Jerusalem - Angst vor König David. Eine Archäologin behauptet, sie habe in Ostjerusalem Überreste von König Davids Palast gefunden.
OCCUPIED TERRITORIES, East Jerusalem - The East Jerusalem neighbourhood of Silwan including the City of David site, Kidron valley and Al Aqsa Mosque seen through a fence in the shape of the Star of David at the Mount of Olives Jewish cemetery on Monday, July 09, 2018. The City of David is an Israeli settlement and archaeological site run by Ir David Foundation, commonly known as Elad, in East Jerusalem. Elad aims to create a Jewish majority in Palestinian neighbourhoods of East Jerusalem and renew the Jewish community in the City of David, which is part of the Palestinian neighbourhood of Silwan. The area is located within the Jerusalem Municipality, having been built on land in the West Bank that was occupied by Israel following the 1967 Six-Day War. (Jonas Opperskalski / laif)
Jonas Opperskalski
Angst vor König David
Eine Archäologin behauptet, sie habe in Ostjerusalem Überreste von König Davids Palast gefunden. Dort entsteht ein Freiluftmuseum, mitten im palästinensischen Viertel Silwan. Um die Ausgrabungen ist der Streit entbrannt: Wer war zuerst da im Heiligen Land?
Paul Jonas HildebrandtPrivat
13.08.2018

Das heilige Stück Land, um das die Menschen so erbittert streiten, umfasst nur zwei staubige Hügel vor den Toren der Jerusalemer Altstadt. An den kahlen Hängen kleben Häuser dicht an dicht, dazwischen ragt eine Aussichtsplattform empor. Auf der steht Anfang April ein junger Mann mit Kippa und deutet mit den Armen weit hinaus ins Tal. Auf Hebräisch ruft er: "Es ist wichtig zu wissen, wer zuerst hier gewesen ist. Und das war König David." Hinter ihm drängt sich eine Schulklasse an das Geländer. Er sagt zu ihnen: "Ihr müsst verstehen: Das hier ist der Ursprung Israels, hier hat alles angefangen." Eine Straße schlängelt sich durch das trockene Tal, in der Ferne leuchtet die Wüste im Sonnenlicht. Die Schüler sind nicht gekommen, um die Aussicht zu genießen – sie sollen verstehen: Dieses Land gehört rechtmäßig ihnen.

Denn die Aussichtsplattform aus weißem Stein ist Teil der sogenannten Davidsstadt, einer Art archäologischen Freiluftmuseums. Gebaut, um die Geschichte von der Rückkehr des jüdischen Volkes zu erzählen. Eine halbe Million Touristen strömt jährlich durch den Eingang nur wenige hundert Meter südlich des Tempelbergs. Harfenmusik aus versteckten Boxen empfängt sie, der Name David steht in großen goldenen Buchstaben über dem Eingang. Sie alle wollen die Steinreste vom Palast des biblischen Königs David sehen. Sie glauben daran, dass hier Jerusalem gegründet wurde – so wie es in der Bibel steht.

Wo früher Besucher der Klagemauer ihre Autos parkten, gräbt Professor Yuval Gadot antike Ruinen aus

Was viele Touristen nicht wissen: Die Davidsstadt liegt in Ostjerusalem, mitten im palästinensischen Stadtteil ­Silwan. Fünf Mal am Tag übertönt der Gesang des ­Muezzins die Harfenklänge. Nach internationalem Recht soll hier eines Tages eine palästinensische Hauptstadt ­entstehen. Die Davidsstadt ist deshalb nicht nur ein Freiluftmuseum, sie ist Teil einer Siedlungspolitik mit dem Ziel: die Teilung Jerusalems zu verhindern.

Um Silwan ist seit Jahren ein heftiger Streit entbrannt, zwischen Wissenschaftlern, Politikern und Anwohnern. Es geht dabei auch um die Frage: Wer war zuerst da?

Dass sich ein Herrschergeschlecht im 8. vorchristlichen Jahrhundert nach einem David benannte, scheint be­wiesen. Aber ob dieser David hier im Süden Jerusalems einen Palast hatte, das ist wissenschaftlich hoch umstritten.

