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"Ich denke an Sie, auch wenn ich Sie nicht kenne.“
Wenn an Weihnachten die Kirchen voll und Familien zusammen sind, ist es in den Krankenhäusern besonders einsam. Wer entlassen werden kann, geht nach Hause. Weihnachtskarten, liebevolle Grüße von „draußen“, können dann ziemlich wichtig werden.
privat
20.12.2022

Bei meinen Besuchen im Advent als Krankenhausseelsorgerin traf ich eine Frau an, die ihre Weihnachtskarten wie einen Altar auf dem Tisch aufgebaut hatte, mit Kerzen und Zweigen und nach Themen geordnet.

Die meisten der Karten waren von ihren vier Kindern und deren Familien, die tatsächlich alle im Ausland lebten. Meine Karte von der Seelsorge fand sofort einen Platz, im Bereich Kirche und Vereine. „Wenn ich allein bin, rede ich auch mit den Karten“, erzählte sie mir, „und an Heiligabend ist unser Gespräch für mich wie mein eigener kleiner Gottesdienst.“

Als überzeugte Kartenschreiberin kann ich gut verstehen, wie wichtig solche schriftlichen Grüße sein können. Ich selbst habe mit dem Kartenschreiben angefangen, als das in meinem Freundeskreis noch als spießig galt.  „Du hast es so gewollt“, schrieb ein Studienkollege damals auf eine wunderbar kitschige Karte mit spielenden Kindern unter dem Weihnachtsbaum, Kunstschnee, Glocken und viel Glitzer.   

Das Kartenschreiben habe ich von meinem Auslandsjahr in den USA mitgebracht. Eine Studentin am College, typische Außenseiterin, zu laut, zu dick, zu ungeschickt, las mir damals jede ihrer Karten vor, selbst die vom Imbiss um die Ecke.

Wieder zu Hause war eine liebevolle Weihnachtskarte für die Studentin Pflicht und der Anfang einer mir heute sehr wichtigen Tradition.

Von Grußkarten zugedeckt

Als Klinikseelsorgerin war es für mich von Anfang an selbstverständlich, immer Grußkarten dabei zu haben, es war geradezu mein Handwerkszeug. Ich ließ mich auch nicht entmutigen, wenn ich die eine oder die andere Karte später im Müll fand und freute mich über jede freundliche Reaktion. Eine Frau brachte meine Grußkarte sogar zu jedem Krankenhausaufenthalt wieder mit, damit sie auch hier ihren festen Platz auf dem Nachttisch einnehmen konnte.

Als ich selbst erkrankte, wurde ich von Karten geradezu zugedeckt und ich habe mich über jede einzelne gefreut. Wenn auf der Intensivstation die Wahrnehmung verschwimmt und jegliche Struktur verloren geht, sind Karten wunderbar handfest und glaubhaft.

Trotzdem stelle ich mir den Gottesdienst der Patientin, die mit ihren Weihnachtskarten Heiligabend feiern wollte, einsam vor. Bei aller Liebe zu schriftlichen Weihnachtsgrüßen, sie fragen nicht nach dem Befinden, sie können nicht reden, sie bleiben stumm. Und gerade an Heiligabend, wenn in Stadt und Land die Kirchen voll sind, ist diese Stille in den Krankenhäusern besonders laut. Am liebsten würde ich alles, was Kirchengemeinden so gut können, Chöre, Flötenkreise, Gottesdienste, Kindergruppen, Besuchsdienste, Blechbläser, einfach alles, an den Weihnachtstagen in die Krankenhäuser und Senioreneinrichtungen schicken.

Das ist nicht möglich, keine Frage, und so sind Weihnachtskarten wohl einfach unersetzlich.

Als Klinikseelsorgerin habe ich an Heiligabend meist selbstgebastelte Karten von Schüler*innen der benachbarten Schule verteilt. Viele Patient*innen haben diese Post von draußen wirklich geschätzt, besonders die liebevollen, oft sehr persönlichen Wünsche der Kinder, wie z.B.: „Es tut mir so leid, dass Sie ausgerechnet an Weihnachten krank sind. Ich wünsche Ihnen, dass sie trotzdem viele Geschenke bekommen. Ich denke an Sie, auch wenn ich Sie nicht kenne.“

PS: Post mit Herz heißt eine Organisation, mit der Sie Weihnachtskarten an Menschen verschicken können, die Sie nicht kennen. Eine gute Idee finde ich.

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