Künstliche Intelligenz
Kreativ und kritisch müssen wir selbst sein
Wenn uns digital produzierte Filme langweilen, kann die Künstliche Intelligenz nichts dafür - sondern die Produzenten, die immer nur dasselbe wiederholen
"Sophia", ein künstlich intelligenter, menschenähnlicher Roboter, der von dem in Hongkong ansässigen humanoiden Robotikunternehmen Hanson Robotics entwickelt wurde
Roboterfrau Sophia wurde in Saudi-Arabien die Staatsbürgerschaft verliehen
Fabrice Coffrini /AFP via GettyImages
Susanne Schleyer
16.02.2024
4Min

Es liegt in der Natur der Sache, dass Regisseur, Drehbuchautorin und Schauspieler nicht überrascht sind vom neuen Film, den sie gemeinsam geschaffen haben. Sie sind vielleicht verwundert über die Reaktion, aber das Werk selbst ist ihnen teilweise schon seit Jahren bekannt.

Susanne Schleyer

Jakob Hein

Jakob Hein wurde 1971 geboren. Der Psychiater für Kinder und Erwachsene ist auch Schriftsteller und seit Mai 2023 zudem Mitherausgeber bei chrismon. Als angestellter Arzt war er der erste Väterbeauftragte an der Berliner Charité. Seit 2011 führt er seine eigene Praxis für Psychotherapie. Er hat zahlreiche Romane veröffentlicht, im Frühjahr 2022 "Der Hypnotiseur oder Nie so glücklich wie im Reich der Gedanken" (Galiani). Hein lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen in Berlin.

So ist es auch mit der Künstlichen Intelligenz. Die IT-Expertinnen und -Experten arbeiten an Systemen, die man als KI bezeichnen kann, im Prinzip seit Jahrzehnten und sind nun höchstens überrascht von dem großen gesellschaftlichen Echo, das die aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet verursacht haben. Das Generieren von Schriftsprache und Bildern durch Technologie hat erkennbar einen Nerv getroffen. Im Schulsystem fragen sich viele, wie unter diesen Umständen Schülerinnen und Schüler noch geprüft werden können, in Hollywood gehen Drehbuchautoren und Schauspielerinnen in den Streik, damit ihre Arbeit nicht durch Computersysteme ersetzt wird.

Panik und Angst fühlen sich immer richtig an, angebracht, wichtig. Dabei gilt für sie, was auch für alle anderen menschlichen Gedanken und Gefühle gilt – sie können falsch sein. Nur weil jemand laut und warnend spricht, hat er noch lange nicht recht. Das gilt sowohl in Gesprächs­runden wie auch in der innerpsychischen Konversation.

Was wollen wir jungen Menschen vermitteln?

Ich glaube wirklich nicht bedingungslos an jeden Fortschritt, möchte aber auch einmal die These diskutieren, dass wir der Künstlichen Intelligenz an vielen Stellen dankbar sein sollten. Wenn durch KI-Systeme bestimmte Formen der Leistungskontrolle bei Schülerinnen und Schülern nicht mehr sinnvoll sind, kann man politisch Mechanismen einfordern, die den Beitrag der KI-Systeme bei der Ableistung dieser Leistungskontrollen sichtbar machen. Doch selbst als mittelalter, technisch höchstens mittelbegabter Mann kann ich mir nicht vorstellen, dass die KI-Systeme solche politischen Kontrollmechanismen nicht in kürzester Zeit rückstandslos umgehen werden.

