Pssst! Geheimniskrämer sind meistens Wichtigtuer
Nicht weitersagen! Ganz vertraulich! Wer das einfordert, will sich meist nur wichtig machen.
Tim Wegner
27.06.2018

Pssst! Letzte Woche war ich bei einer dieser amerikanischen Plattformen, aber ich darf das gar nicht erzählen, weil wir am Eingang ein NDA unter­schrieben haben. Ein was? Wusste ich auch nicht, ich mailte vorsorglich den Scan meines Personalausweises nach Berlin. Das sei nicht nötig, ließ der Internetgigant wissen, "Ihren Scan habe ich soeben vollständig von meinem Rechner gelöscht". Das fand ich lustig, weil es erstens so klang, als habe sich der Kerl vollständig selbst entleibt. Und weil diese Firma – es ist wirklich ­schade, dass ich ihren Namen nicht ­nennen darf – eh schon die Schuhgröße meiner Kinder und mein Lesetempo in französischen Krimis kennt. Die Persodaten hätte ich gerne dazugelegt. 

Tim Wegner

Ursula Ott

Ursula Ott ist Chefredakteurin von chrismon und der digitalen Kommunikation im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH. Sie studierte Diplom-Journalistik in München und Paris und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Sie arbeitete als Gerichtsreporterin bei der "Frankfurter Rundschau", als Redakteurin bei "Emma", als Autorin und Kolumnistin bei der "Woche", bei der "Brigitte" und bei "Sonntag aktuell" sowie als freie Autorin für Radio und Fernsehen. 2020 und 2021 wurde sie unter die 10 besten Chefredakteur*innen des Jahres gewählt. 2019 schrieb sie den Bestseller "Das Haus meiner Eltern hat viele Räume. Vom Loslassen, Ausräumen und Bewahren".

NDA ist ein Nondisclosure Agreement, ­eine Verschwiegenheitserklärung. Man unterschreibt, dass man nichts Vertrauliches ausplaudert. Da ich die Firma nicht nennen darf, kann ich ja petzen, dass – so wie bei chrismon – deren Beamer ganz schwarz wurde, als er an den Laptop angeschlossen wurde. Behalten Sie das bitte für sich. Die connecten demnächst meinen Dampfkochtopf mit meinem Supermarkt. Aber HDMI-Kabel? Schwierig. 

Wichtig sein und wichtig tun – zwei Dinge

Diese Wichtigtuerei gibt es auch in Analog. Neulich in Frankfurt bei einem runden Tisch gegen Fremdenfeindlichkeit. Um 18 Uhr wurde, wichtig, wichtig, verkündet, dass bis 20 Uhr alle Beschlüsse "unter drei" seien. Politgeschwurbel für: vertraulich. Wir beschlossen um 18.30 Uhr, dass Rassismus gar nicht geht, um 19.15 Uhr, dass wir gegen jede Form der guppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sind. Aber, pst, von mir haben Sie das nicht. Um 20 Uhr ging ich nach Hause und vergaß beinahe, vor lauter Angst, etwas auszuplaudern, dass ich überhaupt da gewesen war.

Wichtig sein und wichtig tun – zwei Dinge. Wichtig ist, dass wir nicht nur Manifeste gegen Antisemitismus verabschieden, sondern mit echten Menschen sprechen, die den Holocaust überlebt haben. Lesen Sie das Porträt der wunderbaren Helene Habermann. Was auch hilft gegen Scheinriesen: Einfach mal die Erde von oben angucken. O.K., kann nicht jeder. Gute Reise, Alexander Gerst! 

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