Eine Gruppe israelischer Archäologen hat schon mehrfach vor Gericht gegen die Ausgrabungen in der Davidsstadt ­geklagt

Auch in Israel gibt es viele Zweifler. Eine von ihnen ist Talya Ezrahi: 48 Jahre alt, dunkle Haare. Eine Gruppe Mädchen mit pinken Schulranzen und Kopftuch kämpft sich durch die wartenden Touristengruppen. Talya ­Ezrahi steht im Gewusel zwischen den kreischenden ­Kindern und Jugendlichen und versucht, gegen den Lärm anzureden.

Ezrahi arbeitet für die Organisation Emek Shaveh, eine Gruppe israelischer Archäologen, die schon mehrfach vor Gericht gegen die Ausgrabungen in der Davidsstadt ­geklagt hat. Bisher vergeblich. Ezrahi leitet alternative ­Touren, in denen sie über das "Projekt Davidsstadt" aufklären will. Sie glaubt, Archäologie werde benutzt, um ­jüdische Bevölkerung in Silwan anzusiedeln. Sie sagt: "Mit der Erzählung von König David wollen sie nach und nach die Geschichte dieses Ortes hier verändern."

"Wir, die Bewohner von Silwan, kommen in den Geschichten der Tourguides nicht vor", sagt Sahar Beydoun

Nur eine Handvoll Leute engagiert sich bei der kleinen Organisation, sie ist in diesem Konflikt eindeutig in der schwachen Position. Ihnen gegenüber steht die Stiftung Elad. Sie finanziert die Ausgrabungen der Davidsstadt. Und sie ist nach Recherchen der israelischen Tageszeitung Ha’aretz eine der finanzstärksten Nichtregierungsorga­nisationen in Israel. Zwischen 2006 und 2013 nahm sie 115 Millionen US-Dollar Spenden ein. Viele der Spenden kamen aus internationalen Steuerparadiesen wie den Virgin Islands. Auch die israelische Regierung unterstützt die Organisation bis heute finanziell. El ’a D, ­so lautet das hebräische Akronym für "El ’Ir David". Auf Deutsch: "hinauf zur Daviddsstadt".

Die beiden Organisationen kämpfen um die Deutung der Geschichte. Es ist ein un­gleicher Kampf – und die Verlierer sind die Bewohner Silwans.

Auf den Wegen sammelt sich Wasser in großen Pfützen. Hier beginnt das arabische Silwan, kaum ein Tourist sieht es

Vom Eingang der Davidsstadt läuft ­Ezrahi einen sorgfältig gepflasterten Weg hinunter ins Tal. Die weißen Steine sind sauber gefegt. Es duftet nach den roten Blumen, die an den hohen Mauern wachsen, der Straßenlärm ist kaum zu hören. Ezrahi zeigt auf einzelne Häuser mit Stacheldraht, die zwischen den Ausgrabungsstätten stehen. Von den Terrassen hängen lange israelische Flaggen herab, über den Hauseingängen blitzen Kameras in der Sonne. Sie sagt: "Diese Häuser sind Teil des Problems." 500 israelische Siedler wohnen mittlerweile in Silwan – unterstützt werden sie von der Stiftung Elad. Ihre Häuser sind gut geschützt, denn die jüdischen Siedler sind hier nicht gern gesehen.

Zwischen den Siedlerhäusern führen dunkle Gassen den Berg hinauf. Auf den schlecht geteerten Wegen hat sich Wasser in großen Pfützen gesammelt, die Häuser stehen eng beieinander, aus den Räumen hinter einer Metalltür klingt laute arabische Musik. Hier beginnt das arabische Silwan, kaum ein Tourist bekommt es zu Gesicht.


Am Eingang zum archäologischen Park in Jerusalem: die Harfe, Symbol des biblischen Psalmensängers, König Davids

Wie viele Stadtteile Ostjerusalems hat Silwan ein Platzproblem. Mehr als 50 000 Menschen wohnen auf den ­beiden Hügeln, die das Tal Wadi Hilweh um­schließen, das untere Kidrontal: eine Stadt auf der Fläche eines Dorfes. Wer hier bauen darf, entscheiden die israelischen Be­hörden – und für sie spielen die besetzten Gebiete in der Planung oft keine Rolle.

