Eine rote viereckige Kartonhülle mit gemalten Figuren und der Aufschrift Peter und der Wolf Orchesterführer für junge Leute
Sarah Zapf Ostwärts Peter und der Wolf Schallplatte
Sarah Zapf
Die Katze mit der Klarinette
Musik begeisterte viele Menschen in der ehemaligen DDR, versprach sie oft doch auch ein Stück Freiheit. Über eine kürzliche Hörwiederentdeckung im Schrank hab ich mich besonders gefreut
Julian Leitenstorfer
07.09.2023

Fast jeder oder jede hat sie noch irgendwo zuhause: Schallplatten. Bei einigen fein nach Genre, Jahr oder gar Farbe sortiert im Schrank, bei anderen dann eher halb vergessen in Kartons verpackt auf dem Boden oder im Keller.

In einer digitalisierten Welt, wo cloudbasierte Musik-Streamingdienste schon längst Einzug in Haushalte gefunden haben, ist Vinyl fast schon ein Relikt aus der musikalischen Urzeit. Zuletzt habe ich einen Artikel gelesen, der von durch künstliche Intelligenz erzeugten Musikkompositionen handelte. Google sei schon jetzt fähig, aus unseren menschlichen Gehirnaktivitäten neue Musik herzustellen. Einerseits technisch ohne Frage beeindruckend, andererseits finde ich das, gelinde gesagt, auch furchtbar absurd und irgendwo leidenschaftslos.

Würde Google meine Gehirnströme jedenfalls just in diesem Moment messen und in Musik umwandeln, würde wohl eine ganz bestimmte Schallplatte aus meiner Kindheit spielen, wenn auch sicher mit weit weniger Klangfarbe und ohne die einmalige, beruhigende Sprecherstimme: "Peter und der Wolf". 

Von der Staatskapelle Dresden eingespielt

"An einem schönen Morgen öffnete Peter die Gartentür und trat hinaus auf die große, grüne Wiese" Keine Sekunde danach setzt das Streicherensemble mit dahinfließenden leichten Klängen ein. "Auf einem hohen Baum saß Peters Freund, ein kleiner Vogel. Wie still es ringsum ist, zwitscherte der Vogel fröhlich" Und schon ertönt die Flöte in hoher Tonlage und lässt dann auch gleich den hohen Baum erahnen. 

Mein Vater ist letztes Jahr unerwartet verstorben, mit 73 Jahren. Auch er hat in der DDR etliche Schallplatten, Hörkassetten, später in den 80er Jahren auch einzelne der neu aufgekommenen, aber durch Produktionsengpässe spärlich verfügbaren CDs, gesammelt. Heute schon längst wieder old-school, wobei Plattenläden mit nostalgischem Anstrich für Liebhaberinnen und Liebhaber in die Städte zurückkehren.

Beim letzten Besuch meiner Mutter entdeckte ich einzelne dieser Platten neben der in den 90er Jahren supermodernen, jetzt wenig gefragten Stereoanlage meines Vaters wieder. In dem Schrank fanden DDR-Schlager und volkstümliche Musik, die zuhauf auf die Vinylplatten gepresst wurden, neben "Alt wie ein Baum" von den Puhdys und Ivan Rebroffs tiefer Bassstimme einen Platz. Meine kindliche Begeisterung sprühte damals eher bei anderen Platten, etwa "Heidi" oder "Der Traumzauberbaum". Dieser Hauch von Magie kam mir auch, als ich "Peter und der Wolf" wieder aus der Plattenreihe zog, nach mehr als zwanzig Jahren.

Das musikalische Märchen aus der Feder von Sergej Prokofijew begeisterte eine große Zuhörerschaft nicht nur in der BRD, sondern weltweit und eben auch in der DDR mit der Handlung, dem eigenartigen Aufbau. Und mit der ulkigen Ente, dem furchteinflößenden Wolf und nicht zuletzt mit der farbenfrohen roten Papp-Plattenhülle aus dem Jahr 1973. 

Die DDR wird nicht umsonst als "das Schallplattenland" bezeichnet. Im Nachkriegsdeutschland war es etwa das Berliner Label Amiga, das die allerersten Platten herstellte und vertrieb, anfangs noch als Westlabel. Mit dem ersten Stück Capri Fischer auf Schellack. 1954 dann der Wechsel hin in DDR-Hand. Amiga hielt als staatliches Musiklabel dann bis zur Wende ein Monopol in der Rock- und Popmusikszene in dem sowjetischen Land. Jegliche Ost- oder Westmusik lief über, wie sollte es anders sein, das Ministerium für Kultur, und da wiederum über den staatlichen Tonträgerproduzenten VEB Deutsche Schallplatten. Von 1954 bis 1990 deckte es sämtliche Genres in lateinisch angehauchten Namen ab: Neben Amiga also Eterna, Litera, Nova und Schola.

Staatlich klar festgelegte Preise für Platten

Während Musik aus der DDR meist in größerer Auflage produziert wurde, waren die geringen Auflagen von Musikalben aus dem Westen, wie die Beatles oder Bob Dylan, meist schnell vergriffen. An die kamen oft nur betuchtere Bürgerinnen und Bürger, da sie in den Intershops angeboten wurden, wo in der DDR mit heiß begehrtem Westgeld bezahlt wurde - und man ein Stück der Einflussnahme im Land entgehen zu versuchte. Aber auch für die DDR-Führung ein offenes Geheimnis, brachte lizenzierte Westmusik doch weitaus mehr Geld. Die VEB Schallplatten unterlag im Gegensatz zu anderen DDR Medien nicht der Abteilung Agitation und Propaganda des Zentralkomitees der SED. Eine Schallplatte versprach eine gewisse künstlerische Freiheit.

Bei meinem fast 95-jährigen Opa Joachim finden sich im Gegensatz zu meinem Vater nur ganz wenige Amiga Platten. Da sind es die Eterna Platten, mit den immer gleichen Preisen von 12,10 Mark, die auch heute noch in seinem Arbeitszimmer aufgereiht stehen. Eterna veröffentlichte vor allem klassische Musik, Opern, Operetten sowie Volkslieder, Arbeiterlieder, Jazz und Kirchenmusik. Populäre Musik jenseits klassischer Musik und Kirchenmusik war in der Familie meiner Mutter in ihrer Kindheit und Jugend eher verpönt und wurde von meinen Großeltern auch schon mal mit sichtlicher Verärgerung abgedreht. 

Große Dirigenten und Klassikorchester, wie Herbert Kegel und Peter Schreier, ertönten stattdessen. Auch Kurt Masur, Theo Adam und Ludwig Güttler zieren als hervorragende DDR-Musikgrößen etliche der Platten. Besonders Theo Adam als Opernsänger mit einem unverkennbaren Bass begleitete so manchen Besuch bei meinen Großeltern. Mein Opa spricht noch heute in anerkennenden Worten über diesen Weltgeltung erreichenden Sänger der DDR, der es mit ständigen Gastverträgen etwa zu den Salzburger Festspielen oder an die Metropolitan Opera in New York schaffte. Wahrscheinlich auch, weil Adam einst ein Mitglied des von meinem Opa innig geliebten Dresdner Kreuzchores war.

Nun fehlt nur noch der Plattenspieler in der Wohnung in München. Bis dahin dann eben doch die digitalen Aufnahmen von Kultklassikern. Auf den Streamingplattformen. Irgendetwas Gutes haben die dann doch.

 

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