Über Billig-Bestattungen
Zum Sterben zu wenig
Tote begraben ist mehr, als sie unter die Erde zu bringen. Doch ein würdevolles Begräbnis können sich viele nicht mehr leisten
Präses der ev. Kirche Westfalen, Annette KurschusBarbara Frommann
24.10.2022

Alles wird teurer: Essen, Trinken, Heizen, Bauen – Sterben auch. Das geflügelte Wort, jemand habe zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel, stimmt nicht mehr. Viele haben auch zum Sterben zu wenig. Im beschaulichen Bielefeld, wo ich lebe, sind das bereits bisher jährlich 120 bis 140 Menschen. In Hamburg sind es 1000, in Berlin 3000. Und es werden mehr.

Im November gedenken wir der Toten, Zeit also, an diese "von Amts wegen" beerdigten Verstorbenen zu erinnern. Tote begraben gehört im christlichen Glauben zu den sieben Werken der Barmherzigkeit, an denen es kein Vorbei gibt. Sie sind ein Muss wie Hungernde speisen und Kranke besuchen. Tote zu begraben, das ist freilich mehr, als sie unter die Erde zu bringen und zu verscharren. Genau dies aber geschieht mit Tausenden Menschen. Es sind Frauen und Männer, die mittellos sind und für die sich niemand findet, der ihre Bestattung bezahlt. Dann wird der tote Körper zum Fall fürs Ordnungsamt, das für sein Begräbnis sorgt. Und weil die Allgemeinheit zahlt, darf das nicht viel kosten.

"Der Tod ist so teuer geworden", erzählt mir der Mitarbeiter einer Friedhofsverwaltung, "dafür können Sie ­heute schon eine kleine Reise machen." Die letzte Reise eines Verstorbenen verläuft deshalb häufig so: Der Bestatter transportiert den Leichnam ins Krematorium. Wer weiß schon, dass man zu Lebzeiten ausdrücklich hinterlegen muss, wenn man nicht eingeäschert werden will. Die Asche wird dann in der rohen grauen Urne an einen Friedhof mit günstigen Gebühren, etwa in Ostdeutschland, geschickt, und zwar im speziell für diesen Zweck entwickelten DHL- Urnenversand ("Abgabe beim Nachbarn ausgeschlossen"). Die Toten werden gesammelt, bis es an der Zeit ist, ein Gemeinschaftsgrab auszubaggern. Die Gemeinschaft besteht darin, dass alle Urnen darin sang- und klanglos eingegraben werden. Rasen drüber, fertig.

Weitere Beiträge unserer chrismon-Herausgebenden finden Sie in unserer Rubrik "Auf ein Wort"

"Diese Mehrfachbestattung ist das Preiswerteste vom Preiswerten", sagt mir der Friedhofsmitarbeiter und verrät: "Die Kommunen sollen zwar eine ortsübliche Bestattung vornehmen, aber da stellen sich die Sozialämter oft quer, wenn bei einem Toten niemand mehr ist." Dies ist ein liebloser, aber leider nicht seltener Abschied aus dem Leben.

Wer sind die Menschen, die durch das Ordnungsamt bestattet werden? Viele sind verarmt, vereinsamt und aus der Bahn geraten, aber längst nicht alle. Viele haben Freunde und Nachbarn, haben gearbeitet und Steuern gezahlt, nur haben sie am Lebensende weder Ersparnisse noch Verwandte, die die Beerdigung bezahlen. Niemand hat dafür Sorge getragen, dass der Name der Verstorbenen ein letztes Mal öffentlich genannt wird. Niemand hat sich dafür eingesetzt, ihr unverwechselbares Leben ein letztes Mal zu ­würdigen. Niemand war da, der die Angehörigen und Freunde informiert und ihnen die Gelegenheit ermöglicht hätte, sich zu erinnern und Abschied zu nehmen.

Immer mehr Städte verfahren Gott sei Dank nicht so herzlos. Aufmerksame Mitarbeitende in Kommunen, ­Kirchengemeinden und Bestattungsinstituten sowie engagierte Bürger*innen haben gemeinsam würdige Formen der Bestattung entwickelt. Sie machen es möglich, dass es Geleit gibt und eine Trauerfeier, einen entsprechenden Raum und eine Tafel für die Namen der Toten. In Bielefeld geschieht dies viermal jährlich in Kooperation mit der Kommune.

Es geht also, wenn man will. Und es könnte noch ­besser gehen, wenn wir begreifen und Ernst damit machen: Die letzte Reise eines Menschen ist viel wichtiger als jede ­Urlaubsreise. Die Menschenwürde endet nicht mit dem letzten Atemzug. Tote würdig bestatten – das ist ein Werk der Barmherzigkeit für den Glauben und ein Gebot der Humanität für die Gesellschaft.

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Die Bestattung eines Menschen sollte mit allen bürokratischen, finanziellen und seelsorgerischen Konsequenzen unabhängig vom sozialen Status des Verstorbenen eine standardisierte anthropologisch rechtfertigbare Gemeindeleistung sein. In einer Zeit, in der horrende Summen für nicht selten unsinnige Infrastrukturmaßnahmen zu Wohl und Ruhm irgendwelcher Konzerne und Eliten ausgegeben werden, und in manchen Kreisen neben anderen Familienfeiern freilich auch die Bestattung zu einem gigantischen prestigeträchtigen Event hochstilisiert wird, sollte es doch möglich sein, jedem Menschen prinzipiell und ohne Wenn und Aber einen würdevollen Abschied zu gewähren. Leider hat die allgemeine und oft auch als Fortschritt bezeichnete Ökonomisierung dazu geführt, dass eine entsprechende Gemeindeleistung nicht mehr erbracht wird.
Friedhelm Buchenhorst
Grafing

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