Essen auf einem Tisch
Blog Umgang mit Lebensmitteln Sarah Zapf
Sarah Zapf
Jeder Bissen ist wertvoll
Als große Pfarrersfamilie erhielten meine Großeltern in der DDR oft Lebensmittel von Bekannten aus dem Dorf. Auch heute noch prägt mich dieser Umgang sehr
29.06.2023

Vor zwei Wochen war ich für eine Drehreise drei Tage in Turkana, einer Region im Nordwesten von Kenia an der südsudanesischen Grenze. Hier lebt rund eine Million Menschen in sehr ärmlichen Bedingungen. Turkana ist eine weit gestreckte, karge Landschaft. Turkana Lake ist dabei das einzige große Wassergebiet, von dessen Fischbestand unzählige Menschen im Umkreis ihr Leben bestreiten. In den steppeähnlichen Gebieten ziehen viele Nomaden von einem zum nächsten Ort. Die Herden sind nur schwer zu verorten, so unstetig ist der Lebensstil, so schwierig die Kommunikation und so weit sind die einzelnen Orte voneinander entfernt. Teils fährt man mehrere Stunden, ehe man auf größere Siedlungen trifft. 

Die gesamte Region ist immer wieder von Dürren betroffen, die Menschen sind gebeutelt im Kampf und in der täglichen Suche nach Wasser und Nahrung. Viele sind zu Fuß, oft ohne Schuhe, 15 oder mehr Kilometer unterwegs, um die nächste Wasserquelle zu erreichen. Auch dann heißt es geduldig sein, teils warten mehrere Hirten mit ihren Herden, um sie trinken zu lassen. Man spürt den Hunger und den Durst, wenn man in die Gesichter schaut. Die Dürre wird als die schlimmste seit 40 Jahren gesehen. Der Klimawandel ist spürbar, in den vertrockneten Sträuchern am Straßenrand, der unglaublich erdrückenden Hitze, den ausgetrockneten, von Rissen durchzogenen Flussbetten.

Bei regelmäßigen Aktionen von verschiedenen Organisationen werden Grundnahrungsmittel verteilt, die Kinder werden gemessen, gewogen und geimpft. Als ich die jungen Frauen mit ihren Kindern in der Schlange gesehen habe, habe ich ein Gefühl der Nähe und Distanz gespürt. Dieses unwirtliche Leben geht nahe, die unvorstellbaren konstanten Strapazen bedrücken einen. Gleichzeitig habe ich mich geschämt, denn ich atmete innerlich auf. Ich habe keinen täglichen Kampf um Nahrung, unsere Supermärkte sind voll, ich drehe den Wasserhahn auf und gesundes, sauberes Wasser fließt in Sekundenschnelle. 

Und trotzdem ist uns dieser Reichtum, diese Überfülle an Nahrung nicht bewusst. Wir verschwenden, wir wertschätzen oft nicht, was wir haben.

Kriegs- und DDR-Erfahrung der Großeltern prägt ein Leben lang

Mein Opa Joachim war elf Jahre alt, als der zweite Weltkrieg begonn. Nur vier Jahre nach dem Ende wurde die DDR gegründet. Das sozialistische System brachte auch Knappheit an bestimmten Gütern mit sich, viele Lebensmittel waren nicht verfügbar oder nur zeitweise. Mein Opa wie auch meine Oma Inge erlebten viele Jahrzehnte lang auch im Pfarrdienst, was gutes Haushalten und Verwertung von Lebensmitteln bedeuten. Mit 400 DDR Mark monatlichem Gehalt und fünf Kindern waren meine Großeltern teils auf Spenden von Nachbarn aus dem Dorf angewiesen, ab und an brachten Gemeindemitglieder Butter oder andere Dinge vorbei. Meine Oma war sehr dankbar dafür.