Auch die Stadtregierung ignoriert die hier lebenden Palästinenser in fast allen Bereichen. Deshalb gibt es in Silwan keine Spielplätze, keine Parks, keine Räume zum Atmen. Elad und die jüdischen Siedler verschärfen diese Situation noch, indem sie frei werdende Plätze für sich ­beanspruchen. Politisch können die Bewohner Silwans wenig dagegen tun. Vor Gericht ist es schwer, gegen Elad zu bestehen. "Die Tourguides erzählen Geschichten von vor 3000 Jahren. Wir kommen darin nicht einmal vor", sagt Sahar Beydoun. Beydoun leitet das Gemeindezentrum, es ist einer der wenigen öffentlichen Orte Silwans. Von hier versucht sie ihre Version der Geschichte zu erzählen. ­Dafür veröffentlicht sie Videos auf Facebook und schreibt in einem Blog über die Geschehnisse im Stadtteil.

Um Häuser in Silwan zu übernehmen, hat Elad auch getrickst

Die 40-Jährige mit der dunklen Stimme sitzt in ihrem Büro im Wadi Hilweh Information Centre auf einem schwarzen Ledersessel. Zigarettenrauch steht in der Luft, im Nebenzimmer spielen Kinder an alten Computern. In klarem Englisch erzählt Beydoun vom Leben in Silwan: Wie schon früher muslimische und christliche Pilger zum Teich von Siloah kamen, den schon die Bibel erwähnt. Von der Besiedlung des Hangs in der osmanischen Zeit. Wie sie in Silwan aufwuchs. Vom Zusammenhalt der Gemeinschaft. Und wie in den 1990er Jahren die ersten Siedler ­auftauchten. "Plötzlich hieß es: Hier habe König David gelebt. Hier müssen wir graben." Beydoun sagt, schon bei den ersten Grabungen seien Häuser und Straßen be­schädigt worden.

Sie sagt: "Auch für mich als Muslimin ist König ­David eine wichtige Figur. Aber für unseren gemeinsamen ­Glauben dürfen doch keine Menschen aus ihren ­Wohnungen geschmissen werden."

Shea Westhoff

Shea Westhoff und Paul Hildebrand trafen in Jerusalem viele Menschen auf der Suche nach der historischen Wahrheit. Und sie bekamen viele widersprüchliche Geschichten zu hören.
Paul Jonas HildebrandtPrivat

Paul Hildebrandt

Shea Westhoff und Paul Hildebrand trafen in Jerusalem viele Menschen auf der Suche nach der historischen Wahrheit. Und sie bekamen viele widersprüchliche Geschichten zu hören.

Um Häuser in Silwan zu übernehmen, hat Elad auch getrickst. Einige der arabischen Bewohner wurden mit Hilfe eines Gesetzes aus ihren Häusern vertrieben, das besagt: Wer vor der Staatsgründung Israels geflohen ist, hat ­keinen Anspruch mehr auf sein Land. Das Haus gehört dann dem Staat. Elad hat zurückgekehrte Palästinenser bei den Behörden gemeldet, um nach der Räumung jüdische Bewohner auf den leeren Grundstücken anzusiedeln.

Immer wieder kauft Elad mit viel Geld Häuser von ­Palästinensern, die das Eigentum ihrer Familie veräußern. Nach israelischem Gesetz sind solche Verträge rechtsgültig – auch wenn andere Familienmitglieder mit dem Verkauf nicht einverstanden waren. Regelmäßig kommt es deshalb zu Zusammenstößen zwischen Palästinensern und der ­Polizei.

Ende der 80er galt Elad als radikale Siedlergruppe. Doch die gesellschaftliche Stimmung hat sich gedreht

Noch am Abend vor der Begegnung mit Sahar Beydoun haben Beamte mit Waffen und schusssicheren Westen ein Haus auf der anderen Seite des Tals geräumt. Eine Mutter mit Kindern musste das Gebäude verlassen. Der Käufer war wieder einmal: die Organisation Elad.

