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Barlach – ein zweiter Nolde?
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
08.01.2020

2020 ist nicht nur ein Beethoven-, sondern auch ein Barlach-Jahr. Am 2. Januar wäre dieser Zeichner, Bildhauer und Schriftsteller 150 Jahre alt geworden. Grund genug, sich wieder mit seiner Lebensgeschichte und seinem Werk zu befassen. Aber bitte nicht so, wie es ein Journalist im Berliner „Tagesspiegel“ gerade versucht hat.

Bekannt ist, dass Barlach wie kaum ein anderer Künstler zum Zielobjekt nationalsozialistischer Anfeindung wurde. Wehr- und ratlos musste er von Güstrow aus zusehen, wie er in den Medien verleumdet, seine Denkmäler abgebaut, seine Skulpturen vernichtet wurden, Aufträge und Verkäufe ausblieben. „Mein Kahn sinkt jetzt rapide“, schrieb er, er sei er auf alles gefasst, „auch auf das Schlimmste“.

Es wäre interessant zu klären, warum ausgerechnet Barlach zu einem Lieblingsobjekt nationalsozialistischer Hetze wurde. Weil er bei aller Modernität auch ein populärer Künstler war, dessen Werke nicht nur zu avantgardistisch Eingeweihten sprachen? Weil er mit seinen Mahnmälern für die Opfer des Ersten Weltkriegs öffentlich präsent und ein Faktor demokratisch-humaner Gedenkkultur war? Weil aus seinen Werken eine tiefe Menschlichkeit spricht, Mitleid mit den Schwachen, Respekt vor den Armen, Liebe zu einfachen Russen?

Bekannt ist auch, dass Barlach eine Zeit lang auf ungeschickte Weise versucht hat, irgendwie durchzukommen. Ein geradliniger Widerstandskämpfer von Anfang an war er nicht. (Wer war das schon?) Doch muss man deshalb eine Schlagzeile schreiben wie „Kunst im Dritten Reich: Ist Ernst Barlach ein zweiter Fall Nolde?“, erklären, Barlach habe „laviert“, sei falsche Kompromisse eingegangen, habe mit dem NS-Studentenbund „geflirtet“ und seine Unterschrift unter den von Goebbels verfassten „Aufruf der Kulturschaffenden“ als „moralische Bankrotterklärung“ bezeichnen, um an das Ende des Artikels die Behauptung zu stellen, es bleibe unauflösbar, wo bei Barlach „Haltung endete und Opportunismus – oder schlimmer noch: Verrat – begann“? Barlach als Verräter?

Zu jedem aufgeklärten Jubiläum gehört, dass man auch die Schattenseiten des Jubilars ausleuchtet. Aber hier hat mich einiges gestört: das unverhohlene Schielen nach dem nächsten großen Skandal, die Empörungsfreudigkeit, die mangelnde historische Einfühlung, die unangefochtene Selbstsicherheit des von heute aus Urteilenden. Wie gern hätte der Autor wohl nach der Debatte um Emil Nolde und die fatale „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz (ein Roman, der seine ideologische Absicht und erzählerische Ödnis schon im Titel führt) im vergangenen Jahr die nächste große Kunst-Aufregung für 2020 ausgelöst. Doch das wird ihm kaum gelingen.

Sehr viel besser ist es da, ein kleines, altes, unbekanntes Buch hervorzuholen und neu zu lesen (es ist im Buchhandel nicht erhältlich, aber bei Internet-Antiquariaten für ein paar Cent bequem zu bekommen). Es ist die Novelle „Barlach in Güstrow“ von Franz Fühmann von 1963. Darin schildert dieser große ostdeutsche Autor das für Barlach extrem schlimme Jahr 1937, in dem sogar in seiner Güstrower Heimat seine Werk Kunst wurde: Seine Skulptur „Der Schwebende“ wurde aus dem Dom entfernt und eingeschmolzen. Mit einem Furor aus Einfühlung, Nachdenklichkeit und Sprachkraft zeichnet Fühmann das Bild eines verzweifelten Künstlers, dessen Werk einem mörderischen Regime zum Opfer fällt. Dass Barlachs politischer Lebensweg nicht immer geradlining war, verschweigt Fühmann nicht, aber überzeugend zeigt er auf, wie Barlach sich auch gewandelt hat (besonders was seine ursprüngliche Kriegsbegeisterung 1914 angeht). Darin wird Barlach für Fühmann zum existentiellen Vorbild, für seine eigenen Verirrungen, Ratlosigkeiten und Wandlungen, für seine Sehnsucht nach Menschlichkeit, für seine Selbstbehauptung als freier Künstler in einer Diktatur. In seiner Barlach-Novelle arbeitet er seine eigenen Wandlungen vom NS-begeisterten Jugendlichen zum Sozialisten, zum DDR-Kulturfunktionär und schließlich zum grundsätzlich ideologiekritischen und unabhängigen Künstler durch. Das ist begeisternd und ergreifend zu lesen, auch wenn man in die langen und aufgeladenen Sätze erst hineinfinden muss. Fühmanns Novelle ist ein dunkel glänzendes Beispiel für ein sinnvolles Gedenken: ehrlich, aufklärerisch, einfühlsam, existentiell engagiert, selbstkritisch, kreativ. Es sollten im Barlach-Jahr viele bei ihm in eine „Deutschstunde“ nehmen – ach nein, das klingt jetzt wieder zu pädagogisch und unpassend, denn Fühmann zu lesen, ist immer auch ein großer, wenn auch herausfordernder Genuss.

P.S.: Das Bild oben zeigt eine Barlach-Zeichnung des Gekreuzigten aus dem Jahr 1915. Sie ist in der Kapelle der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin zu sehen.

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