Fan des FC-Basel sein und sich trotzdem als Deutscher fühlen? Aber natürlich geht das, sagt Arnd Brummer.
Lena Uphoff
14.11.2013

Wann ist ein deutscher Staatsbürger wirklich Deutscher? In einem Land wie dem unseren, das bis ins Jahr 1871 kein Nationalstaat war, scheint „Identität“, zumal „nationale“ oder, moderner  gesagt: „kulturelle“, ein sensibles Thema zu bleiben. So flackert seit 15 Jahren immer wieder die Debatte über die sogenannte „Leitkultur“ durch Parlamente, Hörsäle, Weinstuben und Cafés. Bassam Tibi, der Politikwissenschaftler, gilt als Erfinder dieses Begriffes. Und für ihn war auch klar, was gemeint sei.

Einwanderer aus anderen Ländern, so Tibi, sollten sich kulturell integrieren. Das heißt: Demokratie, Trennung von Religion und ­Politik, individuelle Bürger- und Menschenrechte, Pluralismus und Toleranz sind die zu akzeptierenden Grundlagen des Miteinanders. Und die Sprache, die man beherrschen sollte, heißt „Deutsch“. So!
Neulich hörte ich im Radio ein Gespräch mit Serdar Duran, einem jungen Unionspolitiker türkischer Herkunft. Dabei demonstrierte der Interviewer, dass er wohl aus Absurdistan eingewandert ist. Sein Sender behauptet, der Journalist stamme aus Rheinland-Pfalz.

Entweder Fan der deutschen oder der türkischen Mannschaft

Man sprach über die Regelung, dass junge Leute mit „Migrationshintergrund“ bis zum 23. Lebensjahr entscheiden müssen, ob sie deutsche Staatsbürger sein wollen. Die beiden redeten, mäßig lustig, darüber, ob der deutsch gewordene Jung-Unionist aus München Lederhosen trage und Weizenbier trinke. Und dann fiel das ominöse Wort Leitkultur. Der Interviewer setzte hinzu: „Darf man der türkischen Nationalmannschaft die Daumen drücken?“ Duran antworte: „Ja, warum nicht?“ Der Journalist: „Weil beides nicht geht. Entweder Fan der deutschen Nationalmannschaft oder der türkischen.“ Antwort: „Ja. Aber was ich in meinem Wohnzimmer mache, das können Sie doch nicht beobachten.“ Recht hat er!

In meinem Wohnzimmer kann man sehen, dass ich dem FC Basel die Daumen drücke und mich kulturell trotzdem als Deutscher wahrnehme. Ich habe einen amerikanischen Freund, der mein Handy nicht abhört. Er stammt aus einer Familie irischer Herkunft und liebt die Musik der Dubliners. Sein Schwager, ­Familienname „Muller“, feiert in Cincinnati gerne „Oktoberfest“. Und er drückt einer Fußballmannschaft aus Gelsenkirchen die Daumen. Darf er das als US-Bürger?

Ich gestehe hier erneut, dass ich national weitestgehend unzuverlässig bin. Meine Freunde sind nach Württemberg geflohene Waldenser, die immer noch gerne französisch beten. Einer meiner Vorfahren war Hugenotte, den die Ansbacher Markgrafen ins Land ließen. Neulich, als ich Metz besuchte und durch das Département Lorraine fuhr, war mir ganz hugenottisch zumute.

Und dann tranken wir in Rheinhessen deutschen Wein. Ich hab ihn genossen, obwohl ihn die Römer und die Kelten in ­unser Land geschleppt haben. Bier hingegen mag ich überhaupt nicht.

Berlin deutsche Hauptstadt? Ist mir ziemlich egal

Wenn ich im Kiosk an der Ecke mit dessen Besitzer namens ­Cemal über Fußball tratsche, sind wir uns ebenso oft einig wie uneinig. Er, in Frankfurt-Sachsenhausen aufgewachsen, ist Eintracht-Fan, ich – wie hier schon zugegeben – halte neben Basel noch dem anderen FCB in München die Treue. Aber Cemal und ich mögen Galatasaray Istanbul und freuen uns, wenn das Team im Stadtderby gegen Fenerbace oder Be­siktas gewinnt.

Neulich wurde ich gefragt, ob ich es nicht auch schön finde, dass Berlin endlich wieder deutsche Hauptstadt sei. Ist mir ziemlich egal, antworte ich. Wenn ich die Wahl zwischen Bonn und Berlin habe, entscheide ich mich historisch für Frankfurt (Königswahl und Paulskirche) oder kulturell für Wien. Und dann frage ich mich, was geworden wäre, wenn die Preußen nicht ihre „kleindeutsche“ Lösung durchgesetzt hätten. Als Citoyen frage ich mit dem Mainzer Jakobiner Georg Forster (1792): „Sind Liberté und Egalité nicht mehr dieselben Kleinode der Menschheit, wenn wir sie Freiheit und Gleichheit nennen?“ Wenn er über die Nachbarn im Westen sprach, nannte er sie „unsere Brüder, die Franken“. Und ich drücke Serdar Duran die Daumen, dass er sich auch außerhalb seines Wohnzimmers als Deutscher an türkischem Fußball freuen kann. Lederhosen muss er keine tragen – und ­­ich auch nicht.

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Ihren Beispielen, wie Vorlieben unabhängig von der Nationalität gelebt werden können, z.B. Fan eines ausländischen Fußballvereins zu sein, stimme ich zu.
Dieses begrüßenswerte und tolerante Verhalten löst aber nicht das Problem der unsicheren deutschen Identität, die Sie auch anfangs erwähnen.
Ökumene kann derjenige souverän leben, der in seiner Konfession fest verankert ist - tolerant kann der sein, der sich seiner Nation sicher ist.
Und das ist in Deutschland auch Jahrzehnte nach 2. Weltkrieg und Holocaust immer noch schwierig.
Sie zitieren die Definition von Bassam Tibi, äußern sich aber weder zustimmend noch ablehnend dazu.
Ich persönlich kann seiner Definition nur zustimmen - Sie auch?

A. Schardt

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