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„Dey“ statt „er“ und „sie“
Es ist gut, nicht nur über „woke“-Menschen zu sprechen, sondern ihre Texte selbst zu lesen. Zum Beispiel im „Missy Magazin“. In der aktuellen Ausgabe findet sich eine interessante Ankündigung: Die Redaktion hat entschieden, künftig ein nicht-binäres Personalpronomen zu verwenden. Das führt mich zu zwei Fragen.
09.04.2022

Lange scheint man überlegt und Alternativen geprüft zu haben. Dann hat sich „dey“ gegen „xier“ durchgesetzt. Es ist das neue Personalpronomen, das anstelle von „er“ oder „sie“ verwendet werden soll. Dekliniert wird es „deren“ (Genitiv) und „demm“ (Dativ, Akkusativ). Denn, so die Begründung, jede sprachliche Markierung von geschlechtlichen Unterschieden sei diskriminierend und führe zur Gewalt gegen Frauen, Homosexuelle und Transpersonen. Mir stellen sich hier zwei Fragen.

Erstens frage ich mich, ob es sinnvoll ist, das berechtigte Engagement gegen Diskriminierung und Gewalt sprachpolitisch so zu vergrundsätzlichen, dass alle Unterschiede gelöscht werden. Die Alternative wäre, mit gegebenen – realen und sprachlichen – Unterschieden so umgehen zu lernen, dass aus ihnen kein Machtmissbrauch mehr folgt. Das wäre auch ein emanzipatorischer Weg, allerdings einer, der nicht darauf zielt, kontingent Gegebenes, Gewachsenes, Geschichtliches prinzipiell abzuschaffen, sondern der sie Schritt für Schritt verändern will. Der Vorteil wäre, dass überprüfbare Fortschritte erarbeitet, aber nicht gleich eine „neue Welt“ und ein „neuer Mensch“ geschaffen würden (was selten zu Gutem geführt hat). Mir scheint dies wirklichkeitsnäher, der Sache förderlicher und weniger aggressiv zu sein.

Zweitens stellt sich mir die altlinke Frage: „Was hilft es der Arbeiterklasse?“ Dazu eine auf den ersten Blick weit entfernte Assoziation. Kürzlich erklärte mir ein naturwissenschaftlich kundiger Mensch, dass die eigentliche Dynamik der Evolution nicht zwischen unterschiedlichen Gattungen stattfinde, sondern innerhalb von Gattungen, zum Beispiel zwischen Leittieren oder Paarungskonkurrenten. Es ginge in der Evolution weniger um die Auseinandersetzung mit einer feindlichen Außenwelt als um den Wettbewerb innerhalb der eigen Spezies. Nun darf man vom Pflanzen- und Tierreich nicht direkt auf die menschliche Gesellschaftlich schließen. Aber ein bisschen sind wir ja auch Tiere.

Mir jedenfalls fielen sogleich viele Beispiele aus der Kirchengeschichte ein, auf die sich diese These anwenden ließe. Die unendlichen theologischen Streitigkeiten, ja fast die gesamte Evolution der christlichen Gottesgelehrsamkeit – wie das Wesen Gottes, die Person Jesu Christi, das Wirken des Heiligen Geistes oder die Wahrheit der Heiligen Schrift genau zu denken seien – hatten doch hauptsächlich eine innerbetriebliche Funktion: Hier wurde entschieden, wer richtig oder falsch glaubt, anerkannt oder verstoßen wird, ein Bischofsamt oder eine Professur erhält, publiziert und verketzert wird. Eine missionarische Wirkung theologischer Streitigkeiten auf die Außenwelt der Noch-nicht-Glaubenden jedenfalls konnte bisher nicht gemessen werden.

Könnte es im „woke“-Aktivismus – der doch religiöser ist, als viele meinen – nicht ähnlich sein? Dann würde der Wettbewerb, wer am schnellsten und entschlossensten eine absolut diskriminierungsfreie Sprache spricht, weniger der Auseinandersetzung mit einer real diskriminierenden Außenwelt dienen als der Konkurrenz im eigenen Milieu, dem Aufbau einer Hierarchie von besser und schneller oder langsamer und zögerlicher Engagierten. Es würde denjenigen, die schon unfallfrei „dey“ deklinieren können, einen gruppenpolitischen Vorsprung gegenüber denjenigen verschaffen, die sich immer noch mit dem geschriebenen und gesprochenem Genderstern abmühen. Übrigens, nach dem Personalpronomen kommt der bestimmte Artikel dran. Als aussichtsreichster Ersatz für „der“ oder „die“ wird schon „dir“ gehandelt: Dir Sonne, dir Mond, dir Erde, dir Himmel.

P.S.: „Friedensethik in Zeiten des Krieges?“ Darüber spreche ich in meinem Podcast „Draußen mit Claussen“ mit dem Koblenzer Militärdekan Roger Mielke.

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Bravo H. Claussen. Ein nicht binäres Personenprognom. Durch eine abstrackte Wortwahl die eigene Bedeutung und des Themas erhöhen, damit man unter Seinesgleichen bleibt. Ein innerer Zirkel mit eigener Sprache als Erkennungsmerkmal. Wie viele "Lateiner". Hirnverschwurbelt. Wir haben nicht nur eine 2fache, sondern eine 7fache geschlechtliche und neutrale Personenanrede. DIE DER DAS ER SIE ES und SIE als neutrale Anstandsanrede. Hinzu kommen noch die Mehrzahlformen und die Dialekte. Jetzt noch ein DEY. Dann doch nur das DU oder auf jede Anrede verzichten. Und dafür ein Stipendium?

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