Ein älterer Herr in grauer Strickweste steht neben einem Apfelbaum und streckt die Hand empor zu einem der Äste
Opa neben einem Apfelbaum im Garten
Sarah Zapf
Ein Stück Paradies am Baum
Rot, prall und irgendwie künstlich: Äpfel, die ich im Supermarkt links liegen lasse. Der Geruch von Opas Gartenäpfeln jetzt im Herbst ist viel verlockender.
Julian Leitenstorfer
20.09.2023

Im Studienalltag sitzt man für gewöhnlich unzählige Stunden im Hörsaal. Fast genauso lange saß ich damals auch bei den regelmäßigen Mittagsrunden oder im Café auf unserem Campus in Erfurt. Bei meiner Freundin Lena wusste ich jedes Mal schon, was sie in der Pause zwischen zwei Kursen aus ihrer Tasche ziehen würde: einen Pink Lady Apfel. Von Liebhaberinnen und Liebhabern dieser Sorte auch hin und wieder „Cripps Pink“ genannt.

Genüßlich bieß Lena also sehr oft in diesen Apfel. Und ich dachte mir, was sie bloß an dieser Apfelsorte findet.

Lecker? Fehlanzeige. Schön anzusehen? Vielleicht.

Aber außer einer glänzenden, wachsüberzogenen Schale und dem wässrigen, süßlichen Geschmack konnte ich dieser Apfelsorte nichts abgewinnen. Noch dazu wurde die ursprünglich aus Australien stammende Sorte erst durch eine weltweite Vermarktung auch in Deutschland beliebt - mit einem kleinen Herzchen Aufkleber auf jedem Apfel. Schließlich soll man doch erkennen, dass diese Sorte etwas Besonderes ist und gegen alle anderen von Wurmlöchern durchsetzten, unförmigen und mitunter auch mal schrumpeligen Apfelsorten locker gewinnt. 

Von 20 000 weltweiten Apfelsorten nur rund 20 im Handel relevant

Längst ist die Apfelsorte aber auch auf ordentlich Kritik gestoßen. Eine auf Effizienz getrimmte Züchtung, Abhängigkeit der Apfel-Bauern von der „International Pink Lady Alliance“, Anbauplantagen in Südamerika und Südeuropa. Dazu Lizenzgebühren für die Bauern in diesem Apfel-Club und obendrein noch eine schlechte CO2-Bilanz.

Neben Klimabedenken und der Frage, was eigentlich eine gesunde Ernährungsweise bedeutet, liegt für mich aber der viel schlimmere Trend im allmählichen Verschwinden unzählig vieler Apfelsorten durch solch ein Monoangebot in den Supermarktregalen. Die Sortenvielfalt nimmt ab, von den einst rund 3000 Apfelsorten sind viele bereits verschwunden. Heute kennen die meisten wohl nur noch eine gute Handvoll Apfelsorten, die Mehrheit ist in Vergessenheit geraten.

Dabei gibt es unzählige alte Apfelsorten. Kennen Sie den „Nathusius Taubenapfel“ oder den „Hindenburgapfel“? Vermutlich genauso wenig wie ich. Eigentlich schade denke ich. 

Mein Opa widmete sich in seinem Leben neben seiner Amtstätigkeit als Pfarrer einigen seltenen heimischen Apfelsorten mit reichlich Hingabe und Geduld. Der Anbau im eigenen Garten bedeutet irgendwo ja auch ein Stück Schöpfung bewahren, mit den Händen in der Erde zu graben und einzupflanzen ist neben der gärtnerischen Freude auch etwas Symbolhaftes für das Erschaffen von Neuem, was heranwachsen darf, um später einmal selbst Frucht zu tragen. Für meinen Opa bedeutete die Zucht von Apfelbäumen auch das Bewusstwerden von der eigenen Schöpfungsverantwortung. Ganz anders als der Griff zur eingeschweißten, vom grellen Licht beschienenen Apfelpackung im Supermarkt und das Ziehen über den Kassenscanner, bevor die Packung wieder zwischen zig anderen Produkten im Korb verschwindet.

In dem Garten meiner Großeltern gedeihten neben einzelnen Pflaumen- und Birnenbäumen auch etliche Apfelbäume. Besonders der „Rote Boskoop“ sowie der „Prinz Albrecht von Preußen“ Apfel, zwei alte deutsche Herbst- und Wintersorten. Knorrig und herrlich verbogen waren die Äpfelbäume auch schon damals, als ich ein Kind war und zusammen mit meinem Bruder und den Nachbarsmädchen herumtollte. Eine kleine Narbe am linken Handgelenk erinnert mich nach wie vor an das sorglose Klettern als Kind im Apfelbaum.