Als die Organisation Ende der 80er gegründet wurde, galt sie auch innerhalb Israels noch als radikale Siedlergruppe. Ihr Vorsitzender ist ein ehemaliger General einer Spezialeinheit der israelischen Armee, Daniel Be’eri. ­Sein Traum: alle Häuser, in denen Juden zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelebt hatten, zurückzuholen.

In Elads Gründerjahren zögerte die israelische Führung noch, in Ostjerusalem zu bauen. Zu spannungsgeladen war das Verhältnis zu den Palästinensern, die Unruhen der ersten Intifada erschütterten das Land. Aber in den 1990er Jahren veränderte sich die politische Stimmung in Israel, 1996 wurde Benjamin Netanjahu neuer Premierminister einer rechten Regierung. Nur ein Jahr später übertrug er Elad offiziell die Aufsicht über den "König David Nationalpark" – der den Stadtteil Silwan mit einschließt. Die gesellschaftliche Stimmung hatte sich zugunsten von Elad gedreht.

Eingang zum Nationalpark "Davidstadt". In den Ruinen aus der Eisenzeit soll der biblische König David gelebt haben

Doch noch immer lebt kaum mehr als eine Handvoll jüdischer Familien in Silwan. Wenn Elad auf seine Art den ganzen Stadtteil übernehmen möchte, dann braucht die Organisation einen langen Atem.

Bei ihren Führungen erklärt Talya Ezrahi Elads Strate­gie so: Die Organisation habe verstanden, dass die Übernahme der Häuser zu lange dauert. Deshalb nun die Ausgrabungen: Um eine neue Erzählung von Silwan zu schaffen. Eine, in der die Juden die Hauptrolle spielen.

Neben den Ausgrabungsstellen in der Davidsstadt ­stehen große Schautafeln. Darauf sind Zeichnungen von antiken Szenerien zu sehen, jede Schautafel ist mit einem Vers aus der Bibel überschrieben. Die Besucher sollen die Verbindung zu den alten Geschichten herstellen.

König David löst ­etwas aus. Er steht dafür, das die Juden die Sieger sind

Vor großen Glaskästen sammeln sich Besucher­gruppen. Darin wurden sorgfältig lehmfarbene Knetmodelle modelliert: Bis ins Detail geformte Paläste und antike Häuser. Sie sollen zeigen, wie es hier früher ausgesehen haben könnte. Denn eigentlich gibt es für Besucher an den Ausgrabungsstellen wenig zu sehen. Hinter den Absperr­gittern liegen nur ein paar schmutzige Steine im Sand. Die Touristen kommen nicht wegen der verwitterten Mauern in die ­Davidsstadt. Sie kommen, weil sie den Erzählungen hinter den Steinen glauben wollen.

Ein paar steile Treppen weiter hinab bleibt Ezrahi in ­einer großen Höhle stehen. Die Schülergruppe von der Aussichtsplattform hat sich nun vor einem Scheinwerfer versammelt, der ein großes Schild anstrahlt. Darauf steht auf Hebräisch: "War hier Davids Palast?"

"Die Ruinen sollen eine Geschichte erzählen mit Juden in der Hauptrolle", sagt Talya Ezrahi

Eine Frage, sagt Ezrahi, sei erst nachträglich daraus ­gemacht worden, um kritische Wissenschaftler zu besänftigen. "Kein Mensch hier liest das als Frage, weil ihnen alles suggiert: Ja, hier stand Davids Palast. Hier hat er Harfe gespielt. Hier sind die Geschichten aus der Bibel wirklich geschehen!"

Die Geschichten um König David lösen ­etwas aus in den Besuchern, sie transportieren ­eine Botschaft. In der Bibel ist David nicht nur der Junge, der mit einer Stein­schleuder den gewaltigen Goliath tötet. Er ist ein ­großer Herrscher, der die Juden aus dem Knebel der Philister befreite und die zerstrittenen ­jüdischen Provinzen zum Großreich Israel formte. In ­ihrer späteren Geschichte wurden die Juden unterdrückt und vertrieben, wieder und wieder. König David steht aber für eine andere Erzählung: eine, in der sie die Sieger sind – und seine Hauptstadt Jerusalem das Zentrum des jüdischen Glaubens.

