Altersarmut in Deutschland
epd-bild/Udo Gottschalk
Die Nationale Armutskonferenz warnt vor einer wachsenden gesellschaftlichen Entsolidarisierung. Mit Blick auf den zurückliegenden Wahlkampf sagte die Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz, Barbara Eschenam, "wir haben gerade eine unglaubliche Neiddebatte erlebt".
04.10.2017

Die AfD spiele mit völkischen Parolen gezielt Menschen gegeneinander aus und wolle ein Ende des sozialen Ausgleichs für Schwächere. "Das macht gerade vielen in Armut lebenden Menschen Angst", betonte Eschen, die auch Direktorin der Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ist, zum Auftakt einer Tagung. Den Betroffenen brenne deshalb auf den Nägeln, was nach der Bundestagswahl passiert.

Viele in Armut Lebende hätten das Gefühl, dass das, was politisch entschieden wird, mit ihnen nichts zu tun habe, sagte Eschen weiter. Schon der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung habe thematisiert, dass politische Entscheidungen vor allem für Besserverdienende gefällt werden. Darum sei es so wichtig, eine Lobby für Arme zu bilden und ihnen Gehör zu verschaffen. Veranstalter der Berliner Tagung ist die Nationale Armutskonferenz, ein Bündnis aus Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, Fachverbänden der Armutsbekämpfung und Selbsthilfeorganisationen.

Keine Hilfen bei Arbeitslosigkeit

Von der neuen Bundesregierung erwarte die Armutskonferenz einen ausreichenden Regelsatz in der Grundsicherung, genug sozialen Wohnungsbau, ein Ende der Benachteiligung von Alleinerziehenden, gute Arbeit statt prekärer Beschäftigung und eine gerechte Kindergrundsicherung statt der bisherigen Bevorzugung reicher Familien. Zudem müssten die Sanktionen in der Grundsicherung abgeschafft werden. Betroffene erlebten die ständige Kontrolle und Bestrafung durch die Ämter als respektlos und demütigend, da es auch bei jahrelangem Leistungsbezug kaum wirkliche Hilfsangebote gebe, sagte Eschen. "Diese Punkte gehören alle in die Koalitionsverhandlungen."

Armut sei eine Menschenrechtsverletzung in unserer reichen Gesellschaft, sagte der Sozialethiker und katholische Theologe, Franz Segbers, auf der Tagung. Die Politik unterlasse es, den betroffenen Menschen die Anerkennung und Würde zu kommen zu lassen, die sie brauchen.

Menschenrechte seien aber die Basis des Sozialstaates. "Er muss die Würde des Menschen dort wiederherstellen, wo sie verletzt wird." Heute seien arme Menschen in erster Linie Bürger, denen die Würde verweigert und denen öffentlicher Einfluss vorenthalten werde. "Wer die sozialen Menschenrechte beerdigt, muss ein Doppelgrab bestellen, denn er muss die Würde mitbeerdigen", betonte der Sozialethiker.

"Dreckige Zigeunerin"

Die Landesvorsitzende des Landesrates der Sinti und Roma RomnoKher Berlin-Brandenburg, Dotschy Reinhard, kritisierte die populistische Debatte um Armutszuwanderung von Roma nach Deutschland. Dabei handele es sich um Menschen, die in Deutschland eine Perspektive für sich und ihre Familien suchen und vor Verfolgung und Diskriminierung in ihren Heimatländern fliehen, sagte die Musikerin.

Auch in Deutschland alteingesessene Sinti und Roma würden weiter diskriminiert. Viele verschwiegen deshalb ihre Identität. Auch sie sei in der Schule immer als "dreckige Zigeunerin" beschimpft worden, sagte Reinhard, deren Familie seit Generationen in Süddeutschland lebt. Spätesten seit der Bundestagswahl sei nun klar, dass "die Zeit der Allianzen und Solidarität" gekommen ist.

Auf der 12. Tagung von Menschen mit Armutserfahrung treffen bis Donnerstag Politiker, Wissenschaftler, Anwälte und Kirchenvertreter auf rund 150 Betroffene aus dem ganzen Bundesgebiet. Diskutiert werden Themen wie Wohnungsnot, Umgang mit Geflüchteten, Selbstorganisation von Erwerbslosen, Familienarmut und Rechte von Minderheiten. Unter den Teilnehmern war auch Diakonie-Präsident Ulrich Lilie.

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Sehr geehrter Herr Bedford-Strohm, im o.a. Beitrag beklagen Sie die Polemiken über Sozialleistungen, die für Asylbewerber aufgewendet werden müssen und erklären: "Keine der bisherigen Sozialleistungen musste zugunsten der Flüchtlinge gekürzt werden." Und weiter erklären Sie Ihr Verständnis für Menschen, die täglich um ihre Existenz kämpfen und deshalb anfällig für "Neiddebatten" sind. Schließlich stellen Sie die These auf, dass der finanzielle Einsatz in Deutschland für Flüchtlinge "zu machen sein sollte" in einem Land, "in dem das Bruttogeldvermögen der privaten Haushalte (...) auf 5,59 Billionen Euro gestiegen ist".
Wer in drei wichtigen Bereichen eines Diskurses so formuliert und argumentiert, bedient sich, mit Verlaub, unerhörter Polemik. Selbstverständlich mussten "bisher" noch keine Leistungen gekürzt werden. In einen verantwortungsvollen Diskurs gehört es aber, in die Zukunft zu denken. Sie wissen sehr genau, wie schnell Konjunktur sich verändern kann, und wie schnell dabei ein Land, das sich auf Jahre, vermutlich sogar auf Jahrzehnte (auch das wissen Sie), jährlichen Belastungen in 2-stelliger Milliardenhöhe verpflichtet hat, am existenziellen Abgrund stehen bzw. sein mühsam errungenes erfolgreiches Sozialsystem zerstören kann.
Zum Weiteren empfinde ich es als durchaus zynisch, Menschen, die sich über 40 Arbeits-Stunden pro Woche (oder mehr) plagen, und die auf keinen deutlich besseren grünen Zweig kommen, als die Nichtarbeitenden oder auch die Asylbewerber, "Neid" zu unterstellen. Dieser Zustand ist nämlich die eigentliche soziale Ungerechtigkeit in unserem Land.
Und schließlich zeugt Ihre Darstellung der Vermögensverhältnisse in Deutschland von unerhörter Polemik. Sollten Sie wirklich nicht wissen, dass das reichste 1 % der Bevölkerung ein Drittel dieser von Ihnen genannten 5,59 Billionen € besitzt und die reichsten 20 % drei Viertel des privaten Nettovermögens? (Spiegel Online vom 19.9.2017)
Ich stimme Ihnen zu, dass es verantwortungslos ist, die Schwachen gegeneinander auszuspielen. Das sind aber keine "Neiddebatten", sondern Debatten, in denen es um pure Existenz der bereits hier Lebenden und um Gerechtigkeit geht. Und ich stimme Ihnen zu, dass ALLE Bürgerinnen und Bürger ihrer sozialen Verpflichtung nachkommen müssen. Aus dem Elfenbeinturm heraus lässt sich's trefflich mahnen.
Mit freundlichen Grüßen
Ursula Thamm
Marktoberdorf

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