Mit Fingerspitzengefühl setzt mein Opa den Schnitt in der Rinde

Mein Opa verstand auch die Fähigkeit der Obstbaumveredelung, die er schon in der DDR im damaligen Pfarrgarrten umsetzte. Ziel dieses uralten Handwerks ist es sortenreine Äpfel zu vermehren. Dabei gleicht das Vorgehen in unserer heutigen Konsumwelt, in der alles schnell greifbar ist, eher einer Sisyphus Arbeit, die ganz schöne viele Schritte und eine ordentliche Portion Geduld erfordert.

Für die Zucht neuer Apfelbäume muss als Startkit ein einjähriger Trieb in der Winterruhe geschnitten werden. Diesen legte mein Opa in feuchtes Zeitungspapier gewickelt unter etwas Erde in den Keller. Bis zum April, wenn das Veredeln startet. Denn dann wird dieser sogenannte Edelreiser zunächst von seinen Austrieben befreit und anschließend auf eine Wurzelunterlage aufgebracht. Das ist auch ein junger Baumtrieb, dessen Fläche mit einem Veredlungsmesser schräg angeschnitten wird. Das Edelreis muss ebenfalls im identischen schrägen Winkel angeschnitten werden. Beide werden aufeinander gelegt und mit einem speziellen Veredlungsband fest verbunden. Um Tiere, die gerne an frischen Trieben knabbern, fernzuhalten, wird am Ende noch ein Wundverschlussmittel aufgetragen. Fast wie bei einer OP.

Ganz schön kleinteilig und aufwendig, das Ganze.

Im Garten meiner Großeltern standen in meiner Kindheit neben Jungbäumen aber auch ältere Bäume, in deren Baumkronen mein Opa die Rinde anschnitt und einzelne Reise anbrachte. Dann heißt es abwarten, ob beides zusammenwächst. Im Prinzip der selbe Vorgang. In dieser Kronenveredelung durch „Rindenpropfen“ kann man jedoch mit mehreren Sorten gleichzeitig veredeln und erhält mitunter interessante Mischungen. Gerade auch bei plötzlich wenig tragenden Apfelbäumen ein Versuch den Baum zu retten. 

Gartenwissen aus der DDR kann auch heute noch nützlich sein, wenn es um Obst und Gemüse geht

In einer Bücherkiste meines Vaters fand ich kürzlich zwei Gartenbücher aus der Reihe „Bücher für den Gartenfreund“ des VEB Deutscher Landwirtschaftsverlag Berlin. In der DDR wurde viel gegärtnert, nicht nur in den allseits beliebten Schrebergärten, die für viele Bürgerinnen und Bürger private Zufluchtsorte und Versorgungsquellen zugleich waren. Als Kind hatten wir im Garten neben etlichen Johannisbeersträuchern auch die in der DDR beliebte Aroniabeere sowie ein kleines Beet mit Zuckererbsen, die wir gerne direkt aus der Schote naschten. Mühevoll war die stundenlange Arbeit, alle Beeren von den Sträuchern abzunehmen. Belohnt wurden wir mit leckeren Milchshakes mit frischen Johannisbeeren, die meine Mutter häufig in der Küche einsetzte. Etliche Eimer brachten wir gegen etwas Geld zum örtlichen Bäcker, der sich über die Beeren als Kuchen- und Tortenbelag freute.

Auch meinen Großeltern halfen wir beim Abnehmen der Äpfel im Herbst. Viele Kisten lagerten in dem Kellergewölbe zwischen selbst gemachtem Sauerkraut in Steintöpfen und Gläsern mit Apfelmus, den meine Oma aus kleinen aufgelesenen Äpfeln mit Zimt verfeinert auf dem Herd köchelnd herstellte. 

Ich frage mich oft, ob viele Menschen bewusster und bedachter einkaufen würden, wenn sie regelmäßig selbst mit Hacke, Schaufel und Gartenhandschuhen in der Erde zwischen Gras und Sträuchern wühlen würden. Oder einfach mal in einer regionalen Apfelplantage mit einem Korb selbst pflücken gehen. Der Apfelbaum steht nicht umsonst für Fruchtbarkeit und Leben. Leben mit der Schöpfung, die ich immer wieder in jedem noch so kleinen Apfel mit seinen Wurmlöchern erkennen kann.

 

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