KI in der Arbeitswelt: Andrea Nahles und Sascha Lobo im chrismon-Streitgespräch

Kann man nicht auch fragen, ob die Leistungskon­trollen, denen wir unsere Schülerinnen und Schülern unterziehen, aktuell noch einen tieferen Sinn erfüllen? Soll die Zeit sich unserem Schulsystem anpassen? ­Welche Kompetenzen wollen wir in schulischen Zusammen­hängen jungen Menschen vermitteln? Wollen wir ihnen Lückentexte in Form von Arbeitsblättern aushändigen, die sie dann möglichst wortgetreu zu den Vorlagen zusammen- zusetzen haben, die den erwachsenen Autoritäten vor­liegen? Oder wollen wir sie lehren, dargebotenes Wissen kritisch zu prüfen, zu analysieren und im Team zu arbeiten? (Immerhin vermitteln Arbeitsblätter derzeit indirekt die Kompetenz zur Teamarbeit, weil einer aus der Klassengruppe jeweils den Auftrag zu deren Lösung erhält, die er dann mit dem Rest der Klasse in sozialen Medien teilt.)

Bloß keine Irritationen der Sehgewohnheiten

Filmproduzentinnen suchen beständig nach neuen und interessanten, möglichst "nie da gewesenen" Stoffen. Danach versuchen sie aber aus kommerziellem Interesse, diese Stoffe in althergebrachte Formen und Strukturen zu bringen, damit bloß keine Irritationen der Sehgewohnheiten entstehen. Ob die Zuschauerinnen und Zuschauer solche Irritationen möglicherweise aushalten, eventuell sogar schätzen würden, werden sie nie erfahren. Schon im Vorfeld heißt es in unzähligen Besprechungs- und Veränderungsrunden: "Das können wir so nicht machen." Am Ende ist alles so wie immer, und auch als Drehbuchautor denkst du manchmal: Das hätte auch eine KI schreiben können. Ich bin aber überzeugt davon, dass das Publikum sich vor allem über das bisschen freut, was vom Neuen und Interessanten aus dem ursprünglichen Vorschlag übrig geblieben ist, von dem künstlerischen Funken, der hoffentlich noch irgendwo glimmt.

Wenn also die Produktionsfirmen jetzt den ­Gedanken haben, sie könnten doch Computersysteme die Dreh­bücher schreiben und einige der kleineren Rollen spielen lassen, dann laufen sie quasi in ihre eigene Falle. Da sie die Kreativen dazu drängen, möglichst unkreativ Erfolgsrezepte zu kopieren, fallen sie dem Aberglauben anheim, erfolgreich sei das Kopieren gewesen. Und wenn Computersysteme etwas besser als der Mensch können, dann ist das kopieren, ohne dabei zu langweilen. Auch hier würde ich vorschlagen, dass die Produktionsfirmen loslegen und Erfahrungen mit Filmen ohne die Beteiligung lebender Kreativer machen. Wenn das Publikum ebenfalls aus Computersystemen bestünde, würden solche Werke vermutlich gut ankommen, vermutlich sogar algorithmisch gut. Doch lasst uns mal schauen, was lebende Menschen von solchen kommerziell motivierten Lieb­losigkeiten halten. Am Ende kann man damit doch keine Quoten und Werbeeinnahmen generieren.

Sophias Schaltkreise

Die Liste ließe sich fortsetzen. Wenn der Staat Saudi-­Arabien der Roboterfrau Sophia unverschleiert öffentliche Meinungsäußerungen gestattet und ihr sogar die Staatsbürgerschaft verleiht, weist das nicht auf Widersprüche des Computersystems hin. Dass die aktuellen Entwicklungen der Softwareentwicklung gerade von einer ­breiteren ­Öffentlichkeit wahrgenommen werden, ist gut. Aber wir leben stets in der IT-Vergangenheit. Während wir über die Systeme diskutieren, die wir aktuell nutzen können, wird längst die nächste Generation dieser ­Systeme erprobt und die übernächste entwickelt. Es ist vollkommen sicher, dass niemand diesen Prozess aufhalten kann, so wichtig es ist, dafür politische Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Systeme sind eine Realität, mit der wir umgehen müssen und auf die wir uns vorbereiten sollten.

Lassen Sie es mich in Anlehnung an den Göttinger Gelehrten Georg Christoph Lichtenberg so formulieren: Wenn eine Künstliche Intelligenz und ein Mensch zusammen­stoßen und es klingt hohl, liegt das immer an der KI?

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