Im Pfarrgarten wuchsen Obstbäume und Beerensträucher. Die Früchte verarbeitete meine Oma zu Apfelmus oder Marmelade, nichts sollte verderben. Als Kind half ich ihr oft die Äpfel zu schälen. Bis heute bringt einer meiner Onkels die Äpfel zu einer Mosterei im Erzgebirge. Dort kann man sein eigenes Obst zu Saft pressen lassen. Mein Opa sammelt ab und an immer noch mit fast 95 Jahren Äpfel aus dem Garten auf, auch sein Speiseplan ist nach wie vor eher kärglich. Früh eine Semmel, egal ob hart oder weich, mit etwas Marmelade. Mittags dann Kartoffeln mit Quark. Auch nach der Wende hat sich mein Opa trotz einer neuen kulinarischen Vielfalt nicht zu einem Genießer entwickelt.

Der bewusste, oft auch zweckdienliche Umgang mit Lebensmitteln wurde auch allen Kindern und den Enkeln vermittelt. Es prägt ein Leben lang. 

Ich merke dann unterbewusst die Stimme meines Opas, die Erfahrungen seines Lebens, wenn ich vor einem vollen Teller sitze. Meine Mutter kochte in der Regel immer, wie viele andere Familien auch. In eine Gaststätte essen gehen war etwas Besonderes, meist geschah das nur an Geburtstagen oder anderen wichtigen Ereignissen - auch weil es natürlich teurer war, mit der ganzen Familie einzukehren. Auch Freundinnen, deren Familien aus dem Osten kommen, berichten dasselbe. Für ihre ehemaligen Studienkommilitoninnen aus dem Westen ist das oft eher unverständlich. Etliche sind viel häufiger essen gegangen, da gehörte es irgendwie dazu. 

Wieso können wir nicht bewusster mit Lebensmitteln umgehen?

In meinem Gymnasium im Erzgebirge hatten wir biologisches regionales Essen. Eltern plädierten dafür, sodass die Mensa nach diesem Konzept gestaltet wurde. Zu gutem Lernen gehört eine gute Versorgung. 

Über dem Eimer für Essensreste klebte ein großes Schild mit den Worten „Lebensmittel sind wertvoll. Bitte lasse dir nur so viel auf den Teller geben, wie du auch essen kannst. Du darfst jederzeit nachholen, wenn du mehr Hunger hast“. Ich habe diese Sätze immer wieder vor Augen, wenn das Thema Essensverschwendung aufkommt. 

Mit meinem Freund, der schon lange in München wohnt, klaffte der Umgang mit Lebensmitteln in der ersten Zeit des Zusammenlebens auch spürbar auseinander. Schnell wurde etwas schrumpliges Gemüse aus dem Kühlschrank entsorgt oder übrig gebliebenes Essen einer Mahlzeit einfach weggeschmissen. Das ärgerte mich sehr. Genau wie Bekannte, die in Restaurants die Hälfte essen und den Rest nicht einpacken lassen. Oder das Gericht nicht ganz der Erwartung entspricht und man deshalb alles stehen lässt und neu bestellt. Ich verstehe so etwas nicht. Oft sind es dann groteskerweise Personen, die ansonsten einen nachhaltigen, gesunden Lebensstil verfolgen und das auch nach außen kommunizieren. 

Wieso kann so ein Lebensstil nicht bei dem bewussten, wertschätzenden Umgang mit Essen anfangen? Weshalb verschwenden wir nach wie vor unzählige Lebensmittel?

Ich muss dabei auch an die Frauen aus Turkana denken, die nach einem beschwerlichen Weg zur Lebensmittelverteilung lange in der Schlange stehen, um einen Sack mit Hirse oder Reis zu erhalten. Mein bewusster Umgang mit dem Essen auf meinem Teller hilft diesen Frauen nicht direkt. Auch nicht, ob ich häufig oder selten essen gehe oder bequem Essen nach Hause bestelle. Aber es lässt mich nicht blind und ignorant gegenüber diesen Problemen werden. Und auch nicht gegenüber den kargen Zeiten inmitten von Lebensmittelknappheit meiner Großeltern. 

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.