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Ein Krankenhaus ist doch kein Hotel?
Eine kühle Limonade, ein Bier, ein schöner Vorhang – ist das überflüssiger Luxus für mich als Patientin? Nein, gerade kranke Menschen brauchen Genuss und Schönheit, Hoffnung auf gutes Leben.
privat
11.10.2022

Bei einem längeren Krankenhausaufenthalt begann ich eines Morgens ohne erkennbaren Anlass zu weinen. Ratlose Pflegende um mich herum, die Ärztin wurde gerufen, ich konnte nichts erklären. Eine kleine Geste brachte mich wieder zur Vernunft: Ein junger Praktikant stellte gut gekühlte Limonade auf den Tisch, liebevoll im Glas serviert. Dieser kurze Blick auf Genuss und Lebensfreude und Zukunft jenseits der Kategorie „Lauwarm“ und Pfefferminztee reichte mir offensichtlich erstmal.  

Gewöhnlich gibt es im Krankenhaus gegen den Durst Tee und Mineralwasser Medium, Zimmertemperatur. „Ein Krankenhaus ist eben kein Hotel!“ Mit diesem Appell an die Bescheidenheit und Dankbarkeit kranker Menschen wird der schlichte Krankenhausstandard gerne gerechtfertigt.

Komfortzimmer im Krankenhaus und die Ethik

Trotzdem haben sich in manchen Krankenhäusern mittlerweile teure Komfortzimmer durchgesetzt, mit Kühlschränken und Cappuccino zwischen Frühstück und Mittagessen. Für ein solches Komfortzimmer entschied ich mich bei meinem letzten Krankenhausaufenthalt. Der Preis ist beeindruckend, nie zuvor habe ich so viel Geld für eine Übernachtung ausgegeben. Wenn schon, dann jetzt, dachte ich mir, ich brauche diesen Komfort ja auch nicht im Urlaub.   

Dennoch begleitete mich auf dieser Station ein latent schlechtes Gewissen, denn ich weiß natürlich, dass viele meiner Mitpatient*innen sich diesen Luxus nicht leisten können - weder krank, noch gesund.

In unserem alltäglichen Konsumverhalten haben wir uns an Unterschiede und eklatante Ungerechtigkeit gewöhnt, die einen fliegen eben auf die Malediven, die anderen denken gar nicht an Urlaub. Im Krankenhaus ist das anders, hier wird noch die naheliegende Frage gestellt, ob der Kühlschrank, der Cappuccino, die Bequemlichkeit eines Sessels im Zimmer, ob überhaupt irgendein Privileg ethisch gerechtfertigt ist oder nicht.

Ein Ende des Graubrotbereiches

Denn bei allen Widersprüchen und Ungerechtigkeiten funktioniert unser Gesundheitssystem im Großen und Ganzen solidarisch. Es ist eine zentrale humanistische Errungenschaft, dass sich in unserem Land prinzipiell alle eine teure Krebstherapie leisten können. In den USA habe ich erlebt wie brutal ein System ist, in dem genau das nicht der Fall ist. Es lohnt sich, dieses System mit ganzem Herzen zu verteidigen.  

Trotzdem ist es zur Erhaltung dieses solidarischen Ansatzes nicht notwendig, jeglichen Komfort für Gesunde zu reservieren und kranken Menschen einen plumpen Ursozialismus bei Tee und Wasser zu verordnen. Es schadet nicht, wenn kranke Menschen sich ab und an so fühlen, als seien sie im Hotel, zumal nach Tagen mit Kräutertee süße Limonade fast schon Medizin sein kann- oder gar ein kühles Bier!

Ohne große Diskussion wurde im Palliativbereich der einheitliche Graubrotbereich vieler Krankenhäuser schon längst verlassen. Hier gibt es häufig Cappuccino und kaltes Bier, Musik und Kunst und farbige Vorhänge und Einzelzimmer, meist durch Spenden finanziert. Meine Kollegin ist auch schon ausgeschwirrt, um frischen Fisch und Sauvignon Blanc für eine Patientin zu besorgen.

Dieser Überschwang auf Palliativstationen macht Krankenhäuser nicht gerechter. Auf anderen Stationen sind weiterhin Menschen ebenfalls schwerkrank und bleiben allein und ohne diese bunte Vielfalt.

Doch den Menschen hier geht es mit etwas Komfort, Schönheit und Genuss einfach besser in dieser schwierigen Zeit.

Und das ist erstmal gut so. Und strahlt hoffentlich irgendwann auch auf die anderen Stationen aus.  

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Liebe Frau Lackus,
vielen Dank für Ihre wunderbare Anmerkung! Lauwarmer Pfefferminz - das macht mich erst recht krank... Ich hoffe, Ihre Botschaft und Ihr Plädoyer für Genuß auch im Krankenhaus wird auf offene Ohren stoßen und beherzigt werden. Raus aus der Graubrotzone - Yes!
Beste Grüße!
Hajo Ditz

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