Hier finden die Gruppengespräche und bei Bedarf auch Einzelcoaching statt. Die Klienten müssen sich persönlich bewerben und sich dann für 50 wöchentliche Sitzungen verpflichten; wer mehrmals schwänzt, fliegt raus. Mit sieben Klienten war der Verein 2009 gestartet, heute sind es über 40, und es gibt eine Warteliste.

Hamburgs Justizsenator Till Steffen, Bündnis 90/Die Grünen, kennt Aktiv gegen Gewalt seit Jahren. Er ist dankbar, sagt er, für die Vorreiterrolle, die der Verein im "Übergangsmanagement" einnimmt. Jeder zweite Straf­täter in Deutschland geht wieder zurück in den Knast – das ­Er­gebnis ist ein fataler "Drehtüreffekt": "Entscheidend sind die ers­ten Monate nach der Haftentlassung", erklärt Steffen. Wer es in dieser Zeit schaffe, seine sozialen Kontakte zu ­festigen und die Verantwortung für das eigene Leben schritt­weise in die eigenen Hände zu nehmen, der werde meist nicht rückfällig. "Gute Täterarbeit", so Till Steffen, "ist eben vor allem auch guter Opferschutz."

Spendeninfo

Der Verein "Aktiv gegen Gewalt" freut sich über Spenden.

Hamburger Sparkasse
IBAN: DE41 2005 0550 1034 2459 83
Stichwort: chrismon/AktivGegenGewalt
Aktiv gegen Gewalt e. V., Wandsbeker Marktstr. 169, 22041 Hamburg, Telefon: 0157/73 031 555.

Für eine Spenden­bescheinigung bitte die eigene Adresse angeben.

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