Na toll. Besser, man hört dem Kranken wirklich zu, statt eigene Leidensgeschichten zu erzählen
15.11.2010

"Auweh", sagt die Kollegin, "das kenne ich. So eine Kniegeschichte, die dauert." Schöner Trost, wenn man gerade nach Sympathie lechzend vom letzten Arztbesuch erzählt und davon, dass eine Operation ansteht. Es muntert nicht auf, wenn man aus scheinbar berufenem Munde hört, was einem alles bevorsteht. Immer wieder werden eigene Krankheitserfahrungen kräftig konterkariert durch das, was andere erlebt haben - ein Stichwort genügt, und sie legen los mit ihren Nieren- oder Magenschmerzen, der Stimmbandreizung oder den Verspannungen der Rückenmuskulatur.

Gelegentlich passiert es, dass das Leiden, das einen selbst plagt, nichts ist im Vergleich zu dem, was das Gegenüber hinter sich hat. "Ich habe zwei Tage hintereinander nicht geschlafen", sagt man matt und hofft auf Verständnis. "Letztes Jahr", antwortet der andere, "konnte ich drei Wochen lang kein Auge zumachen. Ich bin dann zur Heilpraktikerin ..." Innerlich gähnend hört man zu, wie die Schlaflosigkeit schließlich mit Akupunktur kuriert wurde. Peinlich, dass man selbst es wagte, auf die lächerlichen zwei Nächte zu verweisen, in denen man nicht zur Ruhe kam.

Wer krank ist hat liebevolles Verständnis nötig

Wer krank ist, egal, ob er im Bett liegt oder sich noch halbwegs fortbewegen kann, hat aber liebevolles Verständnis nötig -Menschen, die zuhören, die mitfühlen. Was ein leidender Mensch ganz bestimmt nicht braucht, sind Besucher oder Gesprächspartner, die einem vermeintliches oder tatsächliches Fachwissen wie nasse Lappen um die Ohren hauen. Die einen nicht ernst nehmen - dadurch, dass sie sofort von sich selbst reden oder von Bekannten, die die gleiche Krankheit hatten. Für solche Missachtung kann es unterschiedliche Gründe geben.

Manche meinen, Mitgefühl dadurch auszudrücken, dass sie Kompetenz vorweisen: "Ich weiß genau, wie es dir geht! " Sie merken nicht, dass sie damit den Raum nehmen, um ureigene Gefühle und Erfahrungen zur Sprache zu bringen. Besserwisser drängen einen sozusagen in die Kissen zurück, aus denen man sich gerade erheben wollte. Andere haben schlicht und ergreifend Panik, Tränen ertragen zu müssen, miteinander Angst auszuhalten, sich mit Brüchen in einer fremden und der eigenen Lebensgeschichte konfrontieren zu lassen. Und vielleicht wüsste man keine Antwort auf das, was geschieht ...

Wer auf einen kranken Menschen trifft sollte sich Zeit nehmen

Lieber verdrängt man also die nötige Nähe durch "Wahrheiten", die man ungefragt und ungebeten von sich gibt - und zerstört dadurch die Chance, wirklich miteinander ins Gespräch zu kommen, auch über die beschwerliche und manchmal grausame Realität einer Krankheit. Wer auf einen kranken Menschen trifft, im Krankenhaus, auf einem Büroflur oder im Lift eines Wohnhauses, der sollte sich Zeit nehmen, um sich zu unterhalten. Der sollte die Fähigkeit kultivieren, behutsam mit anderen umzugehen. Was man selber über Krankheiten weiß, ist nicht so wichtig. Es hat sowieso jeder seine ganz eigene Geschichte mit dem Leiden, das einen plagt.

Wichtig ist es, geduldig darauf zu achten, was der Kranke wann sagt, welche Botschaften er oder sie mit Mimik, Gestik und Worten übermittelt. Darauf kann und soll man dann reagieren. Es ist nie die Frage, was man einem leidenden Menschen an Wahrheit zumuten kann. Wer so denkt, will das Geschehen bestimmen und den anderen zum Objekt des eigenen Handelns machen. "Was willst du, dass ich dir tue?", fragt Jesus einen Kranken. Man darf dem, der einen anspricht, nicht einfach selbstherrlich etwas zumuten. Viel menschlicher ist es, sorgsam darauf zu schauen, was der andere sich wünscht und einem zutraut.

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