Blog posthum von Karin Lackus: Galgenhumor bei Todeskandidaten kann helfen

Gemeinschaft des hemdsärmeligen Humors
Gemeinschaft des hemdsärmeligen Humors

Christine ten Winkel/photocase.de

Unsere Autorin Karin Lackus ist Ende April gestorben. Ihr Blog war ihr sehr wichtig. Sie wollte erzählen und mitteilen, wie es ihr als Kranke geht. In Absprache mit der Familie von Karin Lackus veröffentlichen wir hier ihre letzten Texte, die sie noch vor ihrem Tod geschrieben hat. Wir gedenken ihrer mit Trauer und großem Respekt für diesen Mut, auch über das eigene Lebensende hinaus.

In einer ambulanten onkologischen Klinik bittet ein Patient, die Infusion kurz abzustöpseln, um auf Toilette gehen zu können. Er wird gebeten, etwas zu warten, alles ganz normal. Doch dann wartet er und wartet. Auf Nachfrage erfährt schließlich, dass man ihn schlicht vergessen habe. Auch das kann immer passieren, keine Frage, alle haben Verständnis. Nur die jetzt folgende Tröstung, Rechtfertigung, Erklärung oder als was auch immer man es versteht, ist wohl nur in onkologischen Kreisen denkbar: „Seien Sie doch froh, dass wenigstens ihre Nieren so gut funktionieren“.

Eine solche Hemdsärmeligkeit ist schon gewöhnungsbedürftig. Meiner Erfahrung nach sorgt eine Krebserkrankung allerdings schon dafür, dass die meisten einen solchen Galgenhumor tatsächlich auch entwickeln. Was bin ich am Anfang über die Diagnose erschrocken, dass meine Leber verfettet und der Eisenwert im Keller sei. Wenig später habe ich dann auch gewitzelt über meine wenigen Blutwerte, die noch als normal gelten können. Es sei ja auch reines Gift, das man da bei der Chemo in mich hineinlaufen lassen würde, hörte ich ohne jede Aufregung zur Erklärung. Die Frage, ob eine weitere Computertomografie mit hoher Strahlenbelastung nicht vermieden werden sollte, konnte ich mir bald selbst beantworten. Langzeitfolgen sind für mich nicht mehr das primäre Problem.

Glücklich diejenigen, die durch schlichte Vorsorgeuntersuchungen die Chance haben, ihren Körper zu schützen. Glücklich diejenigen, die ein Medikament ablehnen können, weil sie sich die Nebenwirkungen nicht zumuten wollen.

Ich erlebe nach der Krebsdiagnose da tatsächlich vieles anders. Es ist mein eigener Körper, der sich mir gegenüber feindlich verhält und ein schwer kontrollierbares Eigenleben begonnen hat. Es geht nicht mehr darum, meinen Körper sorgsam zu behandeln und zu schützen. Ich befinde mich in der offenen Auseinandersetzung.

Diese Situation hat wenig mit Harmonie von Körper und Geist zu tun, wie sie die gewöhnliche Apothekenwerbung mit dezenten Farben und Landschaftsbildern voller Blumen versucht auszustrahlen. Diese Heile-Welt-Gesundheit wirkt auf mich mittlerweile wie aus der Zeit gefallen.  

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass eines der Zellgifte zur Behandlung meiner Krebserkrankung ursprünglich rein pflanzlich hergestellt wurde, nämlich aus dem Gift der pazifischen Eibe. Paclitaxel - Wirkung, Anwendung & Risiken | MedLexi.de  Und auch Opioide finden ihren Weg ja direkt aus der Natur zu uns.

Natürlichs Gift? Ist auch nicht harmloser

Die natürliche Herkunft macht Gifte um keinen Deut harmonischer, das Gift der Eibe ist und bleibt ein aggressives Mittel für den Kampf mit meinem Körper, den ich eigentlich gar nicht führen mag.

In diesem unharmonischen Getümmel macht es auch wenig Sinn, auf meinen Körper genau zu hören und zu achten. Ich weiß, dass er keine Chemo mag, das zeigt er mir deutlich genug. Aber ich widerspreche ihm und mute ihm zu, was geht.

Und dazu reicht es erstmal, wenn noch ein paar Blutwerte gut sind und wenigstens die Nieren noch arbeiten.

Ich muss dazu auch gar nicht mehr in Harmonie mit der Natur durch zartlilafarbene Lavendelfelder schreiten. Im Gegenteil, die Gemeinschaft des hemdsärmeligen Humors ist da genau richtig.

Anmerkung der Redaktion: Mit dieser Folge endet der Blog von Karin Lackus.

Lesermeinungen

"Eine solche Hemdsärmeligkeit ist schon gewöhnungsbedürftig."

Besonders die Wohlstands-/Gewohnheitsmenschen des "freiheitlichen" Wettbewerbs um die Deutungshoheit des ..., zeichnen sich durch ignorante Arroganz und leichtfertige Kapitulation vor der systemrationalen "Ökonomie" dieses den Mensch konfusionierenden Systems des "Zusammenlebens" aus.
So ist es absolut weder Wunder noch Phänomen, daß die wettbewerbsbedingte Symptomatik nur Neurosen und Psychosen im Sinne des geistigen Stillstandes seit der "Vertreibung aus dem Paradies" (Mensch erster und bisher einzige geistige Evolutionssprung) gestaltet.

"Hemdsärmeligkeit", ist auch nur eine armselige Umschreibung für den heuchlerisch-verlogenen "Tanz um den heißen Brei", wo Gemeinschaft in Gemeinschaftseigentum OHNE wettbewerbsbedingte Symptomatik "wie im Himmel all so auf Erden" wirken/gestalten sollte.

Ich mag diese stets allgegenwärtige "Hemdsärmeligkeit" nicht, denn dadurch bleiben die Menschen in allen Bereichen des "Zusammenlebens" bis tief in ihrem systemrational-"individualbewusst"-isolierten Gewissen erpress- und unterdrückbar, bis der Verstand vom Ableben endgültig ...

Ich habe Karin's Beiträge immer gerne gelesen. Sie hat aus dem Krebsalltag berichtet. Es tut mir sehr leid, dass sie so schnell hat gehen müssen. Mein Beileid der Familie und den Freund/innen. R.I.P.

Über diese Kolumne

Als Klinikseelsorgerin und Krebspatientin kannte Pfarrerin Karin Lackus den medizinischen Alltag unterschiedlichen Perspektiven und hat darüber gebloggt. Ende April 2023 ist Karin Lackus gestorben. Der Blog bleibt online, und in Absprache mit den Angehörigen haben wir im Blog noch einige Texte veröffentlicht, die Karin Lackus vor ihrem Tod verfasst hat.

Karin Lackus
Als Klinikseelsorgerin besuchte Karin Lackus täglich schwerkranke Menschen. Eine eigene Krebsdiagnose beendete von heute auf morgen diese Berufstätigkeit. Darüber schrieb sie in ihrem Blog auf chrismon.de Ende April ist Karin Lackus gestorben. Ein großer Verlust für uns und unsere Leser*innen. Der Blog bleibt online, und in Absprache mit den Angehörigen haben wir an dieser Stelle noch einige Texte veröffentlicht,die Karin Lackus vor ihrem Tod verfasst hat.

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