Über den Kirchenaustritt eines TV-Moderators denkt Johann Hinrich Claussen nach

Austreten aus Gleichgültigkeit
thadeusz

jhc

Eine Sendung von ihm habe ich noch nicht gesehen, nun fiel mir ein Artikel von ihm in unserem Pressespiegel auf. Der Moderator Jörg Thadeusz erklärt darin, warum er die evangelische Kirche verlassen hat. Dieser Text ist typisch für viele Ex-Protestanten.

Wenn jemand meine Kirche verlässt, ist das eine Entscheidung, zu der mir kein Urteil zusteht. Wenn er aber seine Motive öffentlich macht, interessiert es mich aber und reizt mich zum Nachdenken. Natürlich treiben mich all die vielen Kirchenaustritte dieser Tage um und erfüllen mich mit Sorge. Ein bisschen nehme ich sie auch als persönliche Kränkung, obwohl ich weiß, dass ich das nicht tun sollte. Aber die Frage kann ich nicht abstellen, was ich und meine Kolleginnen und Kollegen falsch gemacht haben. Umso wichtiger ist es, die Motive der Austretenden zu kennen.

Dabei hilft der Artikel von Thadeusz. Er ist nicht eben ein Stück Qualitätsjournalismus, für meinen Geschmack zu flapsig und oberflächlich, aber gerade dadurch erhellend. Eine tiefere Auseinandersetzung ist nicht zu erkennen. Vielmehr geht es um problematische Medienstatements einzelner kirchenleitender Personen, die zum Entschluss führen, mit dieser Kirche nichts mehr zu tun haben zu wollen.

Typisch daran ist, dass das Verhältnis zur Kirche nur noch ein medial-vermitteltes ist: Man sieht auf Bildschirmen diese Religionsprominenten, die man sympathisch oder eben blöd finden kann; man hört Ein-Satz-Aussagen, die meistens platt oder sogar falsch, wenn nicht dämlich sind. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben und seiner Gemeinschaft gehorcht also ausschließlich den Gesetzen, die die spätkapitalistische Mediengesellschaft vorgibt.

Das Hauptmotiv für den Austritt aus der evangelischen Kirche sind dann Überdruss, ein flüchtiger Ärger und vor allem Gleichgültigkeit. Das unterscheidet uns von den Katholiken. Dort verlassen viele ihre Kirche aus einem präzisen Zorn, einer reflektierten Unzufriedenheit, in einer bewussten Entscheidung.

Aber was macht man gegen Gleichgültigkeit? Kann eine bessere Medienarbeit es richten? Ich habe da meine Zweifel, weil doch die mediale Vermitteltheit des Kirchenbezugs selbst das Problem ist. Ich denke deshalb, dass unsere Chance immer noch in unserer Stärke liegt, konkret und direkt miteinander in Beziehung zu treten.

Aber auch dann erlebt man viel Gleichgültigkeit, viel freundlich-tiefsitzendes Desinteresse. Zum Beispiel sagte mir im vergangenen Jahr eine nette junge Mutter, die wie ich Gast einer Taufgesellschaft war, weshalb sie ihre Kinder nicht getauft habe: „Wir sind ja nichts.“ Damit wollte sie sagen, dass sie kein Verhältnis zu irgendeiner Religion habe und auch kein Bedürfnis habe. Doch ihre Formulierung ging mir lange nach. Vor wenigen Tagen habe ich bei einem Besuch in Chemnitz gelernt, dass dies eine in Ostdeutschland gängige Redeweisung ist. Auf Sächsisch lautet sie. „Wia sinn nüscht.“

P.S.: „Der Krieg – von Riga aus betrachtet“ – darum geht es in einer neuen Folge meines Podcasts „Draußen mit Claussen“.

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Lesermeinungen

Bisher wurde immer alles mit dem unergründlichen Willen Gottes erklärt. Dem Geist der ewigen Gerechtigkeit. Das galt aber nicht immer für alle. Die anderen Glaubens, Kultur, Erdteile (Indigene) und Zeiten (vor dem Jahre Null, bzw. 33) waren, waren auf immer und ewig verloren. Was nutzt mir eine Gerechtigkeit, von der niemand weis, wann, wie und für wen sie kommt. Das Dilemma wurde dann „highsofisticated“ und unverständlich so verschwurbelt, dass nur noch der berufene, der berufsmäßige und der befohlene Glaube, sowie der mit Sanktionen bedrohte heimliche Nichtglaube übrigblieb. Alles gesteuert von der dies- und jenseitigen Angsterwartung. Außerdem konnte man sich ja noch freikaufen. Zwar länger her, aber nicht vergessen. Und dann kommt noch ein Herr Thadeusz und hält der EKD den Spiegel vor. Wer einem Anderen in der Not nicht hilft, obwohl er dazu in der Lage wäre, wird nach irdischen Gesetzen verklagt. Wer dem Anderen das Messer verweigert, damit der sich der unkontrollierten Gewalt erwehren kann, nur weil er seine Selbstgerechtigkeit höher schätzt als den Tod des Nächsten, hat sich von seinen Idealen weit entfernt. Die anderen können ja, weil sie sich wehren, sterben. Ich aber möchte meinen Frieden haben. Das ist die angewendete Toleranz der Intoleranz. Oder? : Ein Pakt (ohne Unterschrift) mit Putin auf Kosten der Schwachen. Pure religiöse und politische Häresie! Von wem? Da fällt es dann leicht, die Kirche zu verlassen und zum Allerweltsgläubigen zu werden. Wo die Katholiken zu orthodox sind, sind die Protestanten zu beliebig. Bei uns im Ort mit ca. 21.000 EW gibt es 4 verschiedene ev. Glaubensvarianten und 4 konkurrierende Bibelkreise. Alles total gläubige „Endzeitverfolger“. Wer da nicht mehr durchblickt, wird ebenfalls zum Allerweltsgläubigen. Kürzlich eine Interviewpartnerin in CRISMON: Frage: „Haben Sie eine Vorstellung von Gott? AW: „Ich glaube nicht. Ich bin evangelisch sozialisiert“. Eine Antwort auf viele Fragen. Und wer sich noch nie diese Frage gestellt hat, oder dazu nicht in der Lage war, dem hilft auch lt. H. Thadeusz die EKD nicht. Das ist das Dilemma. Die einen weltfremd und orthodox, die andern weltoffen aber ohne Antworten, die auch den armen Geist noch überzeugen können.

Über diese Kolumne

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Johann Hinrich Claussen
Johann Hinrich Claussen ist Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland. Das heißt, er kümmert sich um das Gespräch zwischen Kirche und Kultur.

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