Sollten Ausgrabungen beweisen, dass König David ­Jerusalem hier zur Hauptstadt seines Reiches gemacht hat, würde das nicht nur den spirituellen Anspruch Israels auf das Land untermauern. Die Besatzung der gesamten Stadt erschiene historisch geradezu folgerichtig.

Es gibt sie noch immer: Archäologen, die nach Beweisen für die biblische Version der Geschichte graben

Nur: Wie findet man einen einzelnen Palast unter ­einer Stadt mit einer so vielschichtigen Vergangenheit wie ­Jerusalem?

Bereits im 19. Jahrhunderten suchten Archäologen an vielen Orten Nachweise für biblische und antike Er­zählungen. Dabei stellte sich heraus: Die überlieferten ­Geschichten sind nur Teil einer viel komplexeren Vergangenheit. Archäologen, die in erster Linie um wissenschaftliche Sorgfalt bemüht sind, bezweifeln längst, dass die Bibel ein historisch genaues Dokument ist.

Aber es gibt noch immer die anderen, die weiter nach Beweisen graben. Zum Beispiel Eilat Mazar, Enkelin des 1995 verstorbenen großen Archäologen Benjamin ­Mazar. Eilat Mazar ist berühmt und umstritten. Seit den 1980ern versucht sie zu beweisen, dass der biblische ­König ­David südlich des Tempelberges seinen Palast hatte, eine ­Lebensaufgabe. Der Organisation Elad kam der Eifer der Archäologin gelegen. Großzügig finanzierte sie die Suche nach dem verschollenen Palast. Als Mazar 2005 dann ­einige Hundert Meter südlich der Klagemauer zu graben begann und auf eine außergewöhnliche Steinstruktur stieß, behauptete die Wissenschaftlerin, sie sei fündig ­geworden. Sie erklärte sich zur Entdeckerin des biblischen Palasts. Die Fachwelt zweifelte ihre Deutung an. Bei Elad löste sie Begeisterung aus. Nun hatte die Organisation ­einen Grund, weiterzugraben.

Viele der privaten Spender kommen aus den USA

13 Jahre später klafft ein gewaltiger Krater vor dem Eingang der Davidsstadt, groß wie zwei Fußballfelder. Zelte spannen über den Boden, dazwischen recken sich nackte Steinmauern in den Himmel. Dutzende Helfer schleppen Eimer voll Sand an den Kraterrand. Auf einem Holzsteg steht Yuval Gadot, Professor für Archäologie an der Universität Tel Aviv, ein großer Mann mit rundem Gesicht. Seit beinahe zehn Jahren betreut er die Ausgrabungen im Krater. Elad zahlt auch für ihn. Für jemanden wie Gadot ist das eine seltene Chance. Ausgrabungen sind teuer – und Jerusalems Erde ist für Wissenschaftler voller Schätze.

Erzählt Gadot von der Vergangenheit, gerät der Archäologe in einen Redefluss. Gerade erst seien sie auf ein bei­nahe unerforschtes Zeitalter gestoßen, "nach der Zer­störung durch die Babylonier, aber noch vor den Römern." Gadot ist kein Aktivist, er ist ein begeisterter Wissenschaftler. Dass sein Finanzier eine umstrittene Organisation ist, stört ihn dennoch nicht.

Er sagt: "Natürlich geht es nicht darum, die eine ­Sache zu finden, die alles erklärt. Ziel der Archäologie ist es, ­Kontexte zwischen Ausgrabungen zu entdecken." Die Archäologie wolle nichts beweisen, sondern etwas ver­stehen. Die Archäologie sei das falsche Instrument, um end­gültig zu beantworten, wo König David seinen Palast hatte – oder ob es ihn überhaupt gegeben habe. Gadot sagt, bei der Suche nach David gehe es nicht um eine komplexe Vergangenheit, sondern um Bilder. "Vielleicht finde ich morgen einen Stein, auf dem steht: ‚Ich bin David‘ – und schon ist David in den Köpfen lebendig. Aber eigentlich würde selbst das wissenschaftlich nichts Eindeutiges beweisen."

