Sternwerfer
crocodile / Photocase
…und ein glückliches Neues Jahr?
Der Blick in die Zukunft beim Jahreswechsel ist immer gewagt, für schwerkranke Menschen besonders. Was kann ich für das neue Jahr wünschen? Oder rate ich besser konsequent dazu, die Gegenwart zu genießen?
privat
03.01.2023

Eine Frau kämpft sich durch riskante Krebstherapien und gefährliche Operationen und dann stirbt sie bei einem Autounfall.  

Solche Geschichten werden gerne in Foren kranker Menschen erzählt, um Mut zu machen für schwere Eingriffe. Sie stehen dafür, dass nicht nur Krankheit gefährlich ist, sondern das Leben an sich. Und eigentlich wissen wir das ja auch alle, nur denken wir im Alltag nicht daran.

Anders in den Tagen des Jahreswechsels. Wenn Zukunft ins Spiel kommt, können wir nicht vergessen, dass nichts, aber auch gar nichts sicher ist.  Es tut gut, sich dann gegenseitig hoffnungsvoll ein gutes, gesundes, glückliches neues Jahr zu wünschen.

Eine Bekannte rief mir kurz vor Silvester beschwingt Neujahrswünsche entgegen. Sie seien ihr später beinahe im Hals stecken geblieben, erzählte sie später, wegen meiner schweren Krankheit.

Bitte kein „Lebensendstress“

Tatsächlich fühlt sich der Blick in die Zukunft in einer palliativen Situation anders an. „Neunzig Jahre alt werde ich wohl nicht mehr“, umschreibe ich manchmal etwas flapsig meine nicht mehr ganz so offene Zukunft. Das Jahr 2023 mit allen zwölf Monaten ist für mich ein ziemlich langer Zeitraum geworden mit vielen Fragezeichen.

Meine Bekannte und ich, wir einigten uns darauf, die Sache mit dem Blick in die Zukunft lieber zu lassen und die Gegenwart zu leben und zu genießen, und zwar jeden einzelnen Tag.  

Gut so. Nur, so einfach ist das mit dem ständigen Genießen ja auch nicht. Wenn ich auf der Couch liege und daddle, habe ich dann mein kurzfristiges Lebensziel verpasst? Wie sieht es aus mit aufräumen, kochen und krankengymnastischen Übungen? Soll ich das machen oder nicht? Ist einkaufen schön genug für den palliativen Genuss?

Es gibt Tage, da kann ich sie nicht hören, die klugen Ratschläge, die Gegenwart zu lieben. „Wir haben keine andere Zeit als diese“, Worte wie diese von Mascha Kaleko wirken auf mich dann wie eine Drohung. Wie soll das gehen, jeden Tag gut zu leben, das ist doch Wahnsinn, eine übermenschliche Anforderung, Druck pur. Das etwas böse Wort „Lebensendstress“ habe ich für mich dafür schon kreiert.

Es ist immer falsch, die Gegenwart zu verhunzen

Trotzdem habe ich als Klinikseelsorgerin auf der Palliativstation genau das von Patient*innen gehört, nämlich den Rat, jeden Tag das Leben zu genießen. Es gibt dazu keine Alternative. Allerdings nicht so, dass Schwerkranke plötzlich in Perfektion genießen und alle anderen klagen über Stress, Sinnlosigkeit und Arbeitsüberlastung. Es ist doch absurd zu glauben, es sich normalerweise leisten zu können, die Gegenwart zu verhunzen und am Lebensende soll alles anders sein. Niemand hat einfach so im Überfluss Lebenszeit; das Leben selbst ist gefährlich, nicht nur die Krankheit.

Als Klinikseelsorgerin habe ich den Vorteil, über die Jahre viele kluge Hinweise von Patient*innen gehört zu haben. Menschen am Lebensende wissen, wovon sie reden, und wissen oft sehr genau, was wichtig ist.  

Sie habe noch niemanden erlebt, der es bereut habe, zu wenig geputzt zu haben, äußert sich meine Kollegin Christiane Bindseil im Interview dazu.

Wichtig im Leben sind Beziehungen zu anderen Menschen, Freundschaften und Familie, die Erfahrung von Sinn, von Musik und Kunst, von Freude und Genuss. Am Ende geht es um Liebe und um sonst nichts.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein gesegnetes Jahr 2023 mit viel Licht, Liebe und Freundlichkeit und jeder Menge kleinen Wundern.

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Nun ist Karin Lackus leider verstorben, das ist sehr traurig.
Wie komme ich an die Sammlung von blogs, die sie zum Thema :Krankenstand geschrieben hat?
Mit freundlichen Grüßen Roswitha Richter-Koppenhöfer

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