Kunstwerk "Abend über Potsdam"
Hinterm Horizont gehts nicht weiter
Lotte Lasersteins Gemälde "Abend über Potsdam" ­erinnert an Leonardo da Vincis berühmtes Abendmahl. Doch wer ist hier der Heiland? Und warum schauen alle so trübe drein?
Lukas Meyer-BlankenburgPrivat
08.03.2024

Das Blöde an dem Bild ist ja, dass sich nur allzu gut nachvoll­ziehen lässt, wie die Personen sich hier fühlen. Die Weltenlage kann nur schlechte Laune machen. Melancholisch, apathisch, resigniert hocken sie beieinander. Frei nach Fallada: Jeder isst für sich allein. Wobei: Essen tut hier niemand. Vielmehr zergucken die jungen Menschen hier die Luft vor sich.

Lotte Lasersteins Bild "Abend über Potsdam" von 1930 gilt als propheti­sches Meisterwerk. Ein karges Gegenstück zu den historischen Schinken, mit denen sich die letzten deutschen Kaiser Leinwand-Denkmäler pinseln ließen. Es ist der Abend der Weimarer Republik. Die Wirtschaftskrise bestimmt den Alltag, die Inflation frisst die Löhne auf, wenn man überhaupt Arbeit hat. Durch die Straßen marschieren schon siegesgewisse Braunhemden. Für die – später von den Nazis so klassifizierte – "Dreivierteljüdin" Lotte Laserstein wird es in wenigen Jahren vorbei sein mit dem Leben in Deutschland.

Zu sehen ist eine Art modernes Abendmahl mit Kassandra im gelben Kleid. Tatsächlich erinnert die ­Szenerie an Leonardo da Vincis bekanntes Abendmahl, Jesus in der Mitte offenbart: "Einer unter euch wird mich verraten." Um ihn herum reden die Jünger aufeinander ein. In der neusachlichen, realistischen Variante von Lotte Laserstein ist der vermeintliche Heiland eine junge Frau. Ihrem Blick fehlt jedes Aufbäumen, jede Hoffnung.

Die Farbe Gelb galt im Mittelalter als "Schandfarbe" und wurde seitdem auch in der Kunstgeschichte als stigmatisierende Kennzeichnung jüdi­scher Menschen benutzt. Aber auch Verräter und Neider haben auf Ge­mälden oft gelbe Kleider an. ­Lotte Laserstein hat offengelassen, ob sie an diese Farbenlehre anknüpft.

Es ist, als wüssten die Figuren, was ihnen droht

Passen würde es ja – die junge Jüdin, die ­innerlich schon im Exil weilt. Oder sind die hier versammelten Intellektuellen und ­Künstler als Gruppe Aussätziger ­gemeint, für die im aufkommenden NS-Staat schlimme Zeiten anbrechen? Es ist, als ob ihre Figuren bereits wüssten, was ihnen droht.

Die Debatte um die "Judensau" in Witteberg: ein Kommentar

Besonders eindrücklich: die ste­hende Frau links im dunklen Kleid. Sie steht neben dem spärlich gedeckten Tisch, blickt auf die originalgetreue Potsdamer Stadtkulisse, die Jahre später zerbombt sein wird. Lotte Laserstein hat hier einmal mehr ihre enge Freundin Traute Rose verewigt; besonders mit Aktbildern von Traute Rose schuf die Malerin einen künstlerisch neuen Blick auf den nackten Frauenkörper. Auch das galt bald als "entartet".

Lotte Laserstein emigrierte 1937 nach Schweden, wo sie bis zu ihrem Tod 1993 blieb. Erst gegen Ende ihres Lebens wurde sie wiederentdeckt und gewürdigt. Mit "Abend über Potsdam" hat die Künstlerin der berühmten, aber leider viel zu oft vergessenen verlorenen Generation kreativer deutscher Köpfe ein Stimmungsbild vermacht, von dem man sich heute bei aller Bewunderung nur wünschen möchte, dass es seine prophetische Kraft ver­loren hat.

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.