Pieter Saenredams "Sint-Odolphus Kerk in Assendelft" ist ein persönliches Bauwerk-Porträt
Pieter Saenredams "Sint-Odolphus Kerk in Assendelft" ist ein persönliches Bauwerk-Porträt
Rijksmuseum Amsterdam
Gemalte Bauwerke
Auch Mauern haben eine Seele
Keine Luftschlösser, keine Fantasie­kathedralen. Der Niederländer Pieter Saenredam hat im 17. Jahrhundert Bauwerke porträtiert und so ein neues Kunstgenre erfunden
Lukas Meyer-BlankenburgPrivat
31.10.2023

Dieses Bild hat der niederländische Künstler Pieter Saenredam nie verkauft. Es blieb bis an sein Lebens­ende 1665 in seinem Privatbesitz. Architekturmalerei, das Porträt einer ­Kirche und doch etwas ganz Persönliches. Zu ­sehen ist das Innere der Sint-Odulphus­kerk in Assendelft, dem Geburtsort von Pieter Saenredam. Das Bild ist eine ge­malte Erinnerung an die eigene Kindheit. Es sollte den Maler aber wohl vor allem auch an den Vater erinnern, einen stadtbekannten Kupferstecher und Karten­zeichner.

Er starb, als der kleine Pieter gerade mal elf Jahre alt war. Die grauen Grabsteine auf dem Kirchenboden sind allesamt unbeschriftet – bis auf den Stein vorne rechts: Der trägt eine gut lesbare Inschrift mit dem Namen von Pieter Saenredams Vater Jan. Nach dessen Tod zog der junge Pieter mit seiner Mutter nach Haarlem, wo er – mit einigen Unterbrechungen – bis an sein Lebensende blieb. Die Kirche in Assendelft, in un­mittelbarer Nähe zu seinem Geburtshaus, hat er nie vergessen.

Hat der Künstler – passend zum Grabstein für den Vater – auch sich und seine Mutter auf dem Bild untergebracht? Vielleicht sind es ja die beiden, die vorne im Gang auf dem Kirchenboden sitzen beziehungsweise liegen – der Junge hat sein kleines Büchlein gegen das von links einfallende Licht gewendet. Die Predigt im Hintergrund scheint ihn nicht so recht zu interessieren.

Überhaupt wirken die Menschen in dem Bild etwas entrückt. Sie sind sitzendes und lauschendes Interieur, das der Szene in Kombination mit der Dachkonstruktion (fast wie eine Arche) und den auf die hintere Wand zulaufenden Linien eine große Tiefe verleiht. Im Mittelpunkt steht der Kirchenraum als solches.

Pieter Saenredam ist für seine Künstler­szene und seine Zeit – das berühmte Goldene Zeitalter der Niederlande im 17. Jahrhundert – so eine Art ­Erfinder eines neuen Genres: Das Gebäude­porträt ist sein Ding. Ob in ­Assendelft, Haarlem oder Amsterdam – der Künstler malt ­Bauwerke, ­Steinmauern, ­Innenräume. Keine Luftschlösser und Fantasie­kathedralen.

Leseempfehlung

Pieter Saenredam arbeitet mathematisch exakt, wählt die Perspektive genau, berechnet Maßstäbe und Verhältnisse. Von der ersten Skizze bis zum fertigen Bild vergehen oft viele Jahre. Was er schafft: Architektur öffnet mit ihm ­Räume auf der Leinwand. Gebäude sind nicht, wie so oft, nur Träger von Bedeutung (Stichwort: der Turm zu Babel und seine unzähligen Darstellungen – je nach Mode der Zeit), Orte einer Handlung oder reine Staffage. Genau so wie hier sieht eben nur der Kirchenraum in Assendelft aus. Ein Raum als künstlerisches Subjekt, eine gemalte Persönlichkeit, auch das hat Pieter Saenredam verewigt auf diesem Bild, das er nie abgeben wollte.

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