Für Elad ist der Archäologe Gadot eine Art Feigenblatt. Die Organisation kann zeigen: Hier wird wissenschaftlich gearbeitet. Gleichzeitig interessiert sie sich nur für ganz bestimmte Funde. Elad geht es nicht um wissenschaftliche Erkenntnis. Elad will David.

Der archäologische Besucherpark zieht sich mitten durch den arabischen Stadtteil Silwan. Hier und da hissen Siedler israelische Flaggen

Und solange die Organisation keine endgültigen Beweise vorlegen kann, versucht sie ihre Deutung populärer zu machen. Ihr Mann dafür heißt Ze’ev Orenstein, ­Sprecher der Organisation. Er ist ein freundlicher Mann mit US-amerikanischem Zungenschlag und Kippa auf dem Hinterkopf. Er sitzt im Schatten von Olivenbäumen am Eingang der Davidsstadt und sagt, er könne den Streit um die Ausgrabungen nicht wirklich nachvollziehen. Elad bedrohe doch niemanden. Auf Holztischen stehen Kekse und Getränke für eine Gruppe Touristen bereit, zwei amerikanische Christen freuen sich über die Harfenmusik. In die weißen Mauern sind Bronzetafeln mit den Namen privater Spender eingelassen. Viele von ihnen kommen aus den USA.

Orenstein sagt: "Jede Kritik an den wissenschaftlichen Methoden ist in Wahrheit politisch motiviert." Seine Botschaft: Wir waren vor 3000 Jahren hier, und wir haben auch jetzt ein Recht, hier zu sein. "Wir sind kein Haufen weißer europäischer Kolonisatoren. Das müssen auch die Muslime akzeptieren." Um dem Nachdruck zu verleihen, erzählt Orenstein eine Geschichte: "Vor einiger Zeit wurde eine Scherbe mit der hebräischen Inschrift Eliana ge­funden. Meine Tochter heißt Eliana. Sie teilt eine Kultur, eine Sprache, einen Geburtsort mit diesem Menschen, der vor 3000 Jahren gelebt hat."

Orenstein hat diese Rede schon dutzendmal gehalten. Immer wieder reist er in die Vereinigten Staaten, um Werbung für die Davidsstadt zu machen. Besonders von christlichen Republikanern bekommt er viel Unterstützung. Im Interview mit dem konservativen US-amerikanischen Radiomoderator Mark Levin sagte er: "‚Wir wissen, was den nichtmuslimischen Heiligtümern zwischen 1949 und 1967 passierte: Sie wurden zerstört. Wenn man sich in der Region heute umsieht, was der IS tut, Altertümer plündern und zerstören, was die Taliban den nichtmuslimischen Heiligtümern antaten, was in den späten 1990ern auf dem Tempelberg geschah . . . Sie brauchen nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was aus den jüdischen und christlichen Ausgrabungsstätten würde, wären sie jetzt nicht in israelischer Hand."

Auch für Elad ist klar: Wer über einen Ort bestimmt, entscheidet über seine Deutung

Unter der jordanischen Herrschaft vor dem Sechstagekrieg 1967 wurden tatsächlich Synagogen in der Altstadt von Jerusalem zerstört und jüdische Gräber auf dem Ölberg entweiht. 1996 baute die muslimische Behörde ­eine unterirdische Moschee auf dem Tempelberg und hob ­dafür lastwagenweise Erdreich aus – an einer archäolisch sensiblen Stätte. Der IS planierte die Ruinen antiker ­Tempel im Irak und in Syrien. Die Taliban sprengten große Buddha-Statuen in Afghanistan.

 Richtig ist aber auch: In allen arabischen Ländern gibt es funktionierende Verwaltungen für die Altertümer. Und schon unter jordanischer Herrschaft, also bevor Israel im Sechs-Tage-Krieg Ostjerusalem einnahm, gruben Archäologen südlich des Tempelbergs nach der Davidsstadt.

Mehr noch. Auch für Elad ist klar: Wer über einen Ort bestimmt, entscheidet über seine Deutung. Und es scheint, als wären sie damit erfolgreich.

Über die große Hauptstraße vor der Davidsstadt brettern große Reisebusse im Minutentakt den Hügel hinauf. Sie spucken ältere Herrschaften mit weißen Mützen und ­Sonnenschirmen aus, israelische Schulklassen, orthodoxe Juden in schwarzen Mänteln, die sich den Schweiß von der Stirn wischen. Die Davidsstadt ist ein öffentliches Museum, der Eintritt kos­tenlos. Jeder darf sich die Ausgrabungsstellen anschauen. Im Eingang sitzt trotzdem ein Wächter, der die Besucher kritisch mustert.

"Wir waren vor 3000 Jahren hier, und wir haben das Recht, jetzt hier zu sein", sagt Ze'ev Orenstein

Im vergangenen Jahr zeichnete die Regierung den Elad-Chef Be’eri mit einem besonderen Preis aus: Den Israel-Preis für lebenslange Verdienste hatten zuvor schon der Schriftsteller Amos Oz oder der Philosoph Martin Buber bekommen. Eine größere Ehrung wird in Israel kaum verliehen. Der Protest von Talya Ezrahi und ihrer Organisation kritischer Archäologen spielte in der Öffentlichkeit fast keine Rolle.

Noch in ­diesem Jahr sollen Touristen mit einer Seilbahn von der Altstadt aus ins Tal hinabfahren können

Über der großen Ausgrabungsstelle, auf der der Tel-Aviver Archäologe Yoval Gadot arbeitet, plant Elad, Ende des Jahres ein sechsstöckiges Museum zu bauen. Darin soll es ein Kino geben, Cafés, Toiletten – und natürlich eine Ausstellung über König David. Trotz einer Klage hat ein Gericht das Projekt durchgewinkt. Noch in ­diesem Jahr sollen Touristen außerdem mit einer Seilbahn von der Altstadt aus ins Tal hinabfahren können, um den ­vermeintlichen Ursprungsort Jerusalems aus der Luft zu bewundern.

Elad muss den archäologischen Streit um den biblischen König David nicht gewinnen – die Organisation schafft längst Fakten. Auf bunten Plakaten entlang der Hauptstraße von Silwan zeigt sie ihre Zukunftsvision von der Davidsstadt. Darauf zu sehen sind glückliche ­Fa­milien mit blonden Kindern, die den archäologischen Park ­er­kunden. Ein großes Abenteuer. Araber sind darauf nicht abge­bildet. Die Botschaft wurde in großen Buch­staben über eine ­goldene Harfe gedruckt: "Die Davidsstadt – wo alles angefangen hat."

Infobox

Baugeschichte des alten Jerusalem

Nicht immer war Jerusalem da, wo heute Altstadt und Tempelbezirk sind. Siedlungsreste aus der Bronzezeit um 3000 v. Chr. fanden sich südlich vom heutigen Tempelbezirk. Zur frühen biblischen Zeit wurde die Stadt um den Tempel nach Norden erweitert. 722 v. Chr. kamen Flüchtlinge aus dem Nordreich Israel, das die Assyrer damals vernichteten, nach Jerusalem, die Hauptstadt des Südreichs Juda. Die Stadt wuchs kräftig in dem Bereich südlich der heutigen Altstadt.

587 v. Chr. zerstörten die Babylonier Jerusalem. Während der Herrschaft der Perser ab 539 v. Chr. sollte die Stadt auf den Trümmern der alten wiedererstehen. Aber erst nach 167 v. Chr., der jüdischen Rebellion gegen die neuen griechischen Herrscher, fand die Stadt zu ­alter Größe zurück – unter dem jüdischen Königsgeschlecht der Hasmonäer.

Herodes der Große baute Jerusalem aus. Der Nordwestzipfel der heutigen Altstadt mit Grabeskirche lag damals vor der Stadt. 15 Jahre nach Jesu Kreuzigung wurde Jerusalem nach Norden erweitert, jedoch in den jüdischen Kriegen 70 und 135 n. Chr. wieder zerstört. Kaiser Hadrian baute die Stadt neu auf. Spätrömische Kaiser, Muslime und Kreuzritter prägten Jerusalem. Ab 1532 ließ der osmanische Sultan Suleiman der Große die heutige Altstadtmauer bauen.

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Es ist immer gut, wenn Menschen um etwas streiten. Ich kann nur nicht behaupten, dass ich die Geschichte noch irgendwie interessant finde.